Uwe-Timm-Verfilmung in der ARD: "Arsch kaum warm – Fliegeralarm"

Eine listige Frau verlängert die Liebe. Die ARD zeigt einen Film über eine unmögliche Liebe - und nicht "Die Entdeckung der Currywurst" (Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD).

Eine listige Frau und ihre Beute: Lena Brücker (Barbara Sukowa) und Hermann Bremer (Alexander Khuon). Bild: NDR/Tom Trambow

Natürlich kann es in einem Buch oder Film mit dem Titel "Die Entdeckung der Currywurst" um alles Mögliche gehen, nur nicht um die Entdeckung der Currywurst. Das ist mal klar. Der ARD-NDR-Film am Mittwochabend jedenfalls macht mit einer falschen Erwartungshaltung gleich zu Anfang kurzen Prozess, mit einem denkbar knappen Dialog.

Mann mit Hut: "Sag mal, stimmt das eigentlich? Dass du die erfunden hast?"

Lena Brücker: "Was?"

Mann mit Hut: "Na, die Wurst!"

Lena Brücker: "Erfunden? Ich mach' die hier nur, wie jeder sein Geschäft."

Wäre ja auch ein Ding, wenn die Currywurst eigentlich und ursprünglich aus Hamburg käme. Wie in Berlin alle wissen, kann das nicht sein. Statt um die Wurst geht es in dem Film, dessen Geschichte als Rückblende auf die geschilderte Szene folgt, um "eine sich ereignete unerhörte Begebenheit".

So hat Goethe die Novelle definiert, und als Novelle versteht Uwe Timm, der große Autor, seine Buchvorlage des Films. Im Interview sagte Timm: "Es ist die Geschichte einer listigen Frau, die ihre Liebe dadurch verlängert, indem sie im Kopf des Geliebten durch Schwindeleien eine andere Wirklichkeit erzeugt als die, die draußen herrscht."

Und das kommt so: Die nicht mehr ganz junge Lena Brücker, deren Mann und Sohn irgendwo im Krieg sind, nimmt nach dem Bombenalarm den blutjungen Marinesoldaten Hermann Bremer mit in ihre Wohnung: "Wenn du willst, kannste auch ganz bleiben." Er wird dadurch zum Deserteur, kann die Wohnung nicht mehr verlassen, ist in ihr gefangen.

Lena ist so glücklich wie nie. Amour fou. Die Nachbarn, der böse Luftschutzwart sind eine ständige Bedrohung. Eine noch größere Bedrohung aber ist der Frieden. Lena bittet einen Kollegen um Rat: "Wenn du gestrandet wärst, auf einer fernen Insel, und die Vorräte gehen dem Ende zu – würdstes der Mannschaft sagen? Alles auf'n Kopp haun, großes Festmahl – oder: heimlich verlängern?" Heimlich verlängern heißt, dem Geliebten, dem Gefangenen das Kriegsende, den Frieden vorenthalten.

Das ist eine unglaubliche aber gar nicht mal so unglaubwürdige Geschichte – eine Novelle eben. Genau das unterscheidet sie, zum Beispiel, von der melodramatischen "Dresden"-Soße. Apropos, auch das zeigt der Film: Der Bombenkrieg lässt sich schon mit einer kleinen Szene im Luftschutzkeller skizzieren. Statt CGI-Gedöns ein zünftiger Spruch aus Lenas Mund: "Arsch kaum warm – Fliegeralarm".

Im letzten Kriegsjahr ist das Schreckliche das Alltägliche. Galgenhumor ist Überlebenshilfe. Der gleichermaßen deftige wie feinsinnige Humor unterscheidet den anrührenden Film übrigens auch von jener rührseligen "Dresden"-Soße, die hier mal als Sündenbock für viele schlechte Kriegsfilme herhalten muss.

Ulla Wagner hat das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Sie hat, wie man so sagt, einen guten Job gemacht. Lena wird von der großen Schauspielerin Barbara Sukowa gespielt, Hermann von dem bestimmt einmal großen Schauspieler Alexander Khuon und die Hansestadt Hamburg von der einstmals großen Hansestadt Riga. Alle spielen großartig.

Und die Currywurst, es ist nicht so, dass sie in dem Film überhaupt nicht mehr vorkäme. Ihre zufällige, unfallartige Geburt in den letzten Filmminuten, die eine Entdeckung und keine Erfindung ist, und die umstandslos folgende Vermarktung – das ist mal eine wirklich schöne Metapher für den zupackenden Trümmerfrauen-Pragmatismus. Lena Brücker ist eine Erfindung von Uwe Timm. Reine Fiktion, aber was heißt das schon. Seit 2003 gibt es auf dem Hamburger Neumarkt eine Gedenktafel ihr zu Ehren. Das "Deutsche Currywurst Museum" in Berlin kam erst 2009. Am Ende geht es immer um die Wurst.

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