Duckomenta Hildesheim: Die Welt im Watschelgang

Mit der Duckomenta, einem umfassend angelegten Parodie-Projekt der Gruppe Interduck, ironisiert das Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum sowohl die Kunstgeschichte als auch das eigene ethnologische Selbstverständnis.

Selbstbildnis einer Ente: Nur eine unter vielen in der Hildesheimer Ausstellung. Bild: Ausstellung

HILDESHEIM taz | Duckfretete grüßt schon von Weitem: Die überlebensgroße Pharaonin prangt an der Fassade des Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museums, das berühmt ist für seine altehrwürdige ägyptologische Sammlung. Diese Duckfretete teilt mit ihrem mumifizierten Vorbild Nofretete zwar den Schlafzimmerblick und die charakteristische Kopfbedeckung, den krempenlosen Pharaonen-Zylinder. Der breit ausgeprägte Entenschnabel weist sie jedoch als Frontfrau der Duckomenta aus - dem Versuch, die Weltgeschichte aus Sicht der Enten neu zu schreiben.

Den Vergleich mit der bereits im Titel parodierten Documenta braucht die Hildesheimer Schau gar nicht mal zu scheuen. Zwar sind es "nur" 600 Quadratmeter, auf denen das RPM, das Roemer- und Pelizaeus-Museum, seine 400 künstlerisch verfremdeten Schnabeltiere ausbreitet.

Doch den alle fünf Jahre formulierten Anspruch der Kasselaner, die spannendsten Entwicklungen der Gegenwartskunst zu dokumentieren, toppt das RPM locker: Der dortige Parcour de Force umfasst nicht nur 5.000 Jahre Kunstgeschichte, sondern auch sämtliche Kontinente. Alles andere würde dem Selbstverständnis des Hauses mit seinen bemerkenswerten afrikanischen und präkolumbianischen Sammlungen auch grob zuwiderlaufen.

Schon auf den ersten Metern der Schau beweisen stimmungsvoll inszenierte Höhlenmalereien, dass die frühesten Vertreter einer bildschaffenden Zivilisation über ausgeprägte Mundpartien verfügten. Von einer üppigen Venus von Villenduck geht es zu Dötzi, der rührend im Schnee dahin gerafften Gletschereis-Ente und einer würdevollen Schnabelsphinx. Hat man im kunsthistorischen Sauseschritt die im Stil der griechischen Vasenmalerei, genannt attische, Entenkeramik erreicht, erscheint einem der Schnabel als Nabel der Welt fast schon als Selbstverständlichkeit. Dass der wahre Entdecker Amerikas Erik der Rotgefiederte war, nicht etwa Christoph Kolumbus, kann ja schließlich nicht oft genug gesagt werden!

Alles nur Schnabel - und doch bleibt erstaunlich, wie viel Varianz diese perpetuierte Montagefigur zulässt. Ob als würdevoller "Goethe in der römischen Camapagnia", griesgrämiger alter Fritz oder Miró-mäßig geometrisierte Gestalt. Paula Modersohn-Beckers beziehungsweise Dottersohns-Ducklers "Selbstbildnis mit Kamelienzweig" leistet in seiner kunsthistorisch belegten Inspiriertheit durch ägyptische Mumienbilder sogar einen überzeugenden Zirkelschluss. Das System schafft sich seine eigenen Referenzen, das Enten-Universum erscheint als in sich konsistentes System.

Hinter der Duckomenta stecken keineswegs, wie vermutet werden könnte, die 1977 in Hamburg von Hans von Storch gegründeten Donaldisten, sondern die Künstlergruppe Interduck um den emeritierten Braunschweiger Kunstsoziologie-Professor Eckhart Bauer. Was die seit Mitte der 80er Jahre zusammen getragen hat, ist keine quakig-billige Weltgeschichte à la Walt Disney, sondern ein liebevoll und mit viel Fachwissen erarbeiteter alternativer Kunstkanon, den seine Erfinder ursprünglich sogar als Kritik an der Amerikanisierung der Kultur verstanden. Mittlerweile ist auch die Popart längst verentet - geblieben ist der Anspruch, ohne Computersimulationen auszukommen: Alle Enten sind reale Malerei beziehungsweise traditionelle Bildhauerkunst.

Die Werke, in die der Schnabel plump hinein montiert wirkt, sind dabei bemerkenswert wenige. Die dreifache Marx-, Engels-, Leninsilhouette gehört dazu oder Leonardo da Vincis Mona Lisa: Deren Mundpartie ist schlicht zu breit für das anmutig-amorphe Antlitz der Porträtierten. Dafür entschädigt ein Blick auf die Hände, die zoologisch korrekt vierfingrig ausgeführt sind. Aber ist das nicht trotzdem alles viel zu gewollt? Gewiss: In erster Linie ist das Enten-Universum ein großer Spaß - der nebenbei jedoch mehr bildungspolitisches Potenzial enthält, als einem gutbürgerlichen Publikum möglicherweise bewusst ist.

Für zahlreiche jüngere BesucherInnen wird es größtenteils das erste Mal sein, dass sie den emblematischen Werken der Kunstgeschichte begegnen. Ein Erstkontakt à la Ente, als Grundlage für späteres Wiedererkennen in anderen Kontexten, muss nicht die schlechteste Grundlage sein. Zumal den Werken ihr Eigenwert nicht abzusprechen ist: Caspar David Friedrichs von hinten gemalten "Wanderer über dem Nebelmeer" nimmt sich auch mit Entenstert romantisch aus. Und wenn man die Entdeckung der Zentralperspektive bei da Vincis "Letzten Abendmahl" erläutern will, ist egal, ob der Mann in der Mitte Schnabel trägt oder nicht.

In einer tendenziell konservativen Stadt wie Hildesheim, die sich auf ihr Weltkulturerbe im Allgemeinen - der Dom und St. Michael - sowie den "tausendjährigen Rosenstock" im Besonderen viel zu Gute hält, ist die Duckomenta mit ihrem Untertitel "Welt, Kultur und (Enten-)Erbe" eine wohltuende Provokation. Darüber hinaus ist sie die bislang größte Schau ihrer Art und funktioniert durch die gestuften Interpretationsebenen perfekt als Familienausstellung. Vor allem jedoch hat Hildesheim den Vorteil, durch die Einbettung der Fakes in die echten ethnologischen Sammlungen das Spannungsfeld zwischen Fiktion und Wissenschaft aufzubauen, das den Ansatz der Interducks aus der reinen Spaßzone holt.

Mit einem Foto des Abdrucks des ersten Erdbewohners auf dem Mond, der auffallend breitfüßig gerät, sprengt die Ausstellung dabei schließlich die Grenzen der Kunst.

Dass ihre Enten selbst die grundlegenden historischen Ikonografien erobern, ist nicht nur als Überschwang der Parodierlust zu begreifen - sondern als konsequente Ausformulierung der Idee, dass das visuelle Kollektivgedächtnis sogar durch offensichtlichen Nonsens problemlos überschreibbar ist. Wer war denn wirklich auf dem Mond? Auch die Authentizität der Armstrongschen Fußspur wird von gar nicht wenigen Menschen heftig bezweifelt.

Wie nachhaltig der parodistische Ansatz wirkt, bemerkt, wer anschließend einen Blick in die mutmaßlich eigentlich nicht-enteninfiltrierten Dauerausstellungen des Haus wirft. Etwa auf die etwas abseits im Obergeschoss gelegene Alt-Amerikanische: Ist dieser breite Schnabel an der frühperuanischen Opferschale tatsächlich original?

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