die wahrheit: Jede Ehe braucht ihren Zweck

Woran scheitern Ehen in Deutschland? Nein, halt, ich muss anders anfangen. Zuerst sollte ich klarstellen, dass ich als Unverheirateter mir vorher...

... noch nie Gedanken darüber gemacht habe. Ich bin eher zufällig zu dieser Erkenntnis gelangt - wie es sich für einen echten U-Bahn-Philosophen gehört. So überkam mich diese Weisheit eingezwängt zwischen einer Glasscheibe und einem rasselnd atmenden Dickbäuchler in der heillos überfüllten Berliner Untergrundbahn, die mehr und mehr zum Spiegel der Gesellschaft wird.

Zurück zu den deutschen Ehen und den Ereignissen, die ihr Scheitern offenbaren. Im Grunde hat alles mit falschen Prioritäten zu tun. Was ist wichtiger? Ein Sitzplatz in der U-Bahn oder die Gesundheit des Ehepartners? Kommt drauf an, werden manche vielleicht sagen, und belegen damit schon die Theorie. Nämlich die, dass im Grunde die meisten Ehen in Deutschland emotional verkrüppelte Scheinehen oder Zweckgemeinschaften sind, die helfen, Steuern zu sparen, sozialen Zwängen nachkommen oder Einwanderungsfragen klären. Auch findet das meist in einer perfideren Form statt als die offensichtlichen Fälle, bei denen ein hübsches thailändisches Mädchen einen gnomenhaften deutschen Buchhalter heiratet. Und ich möchte ergänzen, dass ich alles andere als gnomenfeindlich bin - Gnome sind auch Menschen.

Offenkundig wird die typisch deutsche Zweckehe unter Stress, zum Beispiel in der U-Bahn. Dann wird die Fassade bröckelig und man kann ins verrottete Innere sehen. Wie bei Frau Nerz und Herrn Wollsack an der U-Bahn-Haltestelle Friedrichstraße in Berlin. Herr Wollsack steht auf, rafft Wollhandschuhe und Wollschal zusammen, sagt kühl Adieu zu Frau Nerz und steuert durch die Menschenmassen die Tür an. Doch, o Schreck, er hat seine Wollmütze vergessen. Das bringt Frau Nerz in die Zwickmühle. Was soll sie tun? Aufstehen und dem Gatten die Mütze geben oder seine Glatze in frostigen Wind vereisen lassen? Aber steht sie auf, ist der Sitzplatz weg und sie müsste noch eine ganze Station lang stehen.

Doch: Sie steht auf - allerdings ohne sich vom Sitzplatz zu entfernen - und zwängt ihren benerzten Oberkörper in die Menschenmasse. Sie ruft: "Schatz, deine Mütze!", und feuert den schwarzen Wollsack über die Köpfe der hereinströmenden Fahrgäste hinweg hinaus auf den Bahnsteig. Sie landet im Dreck, und der Mann blickt sie traurig an. Doch da sitzt Frau Nerz schon wieder und freut sich, ihren Sitzplatz erfolgreich verteidigt zu haben. Aber um welchen Preis!

Derweil überlege ich, ob ich nicht mit dem wohlig-warm schwitzenden Röchelheini hinter mir eine Scheinehe eingehen sollte, nur so aus steuerlichen Gründen oder um zu zeigen, dass wir das harmonischer hinkriegen würden als die beiden. Wenn nur dieses Geröchel nicht wäre. Vielleicht nehme ich lieber die scharfe Thailänderin? Nein, am besten den gnomenhaften Buchhalter, der mir hilft, zum ersten Mal eine fehlerfreie Steuererklärung abzugeben. Das wäre ein guter Zweck für eine Ehe.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.