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die wahrheitRonald Reagans Erbe

Zeitgeschichte: Berlin braucht dringend einen Mudschaheddin-Platz.

Hundert Jahre Ronald Reagan - und wie auf Kommando suchen lauter Leute für den Sonnyboy einen Platz an der Sonne in der deutschen Hauptstadt, der nach dem 40. Präsidenten der USA benannt werden soll. Reagan hat in den Achtzigerjahren den Unterschied gemacht zwischen einem Land mit einer verkorksten Außenpolitik, das sich scheiße fühlt, und einem Land mit einer verkorksten Außenpolitik, das sich super fühlt. Deshalb lieben ihn die Amerikaner bis heute.

"Gibt es einen Grund, sich nach diesem US-Präsidenten zurückzusehnen?", fragt der Tagesspiegel in heiliger Einfalt, und Josef Joffe, der Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit, weiß sofort: "Heute mehr denn je. Er hat am ersten Tag seiner Amtszeit die Geiseln von Teheran befreit. Er hat in acht Jahren keinen Krieg geführt (okay, ein bisschen - in Grenada)." Und, okay, ein bisschen hat Reagan die Häfen Nicaraguas verminen lassen, weil ihm die 1984 frei gewählte sandinistische Regierung nicht gepasst hat. Er hat, okay, ein bisschen, die Todesschwadronen der Contras finanziert, die Zivilisten ermordeten und Sabotageakte verübten, und er ist, okay, ein bisschen, mit dem Iran ins Bett gestiegen, um bei seinem schmutzigen Krieg den Kongress hintergehen zu können. Der Internationale Gerichtshof verurteilte die USA zu 2,8 Milliarden Dollar Schadensersatz an Nicaragua, die nie bezahlt wurden.

Kein Wunder, dass Leute wie Joffe Sehnsucht nach Reagan haben, wenn sich im Nahen Osten Dinge ereignen, die im Erfolgsplan des Hegemons nicht vorgesehen sind. Reagan ist für das Heer der westlichen Westentaschen-Strategen der Fleisch gewordene Carl Schmitt, der weder auf Völkerrecht noch freie Wahlen etwas gab, solange er sich mit seinen ganz persönlichen Werten im Einklang wusste. Nie war Außenpolitik einfacher, nie war sie herrlicher als zu Reagans Zeiten. Nie durfte man sich mehr mit dem Gang der Geschichte in Einklang fühlen, wenn man sich besinnungslos auf die Seite der USA schlug.

In Berlin bietet sich das Kottbusser Tor als würdiger Rahmen für einen Ronald-Reagan-Platz an. Als der Präsident am Brandenburger Tor Gorbatschow dazu aufforderte, die Mauer einzureißen, war Kreuzberg abgeriegelt, ein ganzer Stadtteil war vorübergehend nicht mehr Teil der freien Welt. Eine Umbenennung verbunden mit einer behutsamen Umgestaltung (Großbildleinwand mit Reagans Rede als Dauerschleife, themenspezifische Beflaggung und Erlebnisgastronomie, kleines Denkmal auf der Mittelinsel) würde auch Zweiflern die Möglichkeit geben, sich an diese Führerpersönlichkeit der westlichen Welt behutsam zu gewöhnen und einzusehen, dass er recht hatte. Aber das Kottbusser Tor genießt Ensembleschutz und ist für die Internationale Bausündeneinstellung 2020 schon fest eingeplant.

Dann gibt es noch den feinen Bezirk Steglitz. Die Steglitzer CDU strebt schon seit vielen Jahren eine Gebietskörperschaftspartnerschaft mit Kalifornien an und würde auch gern die Todesstrafe in ihrem Sprengel einführen, gäbe es da nicht diesen lästigen Kleinkram der europäischen Pinscher und Winsler wie Grundgesetz, Menschenrechtskonvention und Berliner Verfassung. Aber in Steglitz gibt es bereits die Treitschkestraße. Wir erinnern uns: Heinrich Treitschke, deutschnationaler Frühvertreter der angewandten Rassenkunde. Seit Jahren kämpft die Steglitzer CDU um den Erhalt seines Namens im Stadtbild, da bleibt kein Gedanke an einen Ronald-Reagan-Platz oder eine Ronald-Reagan-Straße.

Bleibt also eigentlich nur noch der Bezirk Mitte. Der Rosa-Luxemburg-Platz zum Beispiel. Da würde man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber soll man den Menschen oder sein Werk würdigen? Reagans größter außenpolitischer Erfolg war zweifelsohne die Gründung der Mudschaheddin. Ohne Mudschaheddin keine Taliban, ohne Taliban kein NineEleven, ohne NineEleven kein Überfall auf den Irak, ohne Überfall auf den Irak keine Jasmin-Revolution, ohne Jasmin-Revolution keine ägyptische Revolution, ohne ägyptische Revolution …, okay, ein bisschen nachdenken muss man über so viel Weitsicht schon.

Dann böte sich noch der Monbijouplatz in Mitte an - für die innere Einkehr und Abbitte dem großen Staatsmann gegenüber. Die kleine Grünfläche an der Spree dümpelt vor sich hin, wie sie richtig ausgesprochen wird, weiß auch keiner genau. Ja, man sollte den Monbijouplatz in Mudschaheddin-Platz umbenennen, als kleines Dankeschön für den ersten Gotteskrieger seines Staates, Ronald Reagan.

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