Neonazi-Propaganda im Klassenzimmer: "Ich war ohnmächtig"
Eine Lehrerin im nordfriesischen Bredstedt soll Schüler für die NPD angeworben haben. Die Mutter eines Betroffenen bemerkte es. Ein Verfahren gegen die Lehrerin läuft.
HAMBURG taz | "Ich war blind", sagt Louise Andresen*. "Und total erschrocken", bekräftigt die berufstätige Mutter aus dem nordfriesischen Bredstedt. Im vergangenen Jahr hat sie bemerkt, wie sich ihr Sohn Karl* der rechtsextremen Szene anschloss. Und das nicht etwa über Mitschüler, sondern über eine Lehrerin, die ihn angeworben haben soll: Ann-Kristin J. "Frau J. hat meinen Sohn richtig geködert", sagt Andresen der taz.
Über dieses Anwerben mag Karl nicht viel reden. Das tut seine Mutter. Noch vor der Ausgabe der Abschlusszeugnisse Mitte 2010 - Karl war damals 15 - habe die Lehrerin den Jungen um seine Handynummer gebeten, sagt Andresen. "Sie sagte, er interessiere sich doch für Politik und Geschichte und sei schon auf den richtigen Weg."
Zwar gab es unter den Jugendlichen schon länger Gerüchte über eine Deutsch- und Englisch-Lehrerin, die "rechts" sei. "Aber man will das ja nicht glauben", erinnert sich Karls Mutter.
Auf der Website der NPD-Nordfriesland offenbart Josephine G. - ein Pseudonym, das Arne Kaehne, stellvertretender NPD-Chef in Nordfriesland, verteidigt - ihre Gesinnung. Einige Beispiele.
Wohlwollende Interviews mit Nazi-Größen
Warnungen vor "Linksextremen"
Hetze gegen "Kanackenbanden"
Forderung nach "Todesstrafe für Kinderschänder und Kindermörder"
Tiraden über das "Chaos" der Schulreform: "Wir fordern, dass die Systempolitiker ihre Machtspiele, die sie derzeit auf den Rücken der Schüler austragen, endliche beenden".
Heute denkt Andresen, die nichts mit "diesen Nazis" und "ihrem menschenverachtenden Weltbild" zu tun haben will, dass Frau J. ein Gespür dafür gehabt haben muss, wo damals die Interessen ihres Sohnes lagen. "Diese Lehrerin hat zur rechten Zeit in die richtige Kerbe gehauen."
Dabei habe sie selbst, als die ersten NPD-Materialien zuhause auftauchten, noch geglaubt, der Sohn setze sich im Unterricht mit dem Dritten Reich auseinander. Doch da dröhnte bereits Rechtsrock aus Karls Zimmer, und die Bildschirmoberfläche des Laptop zierte das Bild eines Wehrmachtssoldaten sowie der Spruch: "Arier ... nicht nur sauber - sondern rein!". Auch da habe sie noch gedacht, das sei eine vorübergehende Phase, erinnert sich Andresen.
Im Dezember 2010 habe sie sich den Laptop des Sohns dann genauer angeschaut und einen regen E-Mail-Verkehr mit der ehemaligen Lehrerin bemerkt. "Über Facebook vereinbarte sie Termine mit meinem Sohn und gab Infos zu Demonstrationen weiter", erzählt Andresen.
Am 6. Dezember 2010 etwa hieß es: "Das neue Material muss auch auf dem Weg sein, dann habt ihr wieder was zu tun." Drei Tage später: "Vielleicht könne wir uns am Dienstag treffen?! Da muss ich eh länger in Bredstedt bleiben."
Die Mails, die von der Pädagogin kamen, waren gelegentlich auch mit "88" unterzeichnet - dem Szenecode für "Heil Hitler". Andresen entnahm ihnen, dass die Lehrerin Karl für die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) geworben hatte. Karl habe sogar Mitgliedsanträge verteilt und Beiträge eingetrieben.
Aufgefallen sei ihr jedoch die Vorsicht der Lehrerin, die meist unter dem Pseudonym "Josephine G." schrieb und nur eine Mail mit "Ann-Kristin" zeichnete. Der inhaltliche Zusammenhang der Mails lege jedoch nahe, dass "Josephine G." und "Ann-Kristin" identisch seien.
In der NPD Schleswig-Holstein gilt "Josephine G." als eine der wichtigen Frauen im Hintergrund. Auf der Homepage des Kreisverbandes Nordfriesland etwa ist sie sehr präsent. Als Louise Andresen das erfuhr, wandte sie sich an die ehemalige Schule ihres Sohnes.
Deren Rektor Knut Jessen konfrontierte J. mit den Vorwürfen. "Sie stritt alles ab", sagt Jessen, der den Fall seinem Vorgesetzten meldete. "Die Vorhaltungen sind bekannt. Es läuft ein Verfahren", sagt ein Sprecher des schleswig-holsteinischen Ministeriums für Bildung und Kultur. Man prüfe derzeit, ob Frau J. Schüler gezielt für die NPD geworben habe. Sollte sich dies bestätigen, könnte ihr eine Suspendierung drohen.
Louise Andresen indessen zog private Konsequenzen: Als ihr und ihrem Lebensgefährten klar wurde, wie tief Karl in der Szene steckte, zogen beide eine Grenze. "Ich war da erst ohnmächtig, doch dann sagte ich ihm, hier sei eine Linie, die er überschritten hätte und die ich nicht tolerieren würde. Das hat ihn geschockt", berichtet Andresen.
Es wirkte. "Er ist raus", sagt sie heute.
Dass ausgerechnet eine Lehrerin ihren Sohn in die Neonazi-Szene zog, kann sie immer noch nicht fassen. Und hofft sehr: "Karl wendet sich denen nicht noch mal zu."
* Namen geändert
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