Insider-Roman: Die Leiden des alten Glabrecht

Der Schriftsteller und Hamburger Kulturbehörden-Mitarbeiter Wolfgang Schömel erzählt in "Die große Verschwendung" von einem Politiker, der eine große Oper am Fluss plant. Die Parallelen zur Realität sind gewollt.

Schreibt über haltlose Männer, die älter werden: Wolfgang Schömel. Bild: Marijan Mura

HAMBURG taz | Der Politiker Dr. Georg Glabrecht (Grüne) ist eigentlich ein beneidenswerter Mensch. Glabrecht ist Wirtschaftssenator in Bremen, 50 Jahre alt, gesund und durchtrainiert. Im Gegensatz zu anderen Führungskräften im Land hat er Zeit, auch noch über etwas Anderes als seine Arbeit nachzudenken. Dieses Andere, das Glabrecht mehr als seine Arbeit beschäftigt, ist die Sexualität. Wobei Glabrecht sich anders ausdrücken würde. Er würde sagen: Sein Leben dreht sich ums Vögeln.

Was das bedeutet, ist nachzulesen in Wolfgang Schömels Roman "Die große Verschwendung". Die Handlung ist schnell erzählt: Verheirateter Senator stürzt sich in eine Affaire mit einer Frau Anfang 30, verliebt sich, gibt seine Ehe auf, wird von beiden Frauen verlassen und steht am Ende alleine da. Fleisch auf die Knochen bekommt der Roman, indem er die Handlung im Politbetrieb des Stadtstaats Bremen ansiedelt: Glabrecht ist verantwortlich für den Bau einer Maritimen Oper an der Weser. Seine junge Liebhaberin arbeitet für den Investor, der die Maritime Oper baut - und die Stadt Bremen im großen Stil über den Tisch zieht.

Selbstverständlich steht die fiktive Maritime Oper für die Hamburger Elbphilharmonie, die die Stadt Hamburg ursprünglich mal 77 Millionen Euro kosten sollte und mittlerweile mindestens 351,3 Millionen Euro kosten wird. Außerdem steht die Maritime Oper für den Bremer Space Park, der als Mischung aus Vergnügungspark und Einkaufzentrum massenweise Touristen nach Bremen lotsen sollte. Die Stadt kam den damaligen Investoren finanziell entgegen und versenkte einen dreistelligen Millionenbetrag: Sieben Monate nach seiner Eröffnung im Februar 2004 musste der Space Park aufgeben. Heute heißt die Immobilie "Waterfront Bremen" und ist ein Einkaufszentrum.

Der Bezug auf reale Großprojekte in Bremen und Hamburg ist in Wolfgang Schömels Roman auf den ersten Blick mehr als nur das Setting der Geschichte. Schömel, 58, arbeitete von 1986 bis 1988 in der Bremer Kulturbehörde und ist seit 1989 Literaturreferent in der Hamburger Kulturbehörde. Seine Schilderungen aus dem Inneren des Politbetriebs gründen auf eigener Anschauung.

Schömel kokettiert mit dem Aspekt der Enthüllung, indem er die Behördenmenschen detailliert schildert - von der Pressereferentin mit taz-Vergangenheit, die sich seit ihrer gut dotierten Anstellung "sogar Schminkzeugs" kaufe, bis zur Leiterin des Bürgermeisterbüros mit den "bemerkenswert großen Titten". Es dürfte einige Behördenmitarbeiter in Bremen und Hamburg gegeben haben, die den Roman mit einer gewissen Anspannung gelesen haben.

Aber als Profi weiß Schömel, was eine Unterlassungsklage ist und wie weit er gehen kann. Besonders weit ist er nicht gegangen: Die Behördenwelt mag kenntnisreich geschildert sein, am Ende ist sie dann doch nur Staffage. Der Schwerpunkt des Romans liegt an anderer Stelle: Im Kern geht es um die Leiden des alten Glabrecht.

Glabrecht leidet, weil er nicht akzeptieren kann, dass sein Körper verfällt, seine Attraktivität abnimmt und sein Verlangen nach Sex zunehmend unbefriedigt bleiben wird. Er leidet, weil er das Leben als einzigen "Kampf um die Erlangung der allgemeinen und speziellen Penetrationserlaubnis" sieht und diese Perspektive selber dürftig findet. Er leidet, weil ihm jene Aufmerksamkeit nicht reicht, die er kriegen kann: Glabrecht will dass eine Frau wie früher in den "Zustand der Anbetung seiner Person und seines Körper verfällt".

Außerdem leidet er an den Marketing-Floskeln, mit denen er bei der politischen Durchsetzung der Maritimen Oper zu tun hat. Glabrecht denkt sich Wörter wie "Erlebnisqualität" aus und hasst seine Mitarbeiter, wenn sie ihm dafür Beifall klatschen. Der "kulturelle Erlebnisraum", dieses "geradezu ekstatisch blöde Wörterpaar", zeigt Glabrecht, "dass bereits das bloße Wort ,Kultur' der denkbar größte Sprachmüll überhaupt" ist, "ein vollkommen inhaltsloser, aber mit diffuser Emphase besetzter Begriffsköder", ausgelegt von "Markt und Politik, um beim Wähler und Konsumenten jeden beliebigen Zweck zu erfüllen".

Glabrecht ist ein sensibler und kluger Mensch, der zwischen Selbstherrlichkeit und Minderwertigkeitsgefühlen oszilliert. Er hasst das Kriecherische seiner Mitarbeiter und stellt sich bei Behördensitzungen vor, wie die Geschlechtsteile der Sitzungsteilnehmerinnen aussehen. Die Millionendeals bei der Maritimen Oper laufen wie nebenbei mit, weil sich Glabrecht mit seiner Arbeit keineswegs identifiziert. "Ich muss diesen Scheiß nun mal machen", sagt er. "Das ist mein Job."

Glabrechts Entfremdung ist auf allen Ebenen perfekt. Seine Geschichte ist die eines 50-jährigen Mannes, der keinen Halt gefunden hat im Leben und als einzige Entität seinen Sexualtrieb erkennt. Dass er als Wirtschaftssenator politisch große Räder dreht, erhöht lediglich die Fallhöhe.

Autor Wolfgang Schömel gibt sich alle Mühe, der Geilheit des Georg Glabrecht sprachlich gerecht zu werden. Die Pornos, die Glabrecht im Internet konsumiert, beschreibt Schömel ebenso explizit und ausführlich wie Glabrechts erotische Phantasien und Erlebnisse. Es wird geleckt, geblasen und gestoßen und es kann auch mal vorkommen, dass von einem "ölig-glänzenden Rohr" die Rede ist. Aber auch eine gelungene Triebabfuhr hilft dem armen Glabrecht nichts.

"Die große Verschwendung" ist das gelungene Portrait eines haltlosen Mannes an der Schwelle zum Altwerden. Noch interessanter stellt man sich den Roman vor, der beschreibt, wie so eine Haltlosigkeit durch zu langes Wirken im Politbetrieb zu Stande kommt. Wolfgang Schömel scheint prädestiniert, ihn zu schreiben.

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