die wahrheit: Zeiträuber in Blau

Thomas Manns Lieblingsstaatsdiener waren die ägyptischen Steuereinnehmer. Denn sie allein besaßen, worüber schon damals niemand mehr verfügte...

...unendlich viel freie Zeit. Unerschöpfliche Zeitreserven haben heute nur noch die allerletzten Mutanten der ägyptischen Steuereinnehmer. Nein, das sind nicht die Bundespolizisten, die Tag und Nacht in großer Zahl auf Flughäfen und an Grenzübergängen herumlungern, um auf Terroristen und "Islamisten" zu warten oder wenigstens jene Menschen anzuhalten, die der Hautfarbe oder der Physiognomie nach nicht ins schneeweiße Schengenweltbild passen.

Richtig viel Zeit haben Streifenwagenbesatzungen - zum Beispiel der Polizei in Frankfurt am Main. Neulich erwischte mich ein Polizistenduo dabei, dass ich nach dem Verlassen der U-Bahn zu Fuß kurz vor zehn Uhr nachts eine völlig auto- und fußgängerfreie Straße trotz Rotlicht überquerte. Ein "Vergehen", das ich tagsüber, wenn Kinder an der Ampel stehen, nie begehen würde. Aber mit diesem Argument kam ich nicht durch bei den Zeitbesitzern vom 11. Polizeirevier: "Wegen: Verstoß Rotlicht Fußgänger" wurde ich "verwarnt", wie es auf der Bescheinigung Nr. 47466689 handschriftlich heißt. Sie nahmen mir 5 Euro ab.

Obendrein musste ich mich ausweisen, was dazu führte, dass einer der beiden Zeitbesitzer mit seinem Computer meine Papiere überprüfte, nachdem er den Personalausweis als "nichtdeutsch" identifiziert hatte. Wenn nicht ein wirklich wichtiger Termin angestanden hätte, der mir mehr bedeutete als die Posse der beiden halbägyptischen Geldeinnahmer und die läppische Summe von 5 Euro, hätte ich mich geweigert, mich auszuweisen, und damit wohl eine Festnahme riskiert.

Für diesen Fall gibt es einen goldenen, international geltenden Rat: Sofort seine Muttersprache verlieren! Damit kann man eine ganze Polizeiwache ganz schön ins Rotieren bringen. Ich habe das vor Jahren einmal in Prag ausprobiert und nur noch mit den Armen gerudert und ein wildes Gemisch aus Französisch, Italienisch und Latein gesprochen. Am Schluss ließen mich die der Lächerlichkeit ihres Tuns überführten Zeitbesitzer in Prag entnervt laufen, nachdem ich als Gegenleistung für den Zeitraub eine monetäre Entschädigung gefordert hatte.

Ein Vorschlag zur Güte an die Zeitbesitzer von der Polizei: Macht euch weniger oft lächerlich - wie bei der Fußgängerjagd zum Beispiel. Das hilft dem Selbstbewusstsein! Konzentriert euch weniger auf Fußgänger als zum Beispiel auf jene Autofahrer, die ihr Gefährt am liebsten auf Rad- und Gehwegen abstellen und damit wirklich gefährliche Manöver für Fußgänger und Fahrradfahrer provozieren.

Oder noch besser: Reserviert in eurem Zeitbudget ein paar Stunden für die Hegel-Lektüre. Der gute alte Georg Wilhelm Friedrich Hegel erwartete von den Staatsdienern "die Aufopferung selbständiger und beliebiger subjektiver Zwecke" wie Betteln, Verkaufen und Herumlungern und dafür die Konzentration auf das Allgemeine und Wichtige - also darauf, was dem Bürger "seine" Ordnungshüter als mehr und anderes denn als Zeitverschwender erscheinen lässt.

Das tut gut und überhaupt nicht weh.

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kari

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