die wahrheit: Schlimme Osterbeine

"Zwei Millionen Touristen über Ostern in Berlin", jubelten die einschlägigen Gazetten. Da half nur eins: Flucht. Zum Beispiel raus zum Wannsee...

...Dort würde kein Tourist auftauchen. Nur hatten leider sämtliche Berliner genau das Gleiche gedacht. Und mit der S-Bahn kommt man überall hin - bis in die Hölle. Ich aber hätte schon im ersten Zug die Warnung ernst nehmen sollen, als ein verquollenes Wesen allen stolz seine Tätowierung auf dem Arm zeigte: "Mementi Mori", stand da in großen, bläulichen Lettern, was vermutlich "Memento Mori" heißen und der Toten gedenken sollte, aber das Lateinische kennt der Tätowierte nur vom Hörensagen.

Über die hohen Feiertage werden in Berlin gern die Verwahrhäuser des Elends, die Haft- und Hirnanstalten geöffnet. Ein grobschlächtiger Glatzkopf führte die Parade der lebenden Leichen an: "Ich habe schlimme Beine und muss am Fenster sitzen", schrie der irre Klotz mich, zehn Zentimeter von meinem Gesicht entfernt, an. "Nein!", knurrte ich, was der naziöse Schädel nur als Aufforderung verstand, noch lauter zu schreien. Also plusterte ich mich vor ihm auf, und der Schlimmbeinige erkannte die Grenze, hinter der sein Verderben lag. In dem Moment meldete sich ein Herzchen von Student gütig zu Wort: "Sie können meinen Platz haben." Doch die Glatze nutzte die Gunst der studentischen Einfalt und rief: "Den will ich nicht!" Der ganze Waggon lachte die beiden Tölpel aus.

Zu Ostern glaubt der gemeine Berliner, aller Welt sein käsiges Winterfleisch darbieten zu müssen. Was da an mehligen Stempeln durch die Gegend stapft und stampft, ist schier unglaublich, aber nichts gegen den Höllenboten, der nun auftrat. An einer Krücke lahmend erschien ein schrumpeliges Geschöpf im Wagen und kreischte gleich los, dass er "Geld braucht für einen neuen Fußverband". Dabei hätte er nur eine Station in die andere Richtung fahren müssen, dort gibt es eine stadtbekannte Ambulanz für Notfälle, die er sicherlich kannte. Lieber aber schikanierte er Unschuldige mit dem bestialischen Gestank, der ihn umwehte. Das war Aas! Er verweste bei lebendigem Leib!

Durch die Menge ging eine Woge des Würgens, als sich die Türen schlossen und alle gefangen waren. Verzweifelt flüchtete ich, verfolgt vom Odeur des Zombies, bis ans Ende des Abteils, wo ich den Hauch des Todes bald direkt hinter mir spürte. Ich versuchte umzukehren, ohne den Teufel anzusehen, doch dabei stieß ich ungeschickt an seinen Fuß, der nur von einem suppenden Verband zusammengehalten wurde. "Aaaaaaaaah!", heulte der Verwesende auf. Seine infernalische Ausdünstung hing lange in der Nase, wie seine letzten Worte im Ohr nachhallten: "Du verdammter Hurensohn!"

Berliner sind traditionell brutale Belästiger. Die Elendesten ihrer Sorte aber erinnern an Becketts fluchende Figuren und ihre Verwünschungen: "Ich wünsche allen ein abscheuliches Leben und im Jenseits das Feuer und Eis der Hölle." Und so grenzt es jedes Mal wieder an ein Osterwunder, aus dem Abgrund namens Berlin unbeschadet zurückgekehrt zu sein.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.