Kolumne Habseligkeiten: Wir brauchen 97 Sachen. Dringend!

Welche Dinge braucht der moderne Mensch? Und wer bestimmt das eigentlich am Ende?

Das große Geheimnis, weshalb sich selbst Menschen mit Einkommen verschulden, die eigentlich zum behaglichen Auskommen reichen sollten, wurde mir vor ein paar Tagen von einem wohlwollenden Freund mitgeteilt, nachdem ich traurig aus der Bank schlich. Der miese Kontostand käme daher, dass Menschen mit ihrem Alltag unzufrieden seien und sich vom Kauf diverser Dinge Verbesserungen, ja gar Linderung versprechen.

"So ist das", dachte ich und verstand auf einmal, was bei mir bisher falsch gelaufen war. Denn wie viele Frauen, die zu häufig zu H&M gehen, ist auch mein Konto gelegentlich überzogen. Dabei würde ich mich gar nicht als Hammerkonsumentin bezeichnen, sondern als recht unschlüssige Zeitgenossin, die nur das anschafft, was sie wirklich braucht. Als solche bin ich sehr empfänglich, wenn mir jemand eine Liste in die Hand drückt, was dieses Brauchen eigentlich beinhaltet. Auf meiner eigenen Einkaufsliste stehen momentan lediglich zwei Sachen: ein kleines Billy-Regal und eine Luftpumpe. Keine Ahnung, wo meine alte geblieben ist. Mit den Pumpen und den Rädern verhält es sich wie mit den Antennen auf Autos, eigentlich wird jedes mit einer ausgerüstet, dennoch werden diese Gegenstände gestohlen.

Ich glaubte also, nur zwei Dinge zu brauchen, als ich vom Zeit Magazin 100 Vorschläge erhielt, was in eine Wohnung gehörte. Unsere kleine Familie brauchte dringend noch ungefähr 97 Sachen! Zum Glück stand das Billy auch auf dieser Liste, sonst wären es gleich 98 gewesen. Mein armes Konto! Mir fehlte vom Bic-Feuerzeug über die Spezialcreme, dem richtigen Föhn, dem Mülleimer mit Schwenkklappe, eigentlich alles. Zum Glück sah das eheliche Bett aus, wie das auf der Abbildung, die Taschenlampe war von der richtigen Marke und das Ikea-Regal wäre nicht unser erstes gewesen. Mein Hollandrad, der Fernseher, die elektrische Zahnbürste - alles falsch!

Wie konnte das passieren? Wir haben doch schon ein Tablett von Manufactum. Und eine Isolierkanne aus demselben Laden, der übrigens bei dieser Art Listen immer gut wegkommt, obwohl das Sortiment durchweg aus Überflüssigem besteht. Wir besitzen einen Duschvorhang und einen zweisitzigen Fahrradanhänger. All diese Dinge erleichterten unser Leben und waren dennoch Fehlkäufe? Was wäre, wenn ich nun, sagen wir mal, wie angeraten die Paddle Brush von Aveda kaufte, nur damit mir später meine Friseurin sagt, mit meinem Spliss bräuchte ich die von Denman? Früher fragten wir in solchen Fällen uns bekannte "Stiftung Warentest"-Abonnenten, was zu allerlei Vernunftsentscheidungen führte. Außerdem: Sollten wir uns nicht besser nach "Ökotest" richten?

Unsere Entscheidungsunfähigkeit scheint ein Problem, das wir mit den meisten anderen unser Generation teilen. Immerzu fürchten wir, etwas zu verpassen, die schickere Hose, die coolere Handtasche. Um dieses Problem zu umgehen, kaufen wir doppelt so viel, wie wir brauchen. Oder selbst das Nötige nicht. Ich habe beschlossen, erst einmal nicht in Panik zu verfallen. Denn am Ende fehlen mir nur zwei Dinge wirklich: eine Luftpumpe und ein Billy-Regal.

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