Spiegel-Autor Kurbjuweit über Kisch-Preis: "Man muss reden"

Der Journalist und Autor Dirk Kurbjuweit verteidigt seinen "Spiegel"-Kollegen Pfister. Szenische Rekonstruktionen sind in Reportagen legitim.

Erst verliehen, dann diskutiert: René Pfister (li) bei der Preisübergabe. Bild: dpa

taz: Herr Kurbjuweit, in Ihrer für den Egon-Erwin-Kisch-Preis nominierten Reportage über die Redaktion der FAZ beschreiben Sie 1999 sehr anschaulich die Jagderlebnisse des Redakteurs Eckhard Fuhr, ohne dabei gewesen zu sein. Es wirkt nur so. Finden Sie einen solchen Einstieg legitim?

Dirk Kurbjuweit: Er war legitim, da im nächsten Absatz stand: "So erzählt es Eckhard Fuhr." Leider wurde dieser Satz gekürzt.

Haben Sie den Satz gekürzt?

Nein, nicht ich. Es war meine erste Geschichte für den Spiegel, und leider hatte ich nicht das Standing und die Kraft, durchsetzen zu können, dass dieser Satz drinbleibt.

Würden Sie von Ihren Reportern verlangen, dass sie diese Kraft haben, zu sagen: "Nein, dieser Halbsatz muss rein."

Ja, wenn sie meinen, dass dieser Satz angebracht ist, dann sollten sie dafür kämpfen.

Dirk Kurbjuweit, 1962 geboren, seit 1999 beim Spiegel, dessen Hauptstadtbüro er heute leitet. 1998 und 2002 erhielt Kurbjuweit den Kisch-Preis, zudem schrieb er mehrere Sachbücher und Romane.

Die Anforderungen an den Kisch-Preisträger sind laut der Homepage des Preises klar. Es gehe um Geschichten, "die vom Autor erlebt oder beobachtet" wurden. Ihr Mitarbeiter René Pfister hat Seehofers Eisenbahn nicht beobachtet. Also hat er gegen die Regeln verstoßen, oder?

Nein. Es gibt kaum eine Reportage, in der der Autor alles selbst erlebt hat. Das erwartet auch die Kisch-Jury nicht, wie sie es ja in vielen Entscheidungen der vergangenen Jahre dokumentiert hat. Auch diese Reportage von René Pfister besteht teils aus Selbsterlebtem, teils aus Dingen, die ihm mehrere Quellen erzählt haben, auch Gelesenes fließt ein.

Das kritisiert ja die Jury nicht. Sie kritisiert: Pfister mache nicht deutlich, dass er diese Szene nicht selbst erlebt hat.

Anders als ich damals, hat er eben nicht anschaulich beschrieben, die Schilderung ist nicht nahe, nicht dicht. Es ist eine allgemeine Szene, keine konkrete.

Es steht da etwa: "Er steht dort am Stehpult, und die Figuren setzen sich in Bewegung, wenn er den Befehl dazu erteilt." Das ist doch sehr lebendig.

Die Geschichte beginnt so: "Ein paar Mal im Jahr steigt Horst Seehofer in den Keller seines Ferienhauses …" In meinen Augen ist das keine lebendige Schilderung. Wäre Pfister dabei gewesen und hätte mir dies so abgeliefert, hätte ich ihm gesagt: "Das kannst du besser." Pfister hat nicht versucht, den Eindruck zu erwecken, er sei dabei gewesen.

Müsste die Jury nach ihren Kriterien nun nicht vielen den Preis aberkennen?

Wenn man genauso dächte wie die Jury, dann müsste das wohl so sein. Ich finde: Wenn sich die Jury konsistent verhielte, würde sie René Pfister den Preis lassen.

Claudius Seidl hat in der FAZ schon vor einem Jahr dieses Hineindenken in die Gedanken von Akteuren in vielen Reportagen, auch preisgekrönten, kritisiert. Liegt er richtig?

Es kann ein kompetentes Hineindenken geben. Das setzt aber eine gründliche Recherche voraus. Man muss oft mit dem Porträtierten geredet, ihn oft beobachtet haben - und viel mit Leuten gesprochen haben, die ihn gut kennen, Freunden und Gegnern.

Müsste der Spiegel nach den Jury-Argumenten nicht zukünftig viele Reportagen anders schreiben als bisher, also weniger oder nur klar gezeichnete "szenische Rekonstruktionen"?

Die Rekonstruktion ist eine der wichtigsten Formen für den Spiegel, gerade in der politischen Berichterstattung, weil es nicht möglich ist im politischen Betrieb, immer dabei zu sein. Die interessantesten Szenen spielen sich oft hinter verschlossenen Türen ab - unser Leser muss aber erfahren, wie es zu Entscheidungen gekommen ist. Wir reden mit vielen Beteiligten, damit wir ein möglichst komplettes und widerspruchsfreies Bild erhalten von dem, was geschah.

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