Theaterfestival "Odyssee: Heimat": Aufbrechen und Ankommen
Welche Bedeutung die Heimat heute hat, versuchte bis Pfingsten das Stadttheater Bremerhaven zu ergründen. Trotz manch unbeantwortet bleibender Frage eine vielversprechende "Odyssee".
BREMERHAVEN taz | "Heimat" - so definiert ein Schild einige Quadratmeter des Theodor-Heuss-Platzes: ein grellgrünes Teppichgeviert, mit Liegestühlen als Urlaubswiese inszeniert, von Lattenzäunen aus dem Gartenzwerg-Milieu umstellt, abgetrennt vom Huschhusch der Wirklichkeit. Heimat als abgesicherte Rückzugsoase zum privaten Seele-baumeln-Lassen?
Mit dieser Open-Air-Installation lockte das Theaterfestival "Odyssee: Heimat" bis Pfingstsonntag zum gleich gegenüberliegenden Stadttheater. Untersucht wurde drinnen seit dem 4. Juni, welche Bedeutung Heimat noch hat in einer Welt hin und her migrierender Menschen. "Für viele ist es nunmehr der Ort, wo man abends den Kopf zum Schlafen niederlegen kann", so beantwortet es Festivalleiterin Natalie Driemeyer.
Bremerhavens Schauspiel hat in der ersten Spielzeit der Intendanz Ulrich Mokruschs bereits mit zeitgenössischen Theaterästhetiken den Themenkomplex Migration und Identität fokussiert. Und so war die Veranstaltungsreihe nun kein finales Anhängsel-Event, sondern vielmehr Kulminationspunkt der Saison. Mit einem gut gepolsterten 100.000 Euro-Etat konnte sich das Haus noch einmal der Stadt, der multikulturellen gesellschaftlichen Realität öffnen, seis mittels Gastspielen - vornehmlich aus Berlin -, Kooperationen mit der freien Szene, Eigenproduktionen, einem Symposium, Kunst-Getüdel oder auch Partyangeboten.
Viele Aufführungen zeigten, dass Migranten - der wievielten Generation auch immer - mit ihrer Kultur und ihren Geschichten zwischen den Kulturen als Thema durchaus angekommen sind am deutschen Theater. Und dass sich ihre Stoffe nicht mehr auf Problemklischees wie Ehrenmord, Kopftücher und Zwangsheirat reduzieren lassen.
Damit das so bleibt, hatte das Festival einen Preis ausgeschrieben, den schließlich "The Diamond Stars" erhielt. Darin analysiert die Israelin Maya van den Heuvel-Arad den gesellschaftlichen Status zweier Flüchtlinge aus Sierra Leone, die sich in den Niederlanden als Fensterputzer durchschlagen.
Wir hätten dieses Heimat-Gefühl noch nicht, "Bewohner eines globalen Dorfes zu sein", heißt es in dem Text "In meinem Hals steckt eine Weltkugel", uraufgeführt jetzt in Bremerhaven. Autor Gerhard Meister hatte von der Festivalleitung einen Stückauftrag erhalten, reiste an, wurde an den sozialen Brennpunkten Bremerhavens ausgesetzt, mit Einwanderern zusammengebracht, wollte dann aber nicht einfach das "Modethema" bedienen, empfand es geradezu als Bevormundung, wenn er, Schweizer ohne Migrationshintergrund, den Zuwanderern eine Stimme geben sollte.
So schrieb Meister über das, was ihn an am meisten irritiert hat: "Sieben Millionen Europäer flüchteten über Bremerhaven in die neue Welt, mit dem Auswandererhaus hat man ihnen ein Denkmal gesetzt, aber es könnte auch Haus des Wirtschaftsflüchtlings heißen." Weiter zugespitzt klingt das dann so: "Die einen gingen von hier fort / die anderen kommen hierher / Den einen baut man ein Museum / den anderen ein Gefängnis / die einen sind Helden / die anderen Kriminelle."
"Wenn schon ein Drittel der deutschen Bevölkerung einen Migrationshintergund hat, dann sollte sich das auch im Theateralltag spiegeln", wünscht sich Natalie Driemeyer. Aber wie lässt sich die Internationalität ins Theater holen? "Wir möchten ja keine Quoten-Ausländer", das ist der Festivalleiterin wichtig, "und stellen auch nur nach Qualität ein."
Das Ergebnis: Von jenseits der Festung Europa hat es bisher keiner ins Bremerhavener Schauspielensemble geschafft, als einzige Migrantin ist eine Österreicherin auszumachen. Aber will man das überhaupt, dass Ausländer nicht nur Ausländer spielen, sondern ein Kurde den Faust, ein Kasache den Hamlet? Wie entgeht man dem Problem, dass multikulturalisierte Besetzungen inhaltlich interpretiert werden?
Ein Theater mit Migranten wird wohl noch auf sich warten lassen. Das Theater über Migranten hingegen boomt, wie auch das Festival "Odyssee: Heimat" zeigte. 3.000 Besucher kamen an neun Tagen. Migranten selbst waren wenige darunter. Muss sich das ändern? Intendant Ulrich Mokrusch bleibt forsch: "Auch diesem Publikum wollen wir uns öffnen."
Könnte gar die Festung Theater nicht gar so etwas wie Heimat werden, als gemeinsame Feier des künstlerisch und kulturell Differenten? Schluss mit all den Fragen, weiter in der Arbeit: Die nächste Bremerhavener "Odyssee" soll in zwei Jahren beginnen.
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