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CSD in BerlinMachs wie die alten Griechen

700.000 Menschen kamen zur Christopher-Street-Day-Parade. Politische Statements verzierten ein durch und durch kommerzialisiertes Event.

Und voll war's auch - wie jedes Jahr. Bild: dpa, Maurizio Gambarini

Ein Meer von Köpfen umspült die Siegessäule. Es ist so breit, dass man das andere Ufer nur erkennt, weil dort das Brandenburger Tor hervorragt. Hunderte Feierwütige laufen dem Wagen von GMF, einer Kult-Partyreihe der Schwulenszene, hinterher und strecken ihre Arme nach oben, als er unter lauter Technobeschallung in die Straße des 17. Juni abbiegt. GMF-Geschäftsführer Bob Young lässt eine goldene Discokugel an einer Kordel kreisen und ruft: "Kommt heute Abend alle zur Closing Party ins Weekend am Alexanderplatz!"

Young ist eine bekannte Größe in der Partyszene. Ende der 80er kam er, in einem kleinen Ort in Missouri geboren, nach Berlin und machte sich schnell als Partybetreiber und Clubbesitzer einen Namen. Feiern und eine politische Message verbreiten schließt sich für ihn nicht aus: "Es geht nicht nur ums GMF, sondern um eine Partykultur, die sehr positiv für Berlin ist und für die Identität von Homo- und Bisexuellen. Dass man sagen kann, man ist schwul, man mag seine Sachen und man bekommt Anerkennung und Respekt."

Ein Transparent auf dem GMF-Wagen befindet "Vor 2000 Jahren gings doch auch" und spielt damit auf die Akzeptanz von Homosexualität in der Antike an. Ein praktisches Motto, denn die bis zu hundert fitnessstudiogestählten Tänzer können trotz luftiger Gewänder und goldener Lorbeerkränze ihre - um in der antiken Mythologie zu bleiben - Adoniskörper zur Schau stellen. Ein passendes Motto zudem, denn im klassischen Zeitalter bedeutete es eben keinen gesellschaftlichen Affront, wenn am Rande der Olympischen Spiele gleichgeschlechtliche Liebe praktiziert wurde.

Die Akzeptanz von Homo- und Bisexuellen im Sport stand beim diesjährigen CSD, einen Tag vor dem Beginn der Fußballweltmeisterschaft der Frauen, im Vordergrund. "Fairplay für Vielfalt!", so das Motto. Der Zivilcouragepreis ging an Tanja Walther-Ahrens, die sich seit Jahren für die Bekämpfung von Homophobie im Fußball einsetzt, sowie an die Sportverbände "Federation of Gay Games" und "Gay and Lesbian International Sports Association".

Die CSD-Veranstalter stellten aber auch andere Forderungen, die darauf aufmerksam machen sollen, dass Homosexuelle in der Gesellschaft weiter für Gleichstellung kämpfen müssen. Sexuelle Menschenrechte sollen als globale Spielregeln gelten, die verfolgten Homosexuellen in Deutschland rehabilitiert, "Regenbogenfamilien" gleichgestellt sowie Versorgung und Akzeptanz von HIV-Erkrankten in Berlin verbessert werden. Der CSD braucht solche Forderungen auch, weil mittlerweile auch aus der Schwulen- und Lesbenszene heraus die Kritik an der Entwicklung zur bunten und kommerzialisierten Karnevalsparade lauter wird. Beim CSD 2010 war es zum Eklat gekommen, als die Gendertheoretikerin Judith Butler den Zivilcouragepreis ablehnte und den CSD-Machern Rassismus unterstellte.

Wenn man sich die Wagen von Ikea ("Anders? Gut so!") oder dem Daimler Financial Service ("The Road to Success") ansieht, mit denen die Firmen recht durchschaubar versuchen, ihrer Corporate Identity einen Toleranztouch zu verleihen, fragt man sich tatsächlich, ob der CSD nicht eine allzu willkommene Promotionplattform geworden ist. Auch Parteien machen sich die Parade zunutze, allen voran die FDP, die nach zehn Jahren wieder einen heterosexuellen Vorsitzenden hat und das auszugleichen sucht, indem sie sich die Aufkleberhoheit auf dem CSD sichert: "Ich bin frei" oder "Mach dich frei" steht auf abertausenden gelb-blauen Stickerherzchen, die sich viele CSD-Besucher aufgepappt haben.

"Jeder weiß, dass der Christopher Street Day in Berlin eine große kommerzielle Veranstaltung ist", sagt auch Young. Dennoch wirkt sein eigener Wagen im Vergleich zu denen der Großindustriellen authentisch. Das mag daran liegen, dass der GMF-Wagen bereits seit über einem Jahrzehnt beim CSD mitrollt. Man kann aber auch Young beim besten Willen nicht vorwerfen, nur zu Werbe- und Profitzwecken beim CSD mitzumachen, wenn man sieht, wie er freudestrahlend mit seinen Stammgästen über den Wagen tanzt.

Auf halbem Weg zwischen Säule und Tor kommt der im Schneckentempo fahrende GMF-Wagen völlig zum Stillstand. Während vorne auf der Bühne das CSD-Finale steigt und auf dem Wagen immer noch wild getanzt wird, ist Bob Young schon abgesprungen. Er wird ein paar Stunden später bei der von ihm veranstalteten Closing Party bis in die Morgenstunden mitten unter seinen Gästen sein - so wie jedes Jahr, so wie an jedem Wochenende.

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14 Kommentare

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  • P
    PaScha

    Sebastian Fischer:

    Wenn Sie live vor Ort waren, haben Sie sich dann auch mal genauer umgeschaut?

    Scheint mir leider nicht so!

    Dann hätten Sie zum Teil auch mal gesehen, das einige Heteros die anwesend waren, auch hier wieder rumgepöbelt haben.

    Warum wir auf die Straße gehen?

    Weil wir in vielen Teilen immer noch nicht gleichgestellt sind.

    Kommerz hin oder her, es braucht so lange solch einen Umzug, bis nicht nur in Deutschland sondern Weltweit die akzeptanz von uns endlich in den Köpfen eines jeden angekommen ist!

    Beim nächsten mal schauen Sie doch bitte genauer hin, was für einzelne Gruppen anwesend waren und ne erwähnung verdienen!

  • T
    Thomas

    Kein Wort zum tCSD, Verschweigen der Fußgruppen, des Kernthemas, der weiteren Forderungen (die übrigens durch ein basisdemokratisches Forum aufgestellt wurden) und der Mahnwache vor der russischen Botschaft.

     

    Dafür eine "Truck-Story" über einen der größten Zechpreller unter Berlins Homo-Gastronomen, dessen Partys auch noch der Gipfel allen normativen Hipstertums und Schönheitswahns sind!

     

     

    Hallo taz? *an die Glasfront in der Rudi-Dutschke-Str. klopft* Sind bei euch noch echte Redakteure anwesend? Oder wird der Laden nur noch durch Praktikanten geführt? Ok, nichts gegen Praktikanten in den Redaktionen.

     

    Aber bitte: Schickt sie vorher zum Hospitieren in die Axel-Springer-Str! Da lernen sie wenigstens noch journalistisches Handwerk. Und wenn das linke Weltbild der Praktis anschließend noch intakt ist, könnt ihr sie auch getrost aufs Blatt loslassen. Vielleicht kommen dann Mal ein paar brauchbare Artikel dabei raus.

     

    Bis zum CSD 2012 ist ja jetzt ein Jahr Zeit. Der nächste CSD findet übrigens am 29. Juni 2012 statt. Warum? Weil der CSD in Berlin immer am letzten Samstag im Juni stattfindet? Und warum das? Lest Mal die BILD, die hat es raus bekommen. Recherche!

  • N
    Norbert

    Der CSD ist zu kommerziell? Warum berichtet die taz dann ausgerechnet länglich über einen Partywagen?

     

    Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, und das ist nur EIN Beispiel, die Gruppe von LGBT-Russen und ihren Freunden vorzustellen, die mit den Bildern des CSD Moskau mitmarschierten und am Abend vor der russischen Botschaft demonstrierten. Und dort auch auf den CSD in St. Petersburg eingingen, der am gleichen Tag stattfand und wie in Moskau mit Verhaftungen und Gewalt endete.

     

    Der Terminhinweis dazu lag der taz vor.

  • H
    harry

    Wichtig wäre ein CSD-Umzug dieser Art nur dann noch, wenn in Artikeln wie diesem - und besonders in einer Zeitung wie dieser - wenigstens noch auf den Ursprung der Verahnstaltug hingeweiesen würde. (Den gewaltsamen Widerstand gegen Polizeirazzien in New Yorker Schwulen Bars der Christopher Street 1969) stattdessen werden die hässlichsten Parteinamen aufgelistet. Den "alternativen csd" hätte ich, wie andere Kommentatoren auch schon betonten, in diesem Artikel auch erwähnt wissen wollen.

  • M
    Marcus

    @alabasta

     

    "Außerdem gibt es auch in Berlin eine zunehmend latente bis offene Diskriminierung gegen Homo-, Bi- und Transmenschen."

     

    Stimmt:

     

    Einige Bezirke sind nicht nur Nachts gefährlich.. Wedding, Kreuzberg, Neukölln.... was man da teilwiese an "intoleranten" Übergriffen erleben kann ist schlimm...;-(((

  • G
    gunT19

    Super! Die CDS- Olympiade mit dem 100meter lauf für Heckeinsteiger. Ziel: Wowie`s Aftercase.

  • A
    alabasta

    Sicher ist der CSD mittlerweile vom Kommerz dominiert und als wichtiger Wirtschaftsfaktor akzeptiert. Dennoch wurden bei dem CSD 2011 zwischen den großen Wagen von kleinen Gruppen und Einzelpersonen durchaus wichtige menschenrechtspolitische Botschaften unter das gaffende Volk gebracht. Die gesamte Gesellschaft wird dem Kommerz unterworfen - beim Fußball stört das doch auch keinen. Außerdem gibt es auch in Berlin eine zunehmend latente bis offene Diskriminierung gegen Homo-, Bi- und Transmenschen.

  • WB
    Wpöfgang Banse

    Mit der CSD wurde kein Problem gelöst

    Der Stadtstaat Berlin,zugleich Bundeshauptstadt entwickelt sich immer mehr zur Partymeile,Partyzone der Republik.Die Partys bringen der Hotelerie und Gastronomie Geld,andere Bereiche profitieren nicht davon.

    Berlin entstehen unnötige Kosten,was das Abfahren des Müllsa anbetrifft.

    Wenn die Partys mit dazu beihelfen würden,dass Obdachlosigkeit,Erwerbslosigkeit,Armut,Verwahrlosung gemindert werden würde.dsnn könnte man den Events zu stimmen.Außer Show und Partystimmung blieb alles beim alten,was Berlin und seine Problematik betrifft.

  • M
    maurus

    ich find's peinlich, sich ausführlichst über die politikferne und kommerzlastigkeit des mainstream-csd auszulassen, ohne den TCSD auch nur in einem nebensatz zu erwähnen: widde, widde, wit! oder habt ihr euch zu sehr erschreckt, dass eine der gefühlten 15 zwischenkundgebungen in diesem jahr direkt vor eurem 'verlagshaus' stattfand?

  • WB
    Wolfgang Banse

    Party,Party und kein Ende

    Berlin wird zur Partyzone erklärt,was den CSD und andere Aktionen auf Berlins Straßen betrifft.

    Will man anhand dieser Partys darüber hinweg sehen,dass der Stadtstaat,die Bundeshauptstadt Berlin keine Probleme hat,wie hohe Erwerbslosigkeit,Armut,Verwahrlosung.

    Wieviel Tonnen Müll müssen immer nach solchen Partys aufs Berlins Straßen entsorgt werden.Wie hoch sind die finanziellen Kosten die solche Events mit bringen.Profitieren tut die Gastronomie,andere

    Bereiche wie Bekleidungsgeschäfte nicht.

    Vielleicht sollte auch eine andere Großstadt mal Ausrichter dieser Art von Events werden,denn wie gesagt Partystimmung ist in Berlin auf Grund der desolaten Situation die das land ,die stadt hat nicht angesagt.

  • WB
    Wolfgang Bieber

    CSD-Paraden sind vor allem ein Zeichen für einen selbstbewussten Umgang mit Homosexualität. Klar wird hier gefeiert und einige Kostümierungen sind sicherlich fragwürdig. Aber auch politisch-gesellschaftlich gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Auch darauf wird beim CSD aufmerksam gemacht. Und wem der CSD too much oder nicht seriöse genug ist, kann sich ja gern an den anderen 364 Tagen des Jahres entsprechend engagieren:

    http://bit.ly/iV7B92

  • T
    Toby

    Seit Wochen muß ich mir erzählen lassen, ich würde für die Emanzipation der Frau kämpfen, wenn ich es mit meiner Zeit und meiner Kohle unterstütze, daß der Fußballkommerz jetzt um weibliche Produktträger ergänzt würde und bald auch Frauen mit Ballspielen zu Millionären werden könnten ohne für die Allgemeinheit auch nur irgendwas geleistet zu haben. Außer Ballspielen halt.

    Wenn die Gaycommunity nun, statt Steine zu werfen, Techno trötet, soll das kritikwürdig sein, weil es nicht politisch sei? Ballspielen ist politisch, Tanzen nicht?

    Also ehe sich nicht die gesamte weibliche Fußblallnationalmannschaft auf den Rasen setzt und nicht wieder aufsteht, ehe beispielsweise der letzte Deppenstaat wirksam und nachvollziehbar Beschneidungen von Mädchen verboten hat und verfolgt, sehe ich echt nicht, warum man über die politische Legitimation der Bums- und Hoppelparty auch nur zwei Takte lang diskutieren sollte.

  • H
    Hannes

    Dafür gibt es ja den alternative CSD jedes Jahr in Kreuzberg... komisch dass der überhaupt nicht erwähnt wird im Artikel..

  • R
    Richard

    Auf der Großdemo in Heiligendamm waren es etwa 70.000 Leute, die gegen die G8 demonstriert haben. Und das waren Leute aus ganz Europa. Beim CSD waren es 10mal soviel. Hieran sieht man ganz gut, dass die Reformisierung des Kapitalismus die Linke bedeutungslos gemacht hat. In den letzten 10 Jahren hat doch nichtmal die Anti-Atom-Szene so viele Leute auf die Beine bringen können. Die sexuellen Präferenzen scheinen in dieser Gesellschaft mit Abstand die wichtigste Thematik zu sein. Und dabei gibt es nur noch auf wenigen Gebieten tatsächlich eine Diskriminierung zu geben. Gibt es über dieses Phänomen evtl. Schriften von irgendwelchen Sozialwissenschaftlern?