Das Ende von Weimar: Protzen bis zum Untergang
1931 löst der betrügerische Konkurs des Nordwolle-Imperiums in Deutschland die Bankenkrise aus. Im Mittelpunkt des Skandals: die angesehene Bremer Kaufmannsfamilie Lahusen.
Wer mit dem Zug von Bremen nach Oldenburg fährt, kommt kurz vor dem Delmenhorster Bahnhof dicht an einer imposanten Backsteinfassade entlang. Reisende ohne Kenntnis der lokalen Industriegeschichte fragen sich oft, was sich dahinter wohl verbirgt.
Vordergründig handelt es sich bei dem dahinter liegenden, riesigen ehemaligen Industrieareal um eines der bedeutendsten Zeugnisse gründerzeitlicher Fabrikarchitektur in Europa: um die Reste der Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei, kurz Nordwolle, die einst ein Viertel des Weltwollhandels auf sich vereinigte.
Während dieser Teil der Geschichte nach dem Ende der Produktion 1981 in einem Fabrikmuseum konserviert wird, ist ein anderer Teil erst in den letzten Jahren wieder ans Licht der Öffentlichkeit gerückt - seit der Zusammenbruch der internationalen Finanzmärkte die westliche Welt nachhaltig erschüttert hat. Denn hinter der alten Fassade am Bahndamm hat sich vor genau 80 Jahren der größte Wirtschaftsskandal der Weimarer Republik ereignet.
Die Vorfälle in Delmenhorst leiteten 1931 nicht nur die bis dahin größte Bankenkrise Deutschlands ein, sondern indirekt auch das Ende der ganzen Republik. Mit einer Mixtur, die sich bis heute nicht sehr verändert hat: wirtschaftliche Gier, Großmannssucht und politische Naivität.
Hauptdarsteller des Schurkenstücks: die einst hoch angesehene Bremer Kaufmannsfamilie Lahusen. Deren Dynastie wird im Rückblick gern in drei Phasen eingeteilt: die Gründer, die Mehrer, die Zerstörer.
Gegründet wurde die Nordwolle 1884 von Martin Christian Leberecht Lahusen, dem bereits eine Wolle verarbeitende Firma in Böhmen gehörte. Wegen der Zollpolitik der Hansestadt Bremen baute Lahusen seine Fabrik außerhalb des Stadtgebietes auf. Nach und nach entstand in Delmenhorst eine Stadt in der Stadt - neben den Produktionshallen mit den schrägen Dächern und dem Maschinenhaus erhielt jeder Fabrikangehörige die Unterkunft, die seinem Stand zugedacht war: von der Chef-Villa über Beamtenhäuser, Arbeiterunterkünfte bis zum Mädchenwohnheim. Komplettiert wurde das Ensemble von zahlreichen Wohlfahrtseinrichtungen wie der Badeanstalt und dem Konsumverein.
Unter der Ägide von Christian Lahusens Sohn Carl mauserte sich das Unternehmen zum Global Player. Doch auf den Mehrer folgte der Zerstörer - und das war G. Carl Lahusen, der nach dem Tod des Vaters den Konzern 1921 mit seinen Brüdern Heinz und Friedel übernahm.
Der "Spielertyp", wie er von Zeitgenossen beschrieben wird, verließ den schmalen Pfad hanseatischer Zurückhaltung und begann hemmungslos zu expandieren und zu protzen. Für seine unternehmerischen Zukäufe und privaten Eskapaden fand der charmante Plauderer lange Zeit willige Kapitalgeber.
Die wurden auch nicht misstrauisch, als er sich Ende der 20er Jahre zwei überdimensionierte Repräsentationsbauten leistete: eine neue Firmenzentrale im Bremer Stadtzentrum (das heutige "Haus des Reichs") und das schlossartige Gut Hohehorst in Bremen-Nord. Das Bremer Bürgertum war so beeindruckt, dass es den Clan-Chef noch 1930 zum Präses der Handelskammer machte.
Da hatte es den Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse bereits gegeben, und die US-amerikanischen Banken begannen, ihr Geld aus Übersee abzuziehen - vor allem aus Deutschland. Auch von Lahusens Hausbank, der Darmstädter und Nationalbank, kurz Danat-Bank genannt. "Die Danat-Bank war das Institut, das die Gelder für die Expansion der Nordwolle zum Großkonzern auf den ausländischen Kapitalmärkten besorgt hat", sagt Hans-Hermann Precht, Wirtschaftshistoriker und künftiger Leiter der Nordwolle-Museen.
Das Geld kam insbesondere aus den USA. Mit dem Abzug dieses Kapitals gerät die Danat-Bank unter Druck und interessiert sich erstmals dafür, ob ihre Gelder bei der Nordwolle auch sicher sind. Eine Zeitlang gelingt es Lahusen, eine Bilanzprüfung zu verhindern. Doch dann muss er seine Bücher für die Prüfer der Danat-Bank öffnen.
Und die fördern Schockierendes zutage: G. Carl Lahusen hat jahrelang die Bilanzen gefälscht und den Aktienkurs manipuliert. Der Konzern ist hoffnungslos überschuldet. Vom Chef der Danat-Bank, dem Lahusen-Freund Jakob Goldschmidt, ist der Aufschrei übermittelt: "Die Nordwolle ist hin, die Danat-Bank ist hin, die Dresdener Bank ist hin, ich bin hin."
Trotz einer 30 Millionen-Spritze des Bremer Senats muss die Nordwolle am 11. Juli Konkurs anmelden. 25.000 Arbeitnehmer in ganz Deutschland, davon allein 4.000 in Delmenhorst, verlieren ihren Job. Am 17. Juli wird G. Carl Lahusen wegen Bilanzfälschung verhaftet. "Durch das Bremer Bürgertum ging ein Schock", sagt Hans-Hermann Precht.
Nachdem die zahlungsunfähige Danat-Bank am 13. Juli geschlossen wird, stürmen die Menschen überall in Deutschland die Sparkassen, um ihre Ersparnisse zu retten. Schon am Mittag des gleichen Tages sind die Kassen leer. Die Regierung verordnet, dass alle Banken zwei Tage geschlossen werden. Deutschland hat die größte Bankenkrise seiner Geschichte.
"Ich möchte schon sagen, dass der Konkurs der Nordwolle mit ein Grund war für die Verschärfung der Wirtschaftskrise in ganz Deutschland", sagt der Lahusen-Neffe Hans-Christian Bömers in der 2009 gedrehten WDR-Doku "Der große Crash". Die Krise war der Nährboden für die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 18 Monate später.
G. Carl Lahusen wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, und die Bremer Bevölkerung machte die Versteigerung des Inventars von Gut Hohehorst im Dezember 1931 zum Happening. 110 Zimmer und 12 Bäder für eine Familie - das wollten sich viele aus der Nähe ansehen. Besonders spöttisch kommentiert wurde eine Kanzel, die die Vertreibung aus dem Paradies darstellt.
Die Skandalchronik der Nordwolle ging auch unter den Nachfolgebetreibern bis zur endgültigen Schließung 1981 weiter. Aber das ist eine andere Geschichte.
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