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Ausstellung Industriedesign von WagenfeldStilikonen des täglichen Gebrauchs

Wilhelm Wagenfelds gläsernes Teeservice und seine Salz- und Pfefferstreuer aus den 50er Jahren sind Stilikonen. Nun gibt es eine Retrospektive im Bauhaus Dessau.

Gut ist, was einfach und billig herzustellen, optimal zu gebrauchen und zudem schön ist. Bild: dpa

Der Gegenstand ist an sich nichts Besonderes. Es handelt sich um ein Senfglas. Was dieses kleine Ding aber auszeichnet, ist seine überaus durchdachte Form. Die kegelförmige Gestalt des Glasbehälters mit dem ausgewölbten Boden erlaubt es, mittels eines passenden Löffels den Inhalt restlos herauszukratzen. Der billig herzustellende Plastikverschluss ist außerdem so gestaltet, dass der Plastiklöffel im geschlossenen Zustand im Glas verbleiben kann.

Die ausgeklügelte Form beim Senfglas von 1958 ist weder Zufall noch Einzelfall. Für Wilhelm Wagenfeld, den Schöpfer des Glases, waren die kleinen Dinge des täglichen Gebrauchs genauso viel wert wie teure Einzelanfertigungen. Wagenfelds Credo in Sachen Gestaltung lautete daher: Gut ist, was einfach und billig herzustellen, optimal zu gebrauchen und zudem schön ist.

Die aktuelle Wagenfeld-Retrospektive im Bauhaus Dessau bietet nun einen Überblick zum Lebenswerk Wagenfelds. Ergänzt werden die über 500 ausgestellten Objekte von Dokumenten, Fotos und einigen frühen Zeichnungen und Holzschnitten. Die Wilhelm-Wagenfeld-Stiftung hatte die Schau zum 110. Geburtstag ihres Namensgebers bereits im letzten Jahr an ihrem Standort in Bremen vorgestellt.

Dass die Stiftung Bauhaus sich Wagenfeld ins Haus holt, ist naheliegend. Wagenfelds Haltung passt eigentlich perfekt in das Image, das wir heute vom Bauhaus haben. "Kunst und Technik - eine neue Einheit", diesen Wegweiser für die Zusammenarbeit mit der Industrie entwickelte Bauhausdirektor Walter Gropius aber erst ab 1923. Es war eben die Zeit, da Wagenfeld als Student ans Bauhaus in Weimar kam, um in der Metallwerkstatt bei Moholy-Nagy zu lernen. Geblieben ist er nur zwei Jahre. Dennoch: Das Bauhaus war anregend, wahrscheinlich sogar entscheidend für Wagenfeld. Im Grunde war er mit seiner Meinung, die Formgebung müsse im Verbund mit der Industrie stehen, der damaligen Praxis am Weimarer Bauhaus voraus.

Wagenfelds berühmte Bauhausleuchte von 1924 macht das anschaulich. Die Form ist aus geometrischen Elementen entwickelt: runde Bodenplatte, zylindrischer Stiel und eine kugelförmige Glaskuppel als Lichtschirm. Die Lampe sieht schon aus, als wäre sie industriell gefertigt, was durchaus nicht der Fall war. Immerhin, die Ästhetik ist bereits schnörkellos, das Produkt konnte einfach hergestellt werden und zeigt mit der Sichtbarkeit der Kabelführung im Glasstiel eine bis ins Innere reichende Ehrlichkeit. Seit 1980 wieder produziert, ist die Wagenfeld-Leuchte so zum Sinnbild einer vermeintlichen Bauhaus-Ästhetik geworden. Wagenfeld machte allerdings den Umzug des Bauhauses nach Dessau 1925 nicht mit. Er blieb in Weimar und wurde Leiter der Metallwerkstatt an der dortigen Bauhochschule.

Teeservice als Stilikone

Wagenfelds eigentliche Wirkung entfaltete sich tatsächlich erst in seiner Arbeit für die Industrie. Diese Geschichte lässt sich in den großvolumigen Vitrinen der Dessauer Schau anhand der hergestellten Produkte wunderbar nachvollziehen. Wagenfelds Arbeit für die Firma Schott ab 1930, für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke (VLG) in Weißwasser ab 1935 und nach dem Krieg in Westdeutschland die vielen Entwürfe für WMF (Metall und Glaswaren) Braun (Elektrogeräte), Rosenthal (Porzellan), Buchsteiner (Plastikgeschirr für Lufthansa) oder Peill & Putzler (Lampen) haben Design-Geschichte geschrieben. Wagenfelds gläsernes Teeservice für das Jenaer Glaswerk Schott von 1931/32 ist inzwischen genauso eine Stilikone wie die Salz- und Pfefferstreuer "Max und Moritz" aus den 50er Jahren, mit der schmalen Taille im New Look der Zeit.

Für den Erfolg eines Industrieprodukts spielen viele Faktoren zusammen. Das Wesen der industriellen Formgestaltung sah Wagenfeld im Teamwork aller Beteiligten vom Arbeiter bis zum Fabrikbesitzer. Aus den Texttafeln und der Audiobeschallung der Ausstellung kann man daher immer wieder erfahren, welchen wichtigen Anteil die Überzeugungsarbeit in Wagenfelds Arbeit spielte. Die Fabrikbesitzer musste Wagenfeld von der Wirtschaftlichkeit der Produkte überzeugen, die Arbeiter zur Qualität in der Fertigung bekehren, den Verbrauchern schließlich Nutzen und Freude der Waren mittels selbst gestalteter Werbeanzeigen näherbringen. Wagenfeld war auch hier wie bei vielem anderen ein Pionier.

So war die Verwendung von feuerfestem Laborglas für den privaten Haushalt in den 30ern neu. Aber Glastöpfe vom Herd direkt auf den Tisch, das sparte Geschirr, Zeit, Platz und Geld. Dass Wagenfelds Glaswaren zudem von unaufdringlicher Schönheit waren, galt ihm als eine wesentliche Qualität seiner Produkte. Dass man seinen Entwürfen ihre Gestaltung gar nicht mehr ansieht, dass sie wie selbstverständlich als optimale Formlösung akzeptiert werden, war Wagenfeld das größte Lob.

Von Trinkglas über Glasschüsseln, Türgriffe, Kleiderhaken, Vasen, Aschenbecher, Service, Besteck bis zum Wäschesprenger aus Plastik hat Wagenfeld so ziemlich alles entworfen, was dem modernen Zeitgenossen täglich in die Hand kommt. Mit "Wagenfeldschen Eiergerichten" aus seinem gläsernen "Eierkoch" und einem exklusiven "Dinner for Wagenfeld" kann man Wagenfelds guten Dingen in Dessau auch praktisch-kulinarisch näherkommen. Aber wahrscheinlich wird man nach dem Ausstellungsbesuch ohnehin erstaunt feststellen, dass man von Wagenfeld das ein oder andere im eigenen Haushalt besitzt. Damit ist Wagenfeld wohl der einzige, der wirklich für den "Volksbedarf" schuf, wie es das Bauhaus (unter Hannes Meyer) wollte.

Bis 30. Oktober, Stiftung Bauhaus Dessau

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