DIE WAHRHEIT: Ewig leere Kassen

Eine bestimmte Sorte Journalismus vorzutäuschen, ist inzwischen bekanntlich simpler denn je. Flatternde Vermutungen lassen sich fix prüfen, ...

... ohne dass mannshohe Papier- oder Mikrofilm-Stapel durchzuhecheln wären. Womit wir die brennpunktartige Perspektive auf eine Phrase richten, die mich seit Jahrzehnten verfolgt. Und ich sie.

Bevor wir die "Recherche" anschneiden, schlagen wir einen Umweg ein, wofür wir auf eine barsche Bemerkung William Faulkners verweisen. Nach Hemingways Freitod meinte er: "Ich mag keinen Mann, der beim Nachhausegehen die Abkürzung nimmt."

Ich schätze, ich war dreizehn, als ich einen meiner aphoristischen Unsinnsverse übers Bett pinnte: "Das Geld fällt nicht vom Himmel, es liegt auf der Straße". Für jemanden, der wenige Monate vor dem Mauerbau auf dem kapitalistischen Territorium Deutschlands geboren wurde, eine Erkenntnis, die nicht mit Gold aufzuwiegen ist.

In diesem Dunstkreis also und in einem der reichsten Länder auf diesem Planeten geriet eine sich gern spreizende Plattitüde ins Visier: "in Zeiten knapper Kassen". Seit den holden adoleszenten Tagen treibt sie mir die Zornesröte in die Visage.

Dass dem Kapitalismus obligate Krisen eingeschrieben, dass sie keine Störung sind, sondern ein wesentliches Element, habe ich früh vernommen. Bloß regte sich irgendwann der Verdacht, medial verweilen wir nicht phasenweise, sondern ununterbrochen in Zeiten knapper Kassen.

Dank diverser digitaler Archive fühle ich mich rechthaberisch bestätigt: Am 3. September 1971 war der Zeit zu entnehmen, Minister Karl Schiller habe für 1972 einen "Haushalt der knappen Kasse" angekündigt. Die Fundstücke anno 73 (Ölkrise!), 74, 75, 76 ff. überspringe ich, um jenes Jahrzehnt am 24. Oktober 1980 ausklingen zu lassen: "Es wird ein Kampf der knappen Kassen", diesmal wohnungsbautechnisch gesehen.

Am 30. Dezember 1983 indes "mag die Aufgabe, den Sozialstaat angesichts knapper Kassen zu reformieren, am Selbstgefühl des Sozialministers nagen". Sein Name ist Blüm. Wir switchen zum Spiegel-Archiv, graben den 15. Oktober 1984 aus, als Familienminister Heiner Geißler "in einer Zeit knapper Kassen" trotzdem den Familienlastenausgleich zu verbessern versteht. Am 18. Juli 1987 wiederum sagt der Spiegel knallhart Blüm auf den Kopf zu, dass er "wegen knapper Kassen auch die Leute länger arbeiten lassen" wolle. Bald danach geht immerhin die DDR bankrott.

Wen wunderts, dass im Anschluss zwar das Territorium wächst, aber die Kassen nicht weniger knapp sind. Wie der Spiegel am 21. Januar 1991 kundtut, muss Theo Waigel "das schwierige und in Zeiten knapper Kassen … undankbare Amt des Kassenwartes … ausüben". Wie zuvor und danach vermutlich.

Im taz-Archiv hingegen trifft man auf knappe Kassen erstmals am 7. April 1989, jedoch weit weg, in den Opec-Staaten.

Wieder was gelernt, das wir längst wussten? Ja, was denn sonst? Nicht nur vorm Nachhausegehen sind die Kassen ewiglich leer.

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kari

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