Kolumne Nebensachen: Keine Zeit mehr für Freizeit

"Australier sind faul." Das Bild des sorglos am Strand liegenden blonden Surfers ist ein kaum verrückbares Klischee, das die Welt vom "typischen" Australier hat ...

...- zweifelsohne verstärkt durch die oft banale Werbung der australischen Tourismusbehörden. Der easy lifestyle ist ein wichtiges Verkaufsargument, wenn es darum geht, Touristen nach Downunder zu locken.

Für jene allerdings, die im Antipodenstaat leben und überleben, sieht die Realität meist ganz anders aus. Laut Experten schieben "Aussies" im Durchschnitt mehr Überstunden als Bewohner vergleichbarer Industrieländer - gelegentlich sogar ohne Bezahlung, einfach nur, um ihren Job behalten zu können.

Im Fernsehen lamentieren Psychologen regelmäßig über den rekordhohen Grad an Stress, dem australische Familien ausgesetzt seien, und immer prekärer werdenden Zeitmangel.

URS WÄLTERLIN ist Australien-Korrespondent der taz.

Ein wesentlicher Grund für die Entwicklung ist das Schwinden der Arbeitsplatzsicherheit. Die schrittweise Liberalisierung der Arbeitsgesetze seit den achtziger Jahren hat aus Australien nicht nur einen modernen Industriestaat gemacht, sondern den Leistungs- und Zeitdruck auf den Einzelnen dramatisch erhöht. In vielen Industrien ist Teilzeitbeschäftigung zur Norm geworden. Sogenannte casuals sind wesentlich schneller zu entlassen als Festangestellte. Keine Schadenersatzklagen, keine Kompensationszahlungen, keine Anwälte, kein Stress. Zumindest nicht für den Arbeitgeber.

Da wundert es nicht, dass es einige Australier vorziehen, überhaupt nicht mehr zu arbeiten. Unten auf der sozialen Leiter lässt es sich dank generöser Sozialhilfe gut leben. Eine alleinstehende Mutter von vier Kindern bezieht mehr Geld, als wenn sie Teilzeit arbeiten und Steuern bezahlen würde.

Unterdessen schwindet das Zeitbudget für Millionen werktätiger Australier. Die Schwierigkeit, Zeit für etwas Freizeit zu finden, ist oft so groß, dass manche Familien ihre Termine per "Outlook" koordinieren. Kabellos synchronisiert Mutti vom Computer im Esszimmer aus ihren Teilzeitjob mit dem Stundenplan auf dem Laptop der Tochter, mit der Geschäftsreise auf dem Blackberry des Mannes und dem Rugbytraining auf dem iPhone des Sohnes. Und irgendwo muss sie noch Platz finden für den Termin beim Psychiater.

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