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die wahrheitPlötzlich und unerwartet davongerumpelt

Kolumne
von Michael Sailer

Schwabinger Krawall: Herr Hammler ist gehörig erschrocken, als ihm die alte Frau Reibeis gesagt hat, es gehe nun ans Sterben, womit man mit 95 Jahren rechnen müsse ...

H err Hammler ist gehörig erschrocken, als ihm die alte Frau Reibeis gesagt hat, es gehe nun ans Sterben, womit man mit 95 Jahren rechnen müsse, und sie habe beschlossen, dazu ihre niederbayerische Heimat aufzusuchen, wo sie beerdigt zu werden gedenke, weshalb er ihr beim Transport ihrer Siebensachen behilflich sein solle. Sie werde sich in diesem Ausnahmefall eine Droschke leisten, und er solle nicht dumm herumstehen, weil sie nicht unterwegs irgendwo in der Fremde ableben und eingegraben werden wolle.

Herr Hammler hat gefragt, wozu sie zum Sterben ihr altes Radio, das Kochgeschirr, ein Bücherregal voller Heimatromane, Halma, Domino, eine Bierdeckelsammlung, Usambaraveilchen und Hauswurz, Butterdose mit Verdunstungskühlung, Fußbadewanne, Kehrbesen, Brotkasten, Blechmilchkanne, Bügeleisen, Besteckschublade, Nähkästchen und Wärmflasche brauche. Das sei nicht sein Bier, ist Frau Reibeis aufgebraust. Also hat Herr Hammler fluchend Koffer, Taschen und Tüten die Treppe hinabgeschleppt und vors Haus gestellt, wo sich sofort eine Menschenmenge versammelt hat, die gemeint hat, es handle sich um einen Hofflohmarkt.

Dann ist der Taxifahrer eingetroffen und hat gesagt, er sei kein Sperrmülltransporter und werde Frau Reibeis, wenn sie nicht zu schreien aufhöre, wegen Zweckentfremdung des Taxirufs und tätlicher Beleidigung anzeigen, woraufhin sie sich Herrn Hammlers Fahrrad samt Anhänger ausgeliehen hat und bis über beide Schultern bepackt alleine loskarrioliert ist.

Herr Hammler hat sich ein Bier aus dem Kühlschrank geholt und zu seiner Frau gesagt, seinetwegen solle die demente Bissgurke mit ihrem Hausrat radeln, wohin sie wolle. Wenn sie in eine Trambahn hineinrumple, werde man sie hoffentlich endlich wegen erwiesener Gemeingefährlichkeit unter Aufsicht stellen, was ihm sogar ein neues Fahrrad wert sei.

Mit einer Trambahn ist Frau Reibeis nicht kollidiert, sondern bis hinter Garching gekommen, wo sie sich in einem Wirtshaus eine Maß Bier gekauft hat und gegen den Rat von Wirt und Stammtisch in der einbrechenden Dunkelheit weitergefahren ist. Nach einigen Metern ist ihr jedoch das Kopftuch verrutscht, wodurch sie die Kontrolle über den Lenker verloren und sich beim Sturz in eine Baugrube einen doppelten Schienbeinbruch zugezogen hat.

Im Krankenhaus hat sie der Frau Hammler versichert, ihr sei jetzt, wo sie das Gelumpe los sei, leichter ums Herz, zumal sie erfahren habe, dass dort, wo sie einst als Kind durch Flur und Au gesprungen sei, heute ein Gewerbegebiet stehe, in dem sie nicht um alles in der Welt sterben wolle, und als Frau Hammler berichtet hat, ihr Mann habe mit einem befreundeten Spediteur ihr Hab und Gut aus der Baugrube gerettet und wieder in die Wohnung verschafft, wobei lediglich drei Christbaumkugeln zu Bruch gegangen seien, hat sie sehr zufrieden gelächelt und gesagt, dafür werde sie ihm eines Tages, wenn es so weit sei, mindestens ihre Wärmflasche und sogar die Wanduhr von ihrem Großonkel Johann vermachen.

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