Kolumne Macht: Nach den Anschlägen

Norwegens Ministerpräsident spricht am Wochenende auf dem SPD-Parteitag. Deutschland könnte dabei einiges von Jens Stoltenberg lernen.

Gut erzogene Gäste benehmen sich höflich und erteilen ihren Gastgebern keine unerbetenen Ratschläge. Manchmal ist das bedauerlich. Es wäre schön, wenn der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg sich am Wochenende auf dem SPD-Parteitag nicht an diese ungeschriebene Regel halten würde. Er hätte nämlich gerade jetzt in Deutschland viel Stoff für eine ungeschminkte Rede - und keineswegs nur an die Adresse der Sozialdemokraten.

Wie kaum ein anderer Politiker der Gegenwart hat Stoltenberg gezeigt, dass er seine Worte zu setzen vermag, wenn es darauf ankommt. Aber vielleicht ist er ja der Ansicht - und das wäre verständlich -, dass es nicht seine Angelegenheit ist, sich im Ausland allzu deutlich zu äußern. Stoltenberg hat bei sich zu Hause geredet, nachdem ein Attentäter im Juli 77 Menschen, überwiegend Jugendliche, getötet hatte.

Der Ministerpräsident, der vorher als kühl und distanziert galt, fand seinen Landsleuten gegenüber den richtigen Ton. Es gelang ihm, Wut und ohnmächtigen Hass, die sich andernfalls - vielleicht gewaltsam - Ziele gesucht hätten, in Trauer und Nachdenklichkeit zu verwandeln. Schon wahr: Im Alleingang hätte er das vermutlich nicht geschafft. Offenbar existierte für die Botschaft von Stoltenberg ein Resonanzboden in der Gesellschaft, der diese Botschaft unterstützte. Norwegerin möchte man sein.

Stoltenberg lehnte es in seinen ersten Stellungnahmen ab, sich zu möglichen Ermittlungsfehlern zu äußern. Er nahm den Namen des Attentäters nicht in den Mund. Stattdessen sagte er Sätze wie diese: "Ihr werdet unsere Demokratie und unser Engagement für eine bessere Welt nicht zerstören." Und: "Wir sind entrüstet über das, was uns getroffen hat, aber wir werden nie unsere Werte aufgeben. Unsere Antwort wird mehr Demokratie sein, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit."

Inzwischen wird in Norwegen zwischen den politischen Lagern wieder über die richtige Konsequenz aus den Anschlägen gestritten, auch mit harten Bandagen. Aber es gab nach diesen Anschlägen doch wenigstens eine kurze Atempause. Einen Moment, in dem eine Gesellschaft sich über ihr Koordinatensystem verständigte. Gab es eine solche Pause in Deutschland auch, nachdem sich herausgestellt hatte, dass hierzulande Rechtsterroristen morden?

Nein. Eine solche Pause gab es nicht. Vielleicht hätte ja auch ein Stoltenberg sie nicht bewirken können. In Deutschland wurde in den letzten Wochen viel geschimpft - vor allem über Politiker und Ermittlungsbehörden. Aber wie groß waren Wut und Trauer eigentlich wirklich? Wann immer ein Pädophiler geschnappt oder ein U-Bahn-Schläger erwischt wird und wann immer von einem linksradikalen Gewalttäter - das sowieso - die Rede ist: In Internetforen überbieten sich die Leute in ihrer Empörung darüber, dass die Strafen für die jeweiligen Täter nicht so hoch sind, wie sie das für richtig halten. Im Zusammenhang mit der Mordserie an Einwanderern aber herrscht wenig Aufregung im Netz.

Rechtsterrorismus erschüttert Deutschland offenbar nicht so sehr. Nun können Trauer und Erschütterung natürlich nicht vom Staat verordnet werden. In einer Demokratie ist auch Gleichgültigkeit erlaubt. Oder der Missbrauch von Ereignissen zur Durchsetzung der eigenen politischen Agenda, Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Es ist allerdings auch erlaubt, das ekelhaft zu finden.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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