Berliner Museumslandschaft: Europa ist ein Weihnachtsbaum

Nach zweijähriger Sanierungsdauer eröffnet in Dahlem wieder das Museum Europäischer Kulturen. Trotz der Neugestaltung fehlt dem Haus ein Zukunftskonzept

Das ist Europa: multikulturelle Nationalhelden Bild: Ute Franz-Scarciglia/Museum

Wer es mit jungen 20 Jahren ins Museum schafft, muss schon etwas Besonderes sein. Mesut Özil und Fatmire "Lira" Bajramaj, beide jeweils 23 Jahre und Idole der deutschen Männer- und Frauenfußballnationalelf, gehören zur Ausstellung des neu gestalteten Museums Europäischer Kulturen (MEK) in Dahlem.

Ihre schwarzweißen DFB-Trikots mit den Nummern 8 beziehungsweise 19 von der WM in Südafrika 2010 und der WM in Deutschland 2011 präsentiert die neue Schau als PR-Exponate und Identifikationsfetisch aus zwei Gründen. Es sind die Hüllen zweier außergewöhnlicher Fußballlieblinge. Die Träger symbolisieren die Normalität eines multikulturellen Deutschlands, ja Europas im Sport. Bajramaj stammt aus dem Kosovo und stürmt für den 1. FFC Frankfurt. Mesut Özil, aktuell in Diensten von Real Madrid, wurde in Gelsenkirchen geboren und hat türkische Wurzeln.

Als hätte es nie Schmährufe gegeben, wie die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die jüngst Multikulti für "tot" erklärte, schwört das Museum Europäischer Kulturen seine Besucher weiter auf dieses Programm eines multikulturellen Europas ein.

Zu Recht: Wer offenen Auges durch das Europa-Museum streift - vorbei an Alltagsgegenständen, Trikots, Bildern, Karten, Trachten, Kunstgewerbe und Büchern aus Jahrhunderten von Lissabon bis Moskau -, findet kaum Halt bei spezifischen Verortungen. Im Gegenteil. In der ständigen Ausstellung, mit einer venezianischen Gondel und den Fußballidolen zum Einstieg, zeigt das MEK unter dem Titel "Kulturkontakte", wie das mobile Verhalten der Menschen - vom Handel bis zum Tourismus - in Europa grenzüberschreitende Gemeinsamkeiten geschaffen hat.

Dass die Ausstellungsmacher ausgerechnet den Weihnachtsbaum für ein gesamteuropäisches Projekt halten, ist vielleicht nicht die beste Idee, trifft es aber dennoch. Daneben gibt es zwei neue Sonderausstellungen über die "Erkundungen Europas".

Die Spuren des "großen europäischen Hauses als gemeinsamer Kulturraum", wie Konrad Vanja, Direktor des Museums Europäischer Kulturen, meinte, hat das MEK zwar schon seit seiner Gründung 1999 verfolgt. Aber die Zusammenlegung der beiden Häuser aus West- und Ostberlin, des Museums für Völkerkunde und des Museums für Volkskunde im Jahr 2000, machte angesichts der 275.000 Sammlungsstücke eine Neuausrichtung nötig: 2008 wurde der berühmte Bruno-Paul-Bau in der Dahlemer Arnimallee geschlossen, für knapp 17 Millionen Euro saniert und in 14 große Ausstellungs- und Studienräume umgebaut.

Von Donnerstag an wird das Museum für die Öffentlichkeit wieder zugänglich sein. Mit Veranstaltungsreihen, betonte Elisabeth Tietmeyer, stellvertretende Direktorin des Museums, versuche das MEK zudem Kulturphänomene herauszuarbeiten, "die in ihrer spezifischen lokalen, regionalen und ethnischen Ausprägungen, Veränderungen und Hybriditäten, die auf der Migration von Menschen, Dingen und Wissen basieren". Man sei ein Haus der europäischen "Nachbarschaften" - die Abgrenzungen inklusive. Das Nationale ist immer Teil des Ganzen, der Nationalismus dagegen ein böses Konstrukt.

Bei all dem gemeinsamen europäischen Kochen, Spielen, Wohnen, sich kleiden, Denken, Beten, Reisen, Handeln, den transformierten Sitten und Religionen bleibt dennoch die Frage unbeantwortet, welche unterschiedlichen Bedingungen und Ursachen zu Multikulti führten und welche Opfer gebracht werden mussten. Kriege, Völkerwanderungen, Vertreibungen und wirtschaftliche Not gehören zur Geschichte der europäischen Kulturen ebenso wie die arabische Teestube in Wedding. Das bleibt in der Schau aber weitgehend ausgespart.

Ganz offen ist schließlich, was aus dem frisch renovierten Museum in Zukunft wird. Als Teil der Museen Dahlem mit seinen großen außereuropäischen und asiatischen Sammlungen sollte das MEK einmal mit den anderen Häusern ans Humboldtforum ziehen. Während Konrad Vanja noch euphemistisch von einer "deutlichen Option" in Sachen Umzug in das Humboldtforum redet, sprechen die Tatsachen eine andere Sprache.

Weder gibt es einen Neubau, der einmal für das MEK im Umfeld des Humboldtforums vorgesehen war. Noch existieren Pläne dafür. Ein Konzept, das Museum Europäischer Kulturen mit den anderen ethnologischen Sammlungen zu verbinden, fehlt ebenso. Schließlich mangelt es an Investitionsmitteln, die dem Haus Planungssicherheit geben könnten.

Hat es den Anschein, das MEK bleibt als letztes Museum in Dahlem, wenn die außereuropäischen Sammlungen nach Mitte gewandert sind? Es sieht fast so aus. Und das wäre wohl sein Ende. Spötter sprechen jetzt schon von einem "europäischen Mausoleum", das gerade frisch renoviert wurde. Es sollte kein Grabschmuck bleiben.

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