Kündigung: Im Haus der Sinne

Das Technikmuseum Stade vereint 10.000 Exponate aus einer Zeit, in der Technik noch zu riechen und zu hören war. Nun steht es ohne Mietvertrag da.

Das Technikmuseum in Stade, gezeigt von Walter Müller, dem Vorsitzenden des Museumsvereins. Bild: E.F. Kaeding

HAMBURG taz | PENG! PENG! scheppert es durch das Museum. Aber Dieter Bohlmann hat noch nicht genug. Der weißhaarige Mann schlägt weiter mit dem Schmiedehammer auf den Amboss vor ihm ein und ignoriert die drei älteren Herren, die um ihn herumstehen und etwas sagen wollen. PENG! PENG! Dann geht Bohlmann die Puste aus. Sowas, sagt er kurzatmig und stellt zufrieden den Hammer auf den Boden ab, gäbe es nirgendwo: ein Museum, in dem man die Gegenstände nicht nur anfassen, sondern auch ausprobieren kann.

Insgesamt 10.000 solcher Exponate, wie die komplett eingerichtete Schmiedewerkstatt, sind im Stader Technik und Verkehrsmuseum zu erleben. Sie erzählen vom technikbewirkten Wandel der Lebens- und Arbeitsverhältnissen der Stadtbewohner. Doch jetzt, nach 28 Jahren ehrenamtlicher Arbeit des Vereins, soll Schluss sein. Das Grundstück, auf dem das Museum steht, gehört der Stadt und die will es verkaufen, um mit dem Erlös ihren maroden Haushalt zu sanieren. Bis Ende des Jahres 2011 hätte die Halle übergeben werden sollen, leer geräumt und besenrein. Der Verein hat die Halle aber nicht geräumt. Der Vereinsvorstand sagt, man wolle es auf eine Räumungsklage ankommen lassen.

"Sie können sich nicht vorstellen, wie schlimm das war", erinnert sich Helga Müller mit leiser Stimme, als würde sie den Schrecken von damals noch einmal durchleben. Ende 2010, zwei Tage vor Weihnachten, erreichte sie die Kündigung. Plötzlich, ohne vorher ein Wort von der Stadt gehört zu haben, sagt ihr Ehemann Walter Müller. Der 74-Jährige ist der 1. Vorsitzende des Museumsvereins. Müller, der in einem Waisenhaus aufwuchs und sich ein Leben lang durchbeißen musste, will sein Lebenswerk nicht aufgeben. Ein Blick in die Halle zeigt warum.

Schwere Druckmaschinen, Dampfkessel, eine alte Diesellokomotive, feuerrot lackierte Löschfahrzeuge, meterhohe Stromaggregate, der Dieselmotor eines U-Boots, Autos, Motorräder, sogar eine komplett eingerichtete Ledermanufaktur - es ist eine beeindruckende Sammlung, die Walter Müller mit Hilfe der 137 Mitglieder des Vereins über die letzten Jahrzehnte zusammengestellt hat. Die gezeigten Objekte, sagt er, seien typisch für die Ausrüstung der Gewerbe und Industriebetriebe in Stade und Umgebung gewesen. Durch die Modernisierung der Firmen sind viele verschrottet worden. "Wir haben sie für die Nachwelt aufgehoben."

In Müllers Galerie sind die Ausstellungsstücke nicht wie in vielen anderen Museen hinter Plexiglas eingesperrt. Hier wabert der Geruch von dickem Schmieröl durch die Luft, das Aroma alten Eisens dünstet gemütlich aus Motorblöcken, Holzspäne auf dem Boden der Tischlerei erwärmen kalten Betonmief, es riecht nach Leder. Beim Betreten des Raumes wecken die Gerüche längst verloren geglaubte Erinnerungen.

Das Museum ruft Erinnerungen wach, nickt Müller, eben weil es alle Sinne anspricht. Man riecht, hört, sieht, berührt. Und "die Stadt will diesen einmaligen Ort einfach schließen", sagt er. Zwei Millionen Euro soll das Grundstück wert sein, von dem das Museum weniger als ein Drittel belegt.

Müllers Technikmuseum ist ein Gegenentwurf zu einer Welt, die von zunehmender Digitalisierung geprägt ist. Es sind eben nicht einzig nur Exponate - wie eine froschgrüne Dampfwalze, welche im Zeitalter des Plastiks wegen ihrer imposanten Stahlmasse einem apokalyptischen Cyberpunk-Film entstiegen scheint -, die das Museum so einzigartig machen. In einer hoch-visualisierten Welt verarbeiten wir Informationen und Eindrücke als erstes über die Augen. Es ist selten geworden, anderen Sinnesorganen den Vortritt zu lassen. Das Technikmuseum bietet dieses Erlebnis.

Aus der Schmiede geht Dieter Bohlmann hinüber zur Tischlerei. Genau in dieser Werkstatt habe er das Handwerk gelernt, sagt er. Dann pumpt er am fußbetriebenen Drehrad der Fräsmaschine. Ssrrrrrrrrr. Da sind sie wieder, die Erinnerungen.

Am ersten Wochentag im neuen Jahr sagt Walter Müller stolz: "Unser Museum ist heute so, wie es immer ist: geöffnet!" Er hätte aber geträumt, gesteht er, dass er sein Museum nicht mehr betreten konnte: "Da standen Polizisten, die es abgeriegelt haben. Ich kam nicht mehr rein." Ein Traum der bald Wirklichkeit werden könnte. "In den nächsten zwei Wochen", sagt Stadtbaurat Kersten Schröder-Doms, "wird die Räumungsklage zugestellt werden." Dann wird der Kampf um Stades Technikmuseum aller Voraussicht nach vom Gericht entschieden.

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