Kolumne Blagen: Und Alrun sprach: "Ups?!"

Warum in der Sauna nicht aufs Holz geschwitzt wird und was das mit dem Schweigegebot zu tun hat. Auch für Kinder.

"Naaa", fragt die Fischverkäuferin die Sechsjährige, "teilst du dir mit dem Opa das Matjesbrötchen?" Die so Angesprochene schüttelt den Kopf. Der leicht angejahrte Mann an ihrer Seite, teilt sie der Verkäuferin mit, sei keineswegs ihr Opa, der sei nämlich tot. Nein, der hier sei ihr heiß geliebter Papa, der jetzt mal eben zweifuffzich rüberreichen möge - für das Fischbrötchen.

Wir befinden uns an der Ostseeküste, es sind minus 10 Grad bei blendender Sonne, und hier in Nordvorpommern baut sich wieder mal das anhaltende Missverständnis zwischen ostdeutschen Frühgebärenden und metropolitanen Familienentwürfen auf. Zum Glück nimmt's der verkannte Vater nicht krumm, er kennt das: Leute, die denken, seine Tochter sei seine Enkeltochter. Und das, obwohl zum Beispiel in Berlin schon jedes zwanzigste Neugeborene einen Mann jenseits der fünfzig Papa nennt. Dieser Papa jedenfalls lächelt milde, zahlt zweifuffzich, sagt "Komm, Alrun!", und im Gehen mampfen sie gemeinsam ihr Matjesbrötchen.

Tatsächlich ist es nicht leicht auseinanderzuhalten, wer hier wer ist. Es sind Ferien in Deutschland, was sowohl Familien- als auch Großfamilienzeit ist. Unklar, wer hier Mama oder Papa, Oma oder Opa, Kind oder Enkel ist. Ob diese Frau die Tochter oder die dritte Ehefrau ist - wer mag das erkennen? Egal. Die Gastgewerbetarife sind günstig, und die Möwen führen ein sehr ansprechendes Himmelsballett auf. Menschen flanieren die kurkartenfinanzierte Promenade auf und ab, in den Hotels sind die Pools gut geheizt. Auch das Saunathermometer in meiner Herberge zeigt 90 Grad, und so breite ich nach dem Sonnenuntergang und vor dem ersten Bier mein Handtuch aus.

Es ist dieses tumbe Schweigen, das den Saunagang so magisch macht. Man lagert, schweigt und schwitzt (natürlich nicht aufs Holz!), ab und zu geht die Tür, und einem unbekannten Nackten wird ein Quadratmeterchen freigeräumt. Jene, die gut durchgegart den Raum verlassen, hört man wenig später unter der Eisdusche stöhnen. Es ist ein kollektives stummes Einverständnis in die Abläufe, die ja eigentlich, bei näherem Hinsehen auf Bäuche, Brüste, Schwänze und Mösen, nicht einer intimen Komik entbehren. Hängebusen, Narben und Schaukeleier - es ist nicht so, dass wir sie nicht sähen. Aber später im Hotelzimmer haben wir derlei vergessen, so wie wir vergessen sind.

Aber heute ist das anders. Denn nun betreten Alrun und Papa unsere Sauna. Beide tragen Badesachen: Papa eine schwarze Hose, Alrun einen pinkfarbenen Zweiteiler. Das verstößt zwar gegen die Gepflogenheiten, aber wer weiß schon, welche Regeln in München, Köln oder Berlin neuerdings herrschen. Ebenfalls neu scheint die Quatschregel zu sein. Denn Papa möchte Alrun heute mal ausführlich das Saunawesen erläutern, was Alrun wiederum mit mannigfachen Fragen dankt. Wie viele Leute denn hier reinpassen? Wozu der Wasserbottich und die Sanduhren da sind? Wie heiß es hier genau ist? Warum hier keiner redet? Papa antwortet ausführlich und kindgerecht. Warum die Frau da drüben nur einen Busen hat, möchte Alrun nun wissen. Papa antwortet: "Das fragst du die Frau am besten selber, Alrun." Es kommt nicht dazu. Die Frau geht, und bevor die Holztür sich schließt, schickt sie noch ein regelwidriges "Leck mich doch!" in den Raum. "Ups?!" spricht Alrun. Dann herrscht Ruhe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.