die Wahrheit: Unsere 199.000
Ein Bielefelder Aktivist kämpft auf seine Art gegen den Ehrensold für den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff.
Da sitzt er, Helmut Kattenstroth, 57, zwischen lauter Päckchen in seinem kleinen Haus mitten in Bielefeld, Ortsteil Quelle. Überall liegen Tüten herum, zwischen wenig sorgsam aufeinandergestapelten Gegenständen. Ein Messie, könnte man auf den ersten Blick meinen. Aber dem ist nicht so, nein, Kattenstroth ist ein Phänomen, ja der neue Weltstar unter den politischen Aktivisten im Internet. „Und alles nur wegen einer Schnapsidee“, verrät er und drückt auf seinem Laptop die Aktualisieren-Taste.
Aus einer Laune heraus habe er seine Freunde Klaus und Ulli beim letzten Bier in der Stammkneipe dazu aufgefordert, ihm Gegenstände zukommen zu lassen, damit er sie versteigern könne. „Weil ich 199.000 Euro sammeln wollte, im Namen des Volkes und um es dem Wulff mal so richtig zu zeigen“, erklärt Kattenstroth. „Occupy Ehrensold“, habe er seinen Freunden beim Nachhausewanken lallend hinterhergerufen. Am Morgen standen dann zwei alte Korbstühle und eine Arminia-Bielefeld-Tasse vor seiner Tür.
„Da war mir klar, jetzt gibt’s kein Zurück mehr“, erklärt Kattenstroth. Stühle und Tasse bot er noch am Nachmittag mit Hilfe seines Neffen bei Ebay an, unter dem eigens dafür eingerichteten User „Unsere 199.000“. Sein Neffe war es auch, der den Link zum Angebot und der Adresse seines Onkels bei Facebook postete. Innerhalb weniger Tage wurde aus der Schnapsidee ein Tsunami der digitalen Begeisterung.
Von Deutschland aus erfasste die Occupy-Ehrensold-Welle schnell den gesamten Globus. Bereits nach wenigen Tagen bekam Kattenstroth das erste Paket aus Übersee. „Vom chilenischen Präsidenten. Der hat mir ’nen alten Kohlengrubenhelm geschickt. Dafür krieg ich aber nicht mal ’nen Euro“, erklärt er und fotografiert und tippt.
Es ist die Wut auf den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff, die ihn und sein neues Geschäft antreibt. Seine Festanstellung als Fahrer der Städtischen Entsorgungsbetriebe hat er am Morgen gekündigt. „Weil das hier ein Fulltimejob ist, nech“, meint Kattenstroth. Seine Frau habe er seit Tagen nicht mehr gesehen, vermutlich stecke sie im Obergeschoss fest.
„Vor zwei Tagen kam ’ne Ladung alter Bücherregale, die haben sie vors Schlafzimmer gestellt“, sagt Kattenstroth, während von irgendwoher das Quieken eines Ferkels zu hören ist. Ein Geschenk von Nachbar Karsten. „Nur weiß ich nicht so richtig, wie man so’n Ferkel verpackt und was ich dafür nehmen soll.“
Sogar ein Baby samt Maxi-Cosi-Kindersitz habe er schon vor seiner Tür gefunden. Kaum dass er es bei Ebay eingestellt hatte, waren die Gebote dafür auch schon in die Höhe geschossen. „50.000 wollte eine Amerikanerin zahlen“, berichtet Kattenstroth, der das Angebot letztlich wieder löschen musste. „Es war der kleine Bengel meiner jüngsten Tochter, die noch mal schnell zum Wagen gegangen war.“
Aber auch ohne Kind im Angebots-Portfolio floriert Kattenstroths Bewegung prächtig. „Die 70.000 knacke ich heute“, ist er zuversichtlich. Mühsam erhebt er sich danach aus seinem Sessel und blickt aus dem Fenster. In seinem Vorgarten türmen sich längst Pakete und größere Gegenstände aus aller Welt.
„Aber es gibt Trittbrettfahrer, die ihren Sperrmüll hier entsorgen“, erklärt er. Auf die Frage, ob er glaube, dass Wulff von dieser Aktion etwas mitbekommt, antwortet Kattenstroth mit einem Kopfschütteln. „Die da oben bekommen doch nie mit, was bei uns normalen Bürgern gerade passiert, da müsste ich schon Sprengköpfe versteigern.“
Es klingelt an der Haustür. „Bestimmt der Verfassungsschutz, woll’n wir mal nachsehen“, scherzt der sympathische Dicke, klettert über eine Tüte voller Knicklichter hinweg und öffnet die Haustür. Vor ihm steht Nada Castrup, zusammen mit einem Fernsehteam von Kabel 1. Die Messie-Expertin sei von einer besorgten Nachbarin gerufen worden und wolle Helmut dabei helfen, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
„Helfen Sie lieber denen da oben, die müssen ihren Stall in Ordnung bringen“, sagt Helmut und schlägt Nada die Tür vor der Nase zu. Erschöpft lässt er sich danach zurück in seinen Sessel fallen, schnappt sich seine kleine Digitalkamera und fotografiert ein altes Bobbycar, das er umgehend online anbietet. Ein bisschen sieht er aus wie ein müder Weihnachtsmann, mit seinem grauen Bart und dem gemütlichen Fastfood-Bäuchlein. Und ganz so falsch ist der Vergleich nicht, denn eins wird bei diesem Besuch schnell klar – an Helmut Kattenstroth aus Bielefeld, Ortsteil Quelle, an den glauben die Menschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!