Jubeln ohne Gedenken: Ursprung nicht der Rede wert
Der Rhododendronpark beginnt seine Feierlichkeiten zum 75. Geburtstag mit einem großen Buch - in dem die NS-Gründungsgeschichte kaum vorkommt
Am 5. Juni 1937 wurde der Rhododendronpark eingeweiht. An diesem Datum findet dessen wissenschaftlicher Leiter, Hartwig Schepker, vor allem den ersten Teil spannend: In der Tat kann man den Juni-Termin rückwirkend als Beleg für die Klimaerwärmung betrachten – heute findet die Hauptblüte, die die Einweihung prächtig dekorierte, rund drei Wochen früher statt. Dass der 46 Hektar-Park mit der weltweit zweitgrößten Rhodo-Sammlung unübersehbar eine NS-Gründung ist, ist für Schepker weniger wichtig.
Entsprechend marginal ist die Rolle, die dieser Umstand in Schepkers 130-seitigen großformatigen Buch spielt, das anlässlich der „75 Jahre Blütenpracht“ gestern bei Temmen erschien. Dabei verspricht die Verlagsankündigung einen „ausführlichen Blick auf die Geschichte des Parks“. Verheißungsvoll geht es in Wolfgang Klunkers Vorwort weiter: „Die Stiftung hat ein attraktives, gleichzeitig aber schwieriges Erbe übernommen“, schreibt Klunker, dessen Stiftung die Stadt 2009 als Trägerin des Parks ablöste. Was ihn „insbesondere“ in Bezug „auf die älteren Parkteile“ sorgt, ist allerdings nicht deren Geschichte. Sondern „die Verkehrssicherheit von Wegen, Brücken und Bäumen“.
Dass SS-Gruppenführer Hans Haltermann die Eröffnung an einem symbolträchtigen Ort zelebrierte, erfährt der Leser nicht. Haltermann sprach an einem großen Gedenkstein in der Mitte des Parks, der Hans Rickmers gewidmet ist. Der galt als toter Kämpfer des Münchner Hitler-Putsches als „Märtyrer der Bewegung“.
„Ich bin Botaniker, kein Historiker“, begründet Schepker die geschichtlichen Lücken. Warum wurde kein Fachmann hinzugezogen? Dafür habe niemand die Notwendigkeit gesehen, erklärt André-Michael Schultz, Präsident der Deutschen Rhododendron-Gesellschaft. Schultz schreibt: „Auch wenn der Rhododendron-Park im ,Dritten Reich‘ gegründet wurde – wir verdanken die Entstehung unseres Parks der Stadtgemeinde Bremen“.
Diese Unterscheidung macht nicht all zu viel Sinn. Die Stadt wurde bekanntlich von einem NS-Senat regiert, Schultz’ eigene Gesellschaft 1935 im Rathaus unter prominenter Mitwirkung von NS-Senatoren ins Leben gerufen. Ihr Zweck war die Parkgründung. „Ich bin glücklich, dass wir den Park damals initiiert haben“, sagte Schultz gestern. Dass der Gartenbaudirektor und Parkplaner Richard Homann ein Nazi war, der 1945 als belastet entlassen wurde, weiß und erwähnt Schultz. Weitere Ausführungen aber hält er für überflüssig: „Ein ganzes Kapitel ist das nicht wert.“
Wann, wenn nicht in einem Jubiläumswerk, widmet man sich der eigenen Geschichte? Der Kunsthistoriker Kai Artinger hat die Park-Entstehung beforscht und beschreibt das „immer noch gültige Tabu“, die NS-Geschichte der deutschen Landschaftsarchitektur zu beleuchten. Homanns „völkische Leitideen“ seien geprägt durch den „glühenden Nationalsozialisten“ Heinrich Wiepking, der sich mit der Umwandlung „der eroberten Ostgebiete“ im Sinne einer SS-„Wehrlandschaft“ beschäftigte. Homann selbst empfahl sich durch den Rhododendronpark als „Generalreferent für die Landschaftspflege des Gaus Danzig“.
Immerhin wird im Buch das von Artinger in seinen historischen Kontext gestellte Wisent erwähnt: Ernst Gorsemanns 1940 gegenüber des Haupteingangs aufgestellte Riesenplastik. Sie war ein nationales Symbol. Die NS-Regierung platzierte den Stier im Deutschen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung, wo er sozusagen Picassos Guernica-Stier als antifaschistischer Anklage die Stirn bot. Mit Gold prämiert kehrte der Wisent nach Bremen zurück und erhielt den Ehrenplatz im Park. Zum Teil wird das im Buch kurz angedeutet, allerdings nicht die Dimension des Wisent-Kults im NS-Staat: „Reichsjägermeister“ Göring ließ Zuchtstationen und Gehege für das „germanische Urvieh“ anlegen und beauftragte bildnerische Darstellungen. Sollte der Entstehungskontext des heute in malerischen Blüten weidenden Bronzetiers mit einem Schild erklärt werden? „Nein“, sagt Schultz, „das tut nicht Not.“
Der Rickmers-Stein hingegen hat eine Tafel: Mit der Schrift nach unten liegt der bemooste Block im „Terrarium“, ein gültiges Symbol für den Umgang mit der eigenen Geschichte. Auf der Tafel steht: „Betreten verboten“.
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