Halbzeitfazit zur EM: Mund abputzen, weitermachen
Es ist zu heiß, zu kalt, zu nass. Die Favoriten schwächeln, die Spieler halten sich nicht an Taktik. Aber ist es auch superspannend und der böse Präsident wird nicht gezeigt. 11 Blicke auf die EM.
1. Diese EM ist so unendlich durchdesignt, dass kaum mehr Platz für Spontanität bleibt. Schon Stunden vor dem Spiel startet die Uefa ihr Fanbeglückungsprogramm mit Gassenhauern. Oceana plärrt ihr "Endless Summer" endless oft und endless nervtötend. Keine Spur von Stadionatmosphäre, wie man sie aus der Bundesliga kennt, die Uefa sorgt dafür, dass alles ordentlich und antiseptisch bleibt. Es ist ein gelenktes Fest, sogar Papierkügelchen gelten jetzt als Teufelszeug. Neuerdings gibt es auch eine Spieleröffnungschoreografie. Menschen in Goldgewändern rennen wie von der Tarantel gestochen übers Feld. Das hat etwas von DDR-Spartakiaden oder den Volksfestspielen des Kim Il Sung. Damit auch noch der Letzte mitkriegt, dass der Anpfiff bevorsteht, wird ein Countdown heruntergezählt. Hier wird der Zuschauer zum Deppen erklärt. Danke dafür, liebe Uefa! MV
2. Englands vier Mittelfeldspieler stehen in einer Reihe, die Deutschen spielen mit Fünfermittelfeld, die Spanier manchmal ohne Stürmer. Doch die Angriffe laufen nicht nach einer vorgegebenen Matrix ab. Das ist kein Trainerfußball. Die taktisch gut geschulten Spieler kann man hinstellen, wo man will. Sie machen dann schon und treffen ihre Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Das Angriffsspiel wird auf dem Platz gemacht, nicht auf der Taktiktafel. ARUE
3. Bei der EM 2008 standen nach zwei Spieltagen schon alle Gruppensieger fest, sie schickten dann ihre B-Elf aufs Feld. Langweilig. Dieses Mal stand überhaupt gar nichts fest, 14 der 16 Teilnehmer spielten am letzten Spieltag ums Weiterkommen, in hochkomplexen Konstellationen, die sich mit jedem Tor verschoben. Jeden Tag ein Herzschlagfinale! Direkten Dreiervergleich erklären ist das neue Abseits erklären. MBR
4. Klar, der Fallrückzieher von Mario Balotelli gegen Irland und der Seitfallzieher von Zlatan Ibrahimovic gegen die Franzosen waren Tor-des-Monats-würdig. Doch noch eine Klasse drüber: als Englands Theo Walcott gegen zwei Schweden durchbricht, den Ball in die Mitte spielt und Danny Welbeck ihn aus der Drehung mit der Hacke im schwedischen Tor versenkt. 3:2. Schweden am Ende. Der schönste Pass kam übrigens von Wesley Snejder. Aus dem Lauf mit dem Außenrist locker über dreißig Meter direkt in den Fuß von Huntelaar. Es war der einzig positive Fußballmoment der Holländer bei diesem Turnier. MBR
5. Es sollte doch sein Turnier werden. Und nun ist der ukrainische Staatspräsident und Menschenrechtsverletzer Wiktor Janukowitsch bei der EM eine mediale Persona non grata. Zwar hat er kein Stadionverbot, die Ehrentribüne wurde jedoch bei den drei Vorrundenspielen der Ukraine penetrant ausgeblendet. Einzige Ausnahme: der siegreiche Auftritt gegen Schweden. Als das erste Tor fiel, war ein jubelnder Janukowitsch zu sehen. Seitdem ist Sendepause. Aber es gab ja auch nichts mehr zu bejubeln. BO
6. Das lernt man auch bei dieser Fußball-EM - dass Fußball nicht in meteorologisch sterilen Verhältnissen stattfinden kann, auch wenn im Eröffnungsspiel das Stadiondach geschlossen wurde, um den Regen auszusperren. Nicht nur als "Sommermärchen" wie 2006 mit einer Atmosphäre von "Sunshine Reggae". Sondern als Melange aus schwülsten Luftlagen (Ukraine!) und nässenden Verhältnissen, die vom Himmel stürzen (Polen!). Man lernt: Tropische Temperaturen gibt es nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Osteuropa. Und man lernte kennen, dass ein Spiel unterbrochen werden kann, wenn es regnet, als begänne die Sintflut. Ist eben nicht alles berechenbar, was den modernen Fußball auszeichnen soll. So sehen wir: erschöpfte, durstige, triefnasse Spieler und Schiedsrichter. Fußball bleibt eine Outdoor-Sportart. JAF
7. Diese Mannschaft sollte die beste deutsche Mannschaft aller Zeiten sein. Nach der Vorrunde muss man leider feststellen: Früher war alles besser. Auch die beste deutsche Mannschaft aller Zeiten war früher besser. DZY
8. Wo sind die Mannschaften, die mit konstanten Leistungen und magischen Momenten bestechen? Wo sind die Spieler, die sich in die Herzen der Zuschauer spielen? Es gibt sie bei dieser EM noch nicht. Auch vermeintliche Starteams (Spanien) und -spieler (Ronaldo) haben ihre schlechten Momente. Die Deutschen mischen da munter mit. Sie gewinnen zwar, aber die Siege haben einen Makel: Sie gelingen nicht spielerisch leicht. MV
9. Seit Jahren erwerben die Gastgeber bei großen Fußballturnieren sich die Sympathien aller anderen Teams durch frühes Ausscheiden. Südafrika, die Schweiz und Österreich haben es vorgemacht, auch die Polen und die Ukraine verabschiedeten sich vorzeitig. Nun sind sie nichts weiter als Kulisse. Nicht gerade ermutigend für die Brasilianer, die 2014 die WM ausrichten. JOK
10. Tore, klar, schön. Ballstaffetten, auch super. Aber was wäre Fußball ohne das Drama von Roten Karten und Elfmetern? Fragen Sie mal Arjen Robben. Da ging es bei der EM gut los, gleich im Auftaktspiel je einmal Rot, Gelb-Rot und Strafstoß (gehalten). In den weiteren 23 Spielen aber folgte: Genau noch eine Gelb-Rote Karte für einen Iren. Und wenn es doch mal elfmeterwürdige Fouls gab, pfiffen die Schiedsrichter nicht (Ja, Herr Stark, Sie sind gemeint). Nur bei der EM 2008 gab es ähnlich wenig Platzverweise, normal ist das Doppelte, bei Elfmetern gar das Fünffache. Ist das ein Ausdruck von Fairness? Sind die Spieler cleverer geworden? Oder die Schiris nur ängstlicher? Egal. Wir wollen mehr Action. Sofort! MBR
11. Na so was: Der VfL Wolfsburg führt die Torschützenliste an. Kroatiens Mandzukic traf dreifach, die Tschechen Jiracek und Pilar (kommt im Sommer) doppelt. Aber gut, Wolfsburg-Trainer Magath hat ja auch geschätzte 40 Spieler entsandt. EPE
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