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Archtitekturbiennale in VenedigPartizipationsmodelle in Beton

Die Architekturbiennale besticht durch ihre Offenheit für soziale Fragen und steckt auch die teilnehmenden Länder mit ihrem „Common Ground“ an.

Keine Starparade soll sie sein, sondern ein Ort der Gemeinsamkeit, die 13. Architekturbiennale. Bild: screenshot: youtube.com

Wer die Ausstellungsräume der 13. Architekturbiennale von Venedig durch das Hauptgebäude im Arsenale betritt, stößt sogleich auf einige Leitsätze des von Chipperfield ausgerufenen Titels „Common Ground“.

Der Architekt Bernard Tschumi hat Poster aus den 70er Jahren reaktualisiert, Bilder von Venedig, von funktionalen Bauten, Museen und Stadtaufsichten mit griffigen Parolen zusammengebracht: „Architektur ist nicht so sehr das Wissen von den Formen als eine Form des Wissens.“

Chipperfield hatte versprochen, keine eitle Nabelschau der Architektenstars betreiben zu wollen. Und auch wenn seine Schau gestern durchaus mit großen Namen eröffnete: Die rund 120 Architekten, Künstler und Kritiker waren angehalten, sich gegenwärtigen Fragestellungen um Urbanität, Nachhaltigkeit und Demokratie gemeinsam zu stellen. Und das taten sie, wenn auch in formal sehr unterschiedlicher Weise.

Und so muss man neben Tschumi an der ästhetischen Einlasskontrolle auch ein futuristisch anmutendes Modell von Robert Burghardt passieren. Sein „Denkmal für die Moderne“ nimmt Bezug auf den unter großem Aufwand bis 2008 abgerissenen Palast der Republik in Berlin, der einst eines der Wahrzeichen der DDR-Moderne war. Burghardt verschachtelt für sein Monument des untergegangenen (sozialistischen) Fortschrittsglaubens verschiedene funktionalistische und modernistische Gebäudemodelle ineinander.

Ambivalenz der Moderne

Es ist ein ironischer Kommentar zu der Ambivalenz der klassischen Moderne. Chipperfields Idee des „Common Ground“, des gemeinsamen Grunds, der geistigen Allmende, lebt von der Betonung der Historizität und wartet in den über 60 präsentierten Projekten mit einer Fülle unterschiedlicher Perspektiven und Formsprachen auf.

Darunter etwa der begehbare Rohbau des Inders Anupama Kundoo, ein Nachbau des von ihm 2000 in Auroville in Indien errichteten Gebäudes, in dem auch Filme vom Original und der Anfertigung der für den Hausbau notwendigen Produkte gezeigt werden. Manche dieser Installationen sind nah am Event- und Herkunftskitsch, doch dürften sie unbedingt zur Popularität gerade beim Nichtfachpublikum beitragen. Und an die interessierten Laien richtet sich Kurator Chipperfield ausdrücklich.

Wie stark der Mensch von der architektonischen Gestaltung seiner Umgebung beeinflusst ist, sollen auch die über mehrere Räume des Arsenale verteilten Bildstrecken des Fotokünstlers Thomas Struth verdeutlichen. Seine ruhig und analytisch wirkenden Gebäude- und Straßenansichten sind zwischen 1978 und 2010 entstanden und unter dem Titel „Unconscious Places“ auf der Biennale zusammengefasst.

Die programmatische Handlungsarmut der urbanen Szenen wirkt oft melancholisch, häufig wie der Beginn einer Erzählung. Was mag sich hinter den Mauern des rund, halbrund und quadratisch angeordneten Betonensembles der Siedlung Buksoe Dong in Pyongyang verbergen, was unter dem milchig blauen koreanischen Himmel und dem einen einzigen grünen Baum in Struths Bildmitte?

Einladende Aura

Ob Korea, China oder Peru – die oft in den Peripherien der Großstädte geschossenen Bilder des Fotografen entwickeln eine eigentümlich unspektakuläre Aura, eine, die zum Verweilen und Sinnieren einlädt.

Dass es bildlich möglich ist, die verschiedenen Ansprüche von Chipperfields Common Ground zu verdichten, ohne allzu platt zu werden, beweist auch der „Gateway“, eine Klang- und Bildcollage von Norman Foster und anderen. Durch diesen abgedunkelten Raum müssen alle Besucher des Arsenale-Hauptgebäudes hindurch. Auf dem Boden sind unzählige Namen von für das Labyrinth der Architekturgeschichte bedeutsamen Personen projiziert.

Der Darkroom steckt noch einmal kurz die historischen Koordinaten des krisenhaften menschlichen Zusammenlebens über die Jahrhunderte ab – von Machu Pichu über Mekka bis zu den Klassenkämpfen des letzten Jahrhunderts. Aufnahmen zur jüngeren Architekturgeschichte und der Gestaltung des öffentlichen Raums neben Dokumenten der jüngsten Volkserhebungen. Fotos vom Aufstand gegen den Staatsbankrott in Argentinien, Occupy Wallstreet in New York, südamerikanischen Favelas und natürlich auch der Arabellion – aber auch Urban und Guerilla Gardening, Börsen, Stadien und Philharmonien.

Mehrmals im Bilderloop wiederholt: Der von einem Demonstranten gegen den Reichstag/Bundestag in Berlin gerichtete Stinkefinger. Common Ground oder: Streit und Protest sind Teil einer demokratischen und urbanen Kultur.

Vielheit des Ausdrucks

Im Analytischen und in der Vielheit des Ausdrucks ist die Ausstellung stark. Man wird auch nicht von Formelhaftigkeit oder Politbesserwisserei erschlagen. Nein, die Schau in Venedig hat einen abwechslungsreichen Rhythmus, zu dem die Auseinandersetzung mit dem Stil einer Zaha Hadid – ein riesiger Saal ist ihrer organischen und fließenden Formsprache gewidmet – genauso gehört wie eine eher ins Soziologische und Baurechtliche abdriftende Diskussion um die Elbphilharmonie in Hamburg oder die Rückeroberung städtischen Raums durch die Re-Etablierung öffentlicher Parkanlagen in Santiago de Chile.

Sir David Chipperfield hatte zuletzt auch an herausragender Stelle in Deutschland gebaut und so den Umbau des neuen Deutschlands nach dem Mauerfall begleitet. Weniger mit der Abrissbirne als vielmehr undogmatisch das Vorgefundene auf seine Brauchbarkeit und Originalität überprüfend, wie im Neuen Museum in Berlin, um es mit neuen Konzepten zu verbinden.

Doch spannender als die Besichtigung der von ihm und seinen Kollegen in Venedig eher nebenbei präsentierten Modelle diverser Großbauten, ist, im Wechsel mit ästhetischen Anschauungsunterricht, die frontale Thematisierung der Konflikte, wie sie sich bei Umwandlungen/Neubauten ergaben: Beispiel Elbphilharmonie.

Und so entkommt man in Venedig auch der eigenen Zeitung nicht. Die Architekten Herzog & de Meuron haben einen ganzen Raum im Arsenale vorwiegend mit der Reproduktion von Zeitungsseiten gestaltet, die den Streit um das verflixte künftige Hamburger Wahrzeichen dokumentieren.

Baukosten als Zwänger

Darunter auch eine taz-Nord-Titelseite: „Konzerthaus-Hängepartie geht weiter“. Die Überschrift bezeichnet bis heute präzise die Lage des Projekts. Herzog & de Meuron hatten ohne Schwierigkeiten in München die Allianz-Arena oder in Peking das Olympia-Stadium erbauen können. Doch in Hamburg haben sich in der Bauphase die Kosten verdreifacht. Der Bauherr (die Stadt) schien überfordert und dem Baukonzern Hochtief als Generalunternehmer ausgeliefert.

Wo die Kosten steigen, stehen zumeist auch die Architekten dumm da, selbst wenn sie nicht unbedingt verantwortlich sein müssen. Wie man in Venedig nun in großen Schriftzeichen nachlesen kann, verteidigen Herzog & de Meuron nach wie vor ihren großen Entwurf in der Hamburger Hafencity.

„Architektur ist ein wichtiges, archaisches Bedürfnis des Menschen,“ sagte Jacques Herzog in einem Interview, während Pierre de Meuron die Undurchschaubarkeit der Verhandlungen zwischen Bauherrn und Generalunternehmer beklagt und Kostenanstieg wie Verschleppung der Bauphase nicht versteht.

Auch die besseren Beiträge in den Länderpavillons auf dem zweiten Teil des Ausstellungsgeländes im Giardini greifen die Chipperfield’sche Fragestellung nach der zweiten, nachhaltigen Moderne konsequent auf und versuchen neue Ansätze zu präsentieren. Der deutsche Pavillon unter Leitung von Muck Petzet und gestaltet von Konstantin Grcic präsentiert großformatige Fototapeten nachhaltig umgewandelter Bauten.

Kleinteilige Lösungen

Es sind eher unspektakuläre Beispiele, das kleine Haus von Brandlhuber+ in der Berliner Brunnenstraße, der dort auf einer Bauruine sein karges Konzept aufsetzte, oder die Stadterneuerung Europarei Uithoorn von Kempe Thill in Rotterdam. Andere wie die US-Amerikaner sind im Urban- und Guerilla-Gardening unterwegs, propagieren neue Partizipationsmodelle, kleinteilige Häuser und Lösungen. Leider erinnert jedoch die leidenschaftslose Präsentation ein wenig an Fischer-Technik und impliziert vorauseilend so etwas wie den korrekten akademischen Blick.

Die nordischen Länder können sich ihrer eigenen Tradition und Stärke versichern und sich erlauben, zum Jubiläum ihres 1962 erbauten Lichthauses einen eher design-ästhetischen Kontrapunkt zu setzen. Hohl wird es auf dieser Chipperfield-Biennale selten.

Bei den Österreichern vielleicht (esoterisch-künstlerische Privatverschwurbelung) oder bei Venezuela (staatssozialistische Parolen, keine formale Vision) und Israel (staatskritische und antiamerikanische Propaganda, unterstes Propagandaniveau) oder den Brasilianern (ironisch sein wollender Nachbau der Hängematten von 1964 mit harmlosem Guckkasten ins Private). Aber insgesamt ist, wenn nicht schon Venedig, so doch dieser Common Ground absolut eine Reise wert.

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