Mitbestimmung in Kleinstgemeinden: Im Dörfchen entscheiden alle mit

Wenn ein Dorf in Schleswig-Holstein weniger als 100 Einwohner hat, gibt es kein Kommunalparlament. Alle müssen abstimmen. Ein Bürgermeister findet das fatal.

Zu wenig Menschen für einen Gemeinderat: Tümlauer Koog auf Eiderstedt. Bild: dpa

HAMBURG taz | Im Tümlauer Koog sollen künftig alle Politik machen. Nach der jüngsten Reform des Gemeindewahlgesetzes ist die Kommune auf der Halbinsel Eiderstedt zu klein, um eine Gemeindevertreterversammlung zu wählen. Deshalb müssen alle Wahlberechtigten direkt über ihre Belange abstimmen – ein Verfahren, das der ehrenamtliche Bürgermeister Christian Marwig für undurchführbar hält. Er glaubt, die Landespolitik wolle die kleinen Gemeinden handlungsunfähig und damit obsolet machen.

Tümlauer Koog gehört zu einer der vielen Mini-Gemeinden im Land, die sich politisch selbst bestimmen und für die Verwaltung mit anderen Gemeinden die Dienste eines Amtes in Anspruch nehmen. Im Zug ihrer Kommunalverfassungsreform hat die abgewählte CDU-FDP-Landesregierung die Mindesteinwohnerzahl, ab der Gemeindevertreter gewählt werden, von 70 auf 100 heraufgesetzt.

Marwigs Gemeinde, die mit ihrer Ländlichkeit um Feriengäste wirbt, hatte zum Stichtag vor drei Jahren knapp unter 100 EinwohnerInnen. Wenn es also den nächsten Gemeindehaushalt zu beschließen gilt, muss er sie alle einladen. „Ich weiß nicht, wo ich die unterbringen soll“, sagt er. „Und alle müssen den Haushalt kriegen“, ergänzt er, das heißt einen dicken Stapel Papier, der nun in vielfacher Ausfertigung gedruckt werden muss. Diese Bedenken (pdf, S. 17) hatte der Gemeindetag, die Interessenvertretung der Kommunen, geltend gemacht – allerdings vergeblich.

In Schleswig-Holstein gibt es 1.116 Gemeinden, darunter 63 Städte. 38 Prozent von ihnen haben weniger als 500 Einwohner.

Ab 100 Einwohnern - früher 70 - darf ein Gemeinderat mit mindestens sieben Mitgliedern gewählt werden.

Demografisches Problem: Auf den Dörfern gibt es nur noch wenige Junge. Das erhöht den Anteil der Abstimmungsberechtigten und erschwert es, die Beschlussfähigkeit herzustellen.

Auch die Beschlussfähigkeit herzustellen, dürfte Marwigs Einschätzung nach nicht ganz einfach werden: Mindestens ein Drittel der Abstimmungsberechtigten muss zur Versammlung kommen. Gerade, um die Beschluss und Handlungsfähigkeit sicher zu stellen, habe die alte Regierung die Mindesteinwohnerzahl heraufgesetzt. „Es ist sehr schwierig geworden, die notwendige Anzahl an Gemeindevertretern zusammen zu bekommen“, sagt die CDU-Landtagsabgeordnete Petra Nicolaisen. Bei einer Einwohnerzahl von 70 und sieben Gemeindevertretern müsste jeder Zehnte bereit sein, sich in den Gemeinderat wählen zu lassen. Das sei immer schwieriger geworden.

„Das ist keine Basisdemokratie, sondern eine Themendemokratie, die da entstehen wird“, warnt Bürgermeister Marwig. Er befürchtet, dass zu Versammlungen nur die Leute kommen werden, die ein spezielles Interesse hätten. Weil er sich nicht vorstellen kann, dass die Selbstverwaltung nach den neuen Vorgaben noch funktioniert, hält es Marwig für möglich, das etwas anderes hinter der Änderung steckt. „Vielleicht ist es auch gewollt, um die kleinen Gemeinden verschwinden zu lassen“, sagt er.

Die ehemals regierende CDU weist das von sich. „Für uns steht fest, dass die kleinen Gemeinden wesentliche Keimzellen des Gemeinwesens sind“, sagt Nicolaisen. Die Reform habe den ehrenamtlichen Bürgermeistern mehr Verantwortung übertragen.

Marwig hat den Petitionsausschuss des Landtages angerufen. Die Abgeordnete Ines Strehlau von den mitregierenden Grünen kündigte an, sich zumindest mit dem Problem zu befassen: „Wir werden die Gemeindeordnung sowieso in einigen Punkten im Hinblick auf die Kommunalwahl anfassen.“

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