FUSSBALL: Der Schmerz der anderen

Beim Derby Hertha - Union geht es um einiges, auch für die Fans. Bericht vom Besuch eines Herthaners im Union-Block.

Herthas Sandro Wagner im Zweikampf mit Unions Christian Stuff. Bild: DPA

Was wurde nicht alles geschrieben. Über die Rivalität zwischen den Fangruppen. Über das Ost-West-Duell. Unterdrückter David gegen protegierter Goliath. VIP-Loge mit Sushi gegen Stehplatz mit Bratwurst. Zahlenspiele wurden bemüht, Statistiken verglichen und Interviews geführt. Zumindest in letzterer Disziplin hat Union wie immer die Nase weit vorn: Während Hertha-Kapitän Peter Niemeyer das übliche Medientrainingsgewäsch verbreitet, antwortet Unioner Torsten Mattuschka vor Spielbeginn auf die Frage, ob er sich (beruflich) vorstellen könnte, in den Westen Berlins zu gehen: „Ja, zu Burger King. Die sind im Osten wie im Westen gleich.“

Als das Spiel angepfiffen wird, ist alles Schall und Rauch: Die vermeintliche Fanfreundschaft zu DDR-Zeiten, die Verbundenheit durch den Hass auf den BFC Dynamo, der angeblich traditionelle Zusammenhalt der Berliner Fans. Jetzt geht’s ums Überleben. Ich muss es wissen: Ich stehe aus Platzgründen als Herthaner im Union-Block und feuere meine Mannschaft mit unterdrücktem Gemurmel an.

Der Unioner an sich merkt relativ schnell, wenn der Platz neben ihm von einem Unbekannten besetzt wird. In dem Meer aus roten Trikots werden meine Blue Jeans und das weiße Shirt mit blauer Jacke bereits als Affront gewertet. Folgerichtig werden auch zwei Jugendliche im Hertha-Trikot unter Applaus der Zuschauer von den Ordnern gebeten, in einen anderen Block zu wechseln. Der ein oder andere Dauerkartenbesitzer möchte wissen, was wir hier zu suchen haben. „Ich bin hier geboren und was ist deine Entschuldigung?“ entgegne ich. „Du bist mir ja eener“, höre ich von hinten. Einer sein wollte ich schon immer mal. Diskuswerfer Robert Harting steht ganz in der Nähe, hält sich jedoch mit klaren Bekentnissen zurück. Man weiß ja nie, wen man verärgern könnte.

Der Hertha-Block zu meiner Linken ist überschaubar. Einige hundert drängen sich in die hinterste Ecke der Alten Försterei, sie dürfen zuschauen. Teil des Geschehens sind sie nicht. Die Roten beschränken sich darauf, die Vergangenheit zu bemühen: Sie haben das Ergebnis des letzten Derbys auf ein 140 Quadratmeter großes Transparent gemalt. Die Blauen behaupten: „Wir sind Berlin!“, und glänzen durch viele kleine Schmähplakate. U.N.V.S.U* steht auf einem der Banner. Herthafans wissen um die beleidigende Bedeutung dieses Kürzels. Laura aber ist kein Herthafan – dementsprechend fällt ihre Interpretation kreativer aus: „Unsere neu erworbene Vernunft soll untergehen!“, sagt sie. Mir gefällt diese Herangehensweise. Wer braucht schon Vernunft, wenn das Stadtderby ansteht?

Als Wagner das erste Tor für die Blau-Weißen schießt, freuen wir uns zurückhaltend. Als Union später ausgleicht, bin ich zum Glück gerade Bier holen. Die Gespräche in der Bierschlange sind amüsantest. „So’n janz jemütliches 2:2, dit wär’t. Damit keener ’ne Welle macht. Wobei, der Ramos trifft ja nich und der Terodde ooch nich. Sagen wa halt, bleibt beim 1:1. Damit könnt ick leben.“ Ich könnte das nicht, ich brauch den Sieg.

Endlich wird Ronny eingewechselt. Ich sehe mich persönlich als seinen Ziehvater, schließlich habe ich seinen ersten Auftritt (auch damals ein Stadtderby, jedoch gegen den BFC Dynamo) live miterlebt. Ein Brasilianer, der Ronny heißt, muss verehrt werden. Egal, wie er spielt. Heute spielt er – ausnahmsweise – ansehnlich. Als Ronny mit einem flachen Freistoß das Siegtor schießt, wird bestätigt sich folgende Theorie: Freude ist nur der Schatten, den der Schmerz der Anderen wirft.

Die Unioner pfeifen ihr eigenes Team nicht aus und gehen eigentlich nie vor Spielende. Heute aber müssen einige hier raus. Neben mir hat jemand kein Verständnis „Dit sind no’ drei Minuten Zeit, Manfred!“, ruft er dem Flüchtenden hinterher. „Na dann brat dir ’n Ei!“ schallt es zurück. Wie John Lennon schon sagte: Die Zeit verwundet alles Heile.

*Und niemals vergessen: Scheiß Union

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