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Archiv-Artikel

Die zwei Gesichter der Spree

PROTEST Im Juli 2008 entschieden sich die Bürger in Friedrichshain-Kreuzberg gegen die Pläne einer „Mediaspree“. Fünf Jahre später fällt die Bilanz recht unterschiedlich aus

VON UWE RADA

So haben sich das Investoren und Senat wohl vorgestellt: Wer von der Oberbaumbrücke Richtung Osthafen schaut, sieht auf beiden Ufern der Spree ein Stück Stadt, wie man es auch vom Elbufer in Hamburg oder dem Medienhafen in Düsseldorf kennt. Namhafte Unternehmen, moderne Architektur, sterile Uferwege und Restaurants, die Capital Yard Golf Lounge oder Zigarren Herzog heißen. Am Osthafen ist die Vision einer „Mediaspree“ Realität geworden – die Stadt hat die Ufer der Spree an die Investoren ausgeliefert.

Wer den Blick wendet und Richtung Westen blickt, sieht, dass es auch anders geht. Viel Grün gibt es hier, viele Brachen und noch mehr Ideen. Es ist das andere Gesicht der Spree. Das bissige, widerständige. Zuletzt zeigte es sich bei den heftigen Protesten gegen das Luxuswohnhaus „Living Bauhaus“.

Diese Spree der BerlinerInnen hat ein Geburtsdatum. Vor fast fünf Jahren, am 18. Juli 2008, stimmten 87 Prozent der Wahlberechtigten in Friedrichshain-Kreuzberg dem Bürgerbegehren „Spreeufer für alle!“ zu. Seitdem wird an der Spree um die Zukunft Berlins gerungen. Hier die Investoren, die nach den Blessuren der Finanzkrise wieder Aufschwung bekommen haben. Dort die ehemaligen Zwischennutzer und Raumpioniere, aus denen inzwischen Raumunternehmer und Projektentwickler geworden sind. Wem gehört die Stadt? Nirgendwo wird dieser Kampf so intensiv ausgefochten wie an der Spree. Zwischen Bürgern und Investoren, zwischen Bezirken und Senat, zwischen Partyvolk und Baugruppen.

„Die Spree war im 19. Jahrhundert ein Arbeitsfluss. Man sieht es an den Fabriken und Fabrikruinen“, sagt Antje Kapek. Die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Grünen war 2008 Vorsitzende der Grünen-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg geworden. Der Bürgerentscheid habe auch die Grünen wachgerüttelt, räumt sie ein. Inzwischen hat der Bezirk „Planungsrichtlinien für das Kreuzberger Spreeufer“ entworfen. „Wie wollen die Köpenicker Straße zur Spree öffnen, Freiräume gestalten und auch Wohnungsbau realisieren“, sagt Kapek.

Auch wenn die Schlacht um das Living Bauhaus noch nicht zu Ende geschlagen ist: Kapeks Bilanz fällt insgesamt positiv aus. „Seit dem Bürgerentscheid wird über die Spree gestritten“, freut sie sich. „Das gibt uns die Möglichkeit, aus dem Arbeitsfluss einen Fluss für die Menschen zu machen.“ Nicht nur Investoren, auch Bürgerinnen und Bürger nehmen den Fluss in Besitz, von dem sie – auch wegen der Mauer – so lange getrennt waren: Das ist für Kapek, trotz aller Rückschläge, ein Grund zum Feiern.

Halbherzige Briefe

Weniger optimistisch fällt die Bilanz von Carsten Joost aus, vor fünf Jahren Initiator der Bürgerbegehrens. „Wenn man als Bezirk nur halbherzige Briefe schreibt, muss man sich nicht wundern, wenn man Niederlagen kassiert.“ Weder habe sich Friedrichshain-Kreuzberg entschieden gegen das Living Bauhaus eingesetzt, noch habe der Bezirk den Senat unter Druck gesetzt, am Osthafen Alternativen zum Grundstücksverkauf an den Meistbietenden zu entwickeln. Dass die Uferwege nun teilweise nur zehn Meter breit werden sollen, hält Joost, der für die Piraten als Bürgerdeputierter im Stadtplanungsausschuss sitzt, für fatal. „Die fünfzig Meter, die im Bürgerentscheid verlangt wurden, waren kein Selbstzweck“, betont er. Vielmehr wäre es bei dieser Breite auch möglich gewesen, bisherige Nutzungen wie Bars oder Strände zu realisieren.

Das Netzwerk Mediaspree, unter dessen Dach sich Investoren und Politik über ihre Vorstellung einer Investorenspree ausgetauscht haben, gibt es inzwischen nicht mehr. Dafür haben nun die Bürger ein Wörtchen mitzureden: „Wir wollen früher ins Gespräch kommen und an diesem wichtigen Ort Partizipation konkret umsetzen“, sagte Volker Hassemer bei der ersten Sitzung des „Forums Stadtspree“ am 31. Januar.

Am 18. März werden die Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft erneut zusammenkommen. Findet das „Forum Stadtspree“ eine Kompromisslösung für das umstrittene Living Bauhaus, wäre das auch ein Zeichen, dass der Bürgerwille nicht mehr einfach unter den Teppich gekehrt wird.

Was ist gut, was ist böse? Sechs Projekte an der Spree auf SEITE 44 und 45