Film über Diktatur in Indonesien: Killer im Anzug
Während der Kommunistenjagd Mitte der 1960er in Indonesien starben Hunderttausende. In „The Act of Killing“ spielen die Massenmörder sich selbst.
Man stelle sich vor: Eine Gruppe ehemaliger SS-Schergen inszeniert sich vor einer Kamera und spielt nach, wie sie Juden umgebracht haben. Sie singen und tanzen dabei, tragen bizarre Outfits in knalligen Farben und brüsten sich mit ihren Gewalttaten. Amtierende Bürgermeister und bekannte Medienmogule sitzen in Luxusvillen mit den Mördern auf dem Sofa und klopfen ihnen auf die Schulter – ebenfalls vor laufender Kamera.
Joshua Oppenheimers „The Act of Killing“, der kürzlich in Toronto erstmals öffentlich gezeigt wurde, hat nicht den Holocaust zum Thema, sondern die Kommunistenverfolgung in Indonesien Mitte der 1960er Jahre. Dennoch vergleichen Kritiker „The Act of Killing“ mit dem Holocaust-Film „Shoah“.
Auch Oppenheimers Film, koproduziert von Werner Herzog und Errol Morris, lehrt das Grauen, ohne Tote zu zeigen. Und auch für „The Act of Killing“ gilt, was Klaus Kreimeier 1986 über „Shoah“ schrieb: „Die Sprache der Barbarei tappt nicht etwa in ihr gestellte Fallen, sondern sie ist geheimnislos. Man muss sie nicht herauslocken, man muss ihr nur zuhören.“
Indonesien hatte Mitte der 1960er Jahre nach China und der Sowjetunion weltweit die drittgrößte Kommunistische Partei (PKI). Die Zahl ihrer Unterstützer betrug ein Fünftel der Bevölkerung.
Indonesiens Präsident Sukarno bewegte sich politisch zunehmend in Richtung Peking – zur Sorge des Westens und ihm verbundener Teile des indonesischen Militärs.
In der Nacht zum 1. Oktober 1965 wurden sieben ranghohe prowestliche Militärs ermordet. Armee-Vizechef Suharto machte die PKI verantwortlich, entmachtete Sukarno und veranlasste eine beispiellose Hetzjagd auf Kommunisten – mit Unterstützung des Westens.
Zwischen 500.000 und drei Millionen Menschen wurden ermordet, Hunderttausende kamen ins Gefängnis. Die Opfer von 1965 sind bis heute nicht rehabilitiert.
Sieben Jahre lang hat Oppenheimer der Sprache der Barbarei zugehört. Der 38-jährige Amerikaner lässt Massenmörder nicht nur vor der Kamera zu Wort kommen, sondern sie „das Schauspiel des Tötens“ visualisieren. Hauptdarsteller: die Mörder selbst. Sie drehen einen Film über Verbrechen, auf die sie stolz sind. Oppenheimer filmt sie dabei.
Protagonist Anwar Congo und seine Freunde sind Kriminelle in der Großstadt Medan in Nordsumatra, sogenannte Preman (= freier Mann). Die 1965 zunehmend einflussreiche Kommunistische Partei (PKI) ist Anwar und „seinen Jungs“ ein Dorn im Auge. Sie sind Mitglieder der paramilitärischen ultranationalistischen Pemuda Pancasila (PP) und verdienen, wenn sie nicht gerade Schutzgelder erpressen, ihr Geld als Ticketabreißer in einem Kino. Sie kleiden sich wie ihre amerikanischen Filmidole.
Blutige Kommunistenjagd
Und es sind die Hollywood-Streifen, die das Kinopublikum anziehen und Anwar & Co das meiste Geld einbringen. Jene Filme, die die PKI als imperialistisches Machwerk boykottiert. Als die große, blutige Hetzjagd auf Kommunisten beginnt, muss man Anwar und seine Freunde nicht lange um Mithilfe bitten. Gegenüber von „ihrem Kino“ liegt das Büro der PP.
Auf dessen Dachterrasse sieht man Anwar in einer der ersten Szenen von „The Act of Killing“ tanzen. „Cha-Cha-Cha – da, da, da“. Der schlanke Mann in weißer Hose und grün-weiß geblümtem Hemd singt und tänzelt vor und zurück. Gerade hat er erklärt, wie sie damals die Kommunisten „allegemacht haben“. Wie es auf der Terrasse anfangs so viel Blut gab, dass es zu sehr stank. Wie er deshalb auf die Idee kam, seine Opfer mit einer Drahtschlinge zu erwürgen. Er hatte das in amerikanischen Gangsterfilmen gesehen. Wie gut dieses Vorgehen das Blutproblem löste. Wie er die Bilder im Kopf vertreibt mit ein bisschen Musik, ein bisschen Alkohol, ein bisschen Marihuana? „Da, da, da – uh, uh, uh.“
Das Blutbad von 1965/66 hat zwischen 500.000 und drei Millionen Menschenleben gefordert. Suhartos Militärs brauchten dafür zivile Handlanger. Tausende wie Anwar mordeten im Auftrag der Militärs oder gemeinsam mit ihnen. Und mit Unterstützung aus Washington in Form von Geld, Technologie und Namenslisten.
Wer das Blutbad überlebte, aber des Kommunismus verdächtig war, landete ohne Gerichtsverfahren zum Teil über ein Jahrzehnt im Gefängnis und bekam hernach den Stempel ET (Ex-Tapol = Expolithäftling) in seinen Ausweis. Nach Suhartos Sturz konnten konnten sich die Opfer endlich Gehör verschaffen. Historiker publizierten eine alternative Geschichtsschreibung. Im Juli dieses Jahres schließlich stufte die Nationale Menschenrechtskommission die Kommunistenverfolgung von 1965/66 als „schwere Menschenrechtsverletzung“ ein und forderte den Generalstaatsanwalt zu Ermittlungen gegen die Täter auf.
Entmenschlichung der Kommunisten
Doch in der Bevölkerung dominiert die Narration des vor 14 Jahren gestürzten Diktators Suharto noch immer. Militärmedien hatten 1965 verbreitet, die ermordeten Militärs seien von Kommunisten gefoltert worden. Kommunistinnen hätten ihnen die Penisse abgeschnitten und die Augen ausgestochen. Der Obduktionsbericht, der dafür keinen Beweis liefert, blieb unter Verschluss. Doch die Propaganda wirkte, die Dehumanisierung der Kommunisten förderte den Hass breiter Gesellschaftsschichten und deren Angst vor dem „kommunistischen Chaos“. Auf diesem Hass und dieser Angst beruhte Suhartos Macht. Auf ihr beruht die Macht vieler indonesischer Amtsträger bis heute. Er wollte zeigen, so Oppenheimer zur taz, welche Kultur sich entwickelt, wenn die Mörder gewinnen und führende Positionen in der Gesellschaft einnehmen. „Massenmord als etwas Heldenhaftes zu feiern ist der Grundstein für Straflosigkeit.“
Mit sichtlicher Freude stellen Anwar und seine Freunde in Hollywood-ähnlicher Manier ihr Morden nach. Das wirkt so bizarr, dass man zuweilen lachen muss. Zugleich wird klar, dass die Täter einst so spielerisch mordeten, wie sie jetzt das Morden spielen. In der absoluten Gewissheit, über dem Gesetz zu stehen. Anwar kommen erst Zweifel, als er in die Opferrolle schlüpft. „Ich kann fühlen, wie meine Würde zerstört wird. Ob die Menschen, die ich gefoltert habe, auch so gefühlt haben?“ Der Regisseur antwortet aus dem Off: „Du weißt, dass du einen Film machst, Anwar. Deine Opfer wussten, dass sie wirklich sterben würden.“
„Dies ist der heftigste und politisch wichtigste Film, den ich je über Indonesien gesehen habe“, so der indonesische Soziologe Ariel Heryanto. Seit „The Act of Killing“, so Heryanto, sei das Studium indonesischer Politik nicht mehr das gleiche wie zuvor. Noch ist unklar, ob die Öffentlichkeit den Film zu sehen bekommt. Trotz Medienfreiheit hat Indonesien nach wie vor eine Filmzensurbehörde, von der „The Act of Killing“ kaum grünes Licht bekommt. Die Protagonisten drohen bereits, Oppenheimer zu verklagen.
Vertreter der Pemuda Pancasila „bitten“ öffentlich darum, den Film nicht zu zeigen. „Natürlich will ich den Film sehen“, sagt Erlina Gudadi, Vorsitzende von Kiprah Perempuan, einer Vereinigung von 1965er-Opfern. „Aber ich hätte zugleich Angst vor Gewalt, wenn er hier in den Kinos läuft.“ Gudadi erzählt, wie Angehörige von Ermordeten vor Kurzem ein Massengrab öffnen wollten, um die sterblichen Überreste ihrer Verwandten angemessen zu beerdigen. „Zwei Tage nachdem wir das beim Landrat angemeldet haben, tauchten am Ort des Massengrabes Transparente auf, die vor der ’neuen kommunistischen Gefahr‘ warnten.“ Aus Angst gaben die Angehörigen ihre Pläne auf.
Indonesiens größtes Nachrichtenmagazin Tempo folgte letzte Woche Oppenheimers Inspiration und publizierte eine Sonderausgabe mit Interviews von 65er-Massenmördern. „Diese Berichte haben eine enorme Diskussion ausgelöst, bei der vielen unwohl ist“, so der indonesische Historiker Hilmar Farid. Aber es sei genau die Diskussion, die sein Land brauche. Auch wenn, so Farid, „der Mut, die Vergangenheit zu betrachten, vielleicht die Behaglichkeit der Gegenwart erschüttern wird“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“