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PiratenNeu: Jetzt auch weiblich

Mit vier Frauen an der Spitze startet die Partei in den Bundestagswahlkampf. Klappt es mit dem Einzug in den Reichstag, ist wohl auch ein „dreiköpfiger Affe“ dabei.

PiratInnen bei der Abstimmung über KandidatInnen. Bild: DPA

Als das Ergebnis feststeht, klatschen und jubeln die Piraten in der Universal Hall in Moabit. „Eine geile Liste“, ruft einer. Es ist in jeden Fall eine Kandidatenliste, die für die Piraten ein Novum darstellt: Die ersten vier Plätze auf der Landesliste für die Bundestagswahl belegen Frauen, sieben der ersten zehn, acht von 14 insgesamt. Und das bei der Partei, die sich immer wieder vorwerfen lassen muss, dass sie ein Problem damit habe, Frauen mitzunehmen oder gar in die erste Reihe zu schicken.

In den Hintergrund treten am Sonntagabend die zähen, stundenlangen Befragungen der 46 Kandidatinnen und Kandidaten. Das geäußerte Misstrauen denen gegenüber, die ein Mandat erringen wollen. Vergessen die Kandidaten, die nicht richtig erklären konnten, warum jetzt ausgerechnet sie für die Piraten in den Bundestag sollten.

Auf Platz eins der Liste wurde Cornelia Otto gewählt. In ihrer Bewerbungsrede nannte sich die 38-Jährige das, „was man typischerweise einen Nerd nennt“: Ende der 80er Jahre den ersten Computer, Anfang der 90er online, vor dreieinhalb Jahren zu den Piraten gestoßen, aus Ärger darüber, dass die Freiheit im Internet beschnitten wird. Sie arbeitet als Freiberuflerin – Softwareentwicklung, Medien – und schließt gerade ihr Studium der Sozialwissenschaften ab. Als sie von ihrer „Vision einer freien, aufgeklärten, selbstbestimmten Gesellschaft“ sprach, bekam sie viel Applaus. In der Partei hat sie bislang vor allem in Hintergrund gewirkt.

Auf Platz zwei und drei stehen mit Miriam Seyffarth, 26, und Lena Rohrbach, 27, zwei Kandidatinnen, die zusammen mit einem Kollegen ein neues Parlamentariermodell ausprobieren wollen, „dreiköpfiger Affe“ haben sie es genannt. Sollte einer von ihrem Dreierteam gewählt werden, wollen sie sich Arbeit und Geld untereinander teilen. Jetzt könnte es sogar passieren, dass beide in den Reichstag kommen. Sie wollen dann ihr Team vergrößern – „nach dem Prinzip Zellteilung“.

Die Piraten wählen ihre Kandidaten nach einem kompliziertes Wahlverfahren, bei dem die Mitglieder nicht nur mit Ja und Nein über jeden Kandidaten abstimmen, sondern auch detailliert ihre Präferenz angeben können. Das führt dazu, dass Kandidaten, die einigermaßen beliebt sind, eher nach vorne gewählt werden als solche, die polarisieren. Das bekamen einige der Kandidaten zu spüren, die sich zwar schon länger in der Partei engagieren und die viele durchaus vorne sehen wollten – die aber zugleich bei anderen Mitglieder gar nicht wohlgelitten sind. Wer aneckt und polarisiert, bekommt bei den Piraten keinen vorderen Listenplatz. Sehr deutlich abgestraft wurde der ehemalige Landesvorsitzende Harmut Senken, er bekam nur das viertschlechteste Ergebnis.

Noch ist nicht ausgemacht, dass die Piraten im Herbst überhaupt in den Bundestag einziehen. Sollte es aber soweit kommen, zeigen sich jetzt Reibungspunkte. Die Berliner stellen dann mit vielleicht zwei oder drei Abgeordneten lediglich eine Minderheit in der Bundestagsfraktion. Im Westen und Süden schauen die konservativeren Piraten kritisch auf die Positionen der Hauptstädter. Den Berlinern ist etwa die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens unheimlich wichtig. Sie fordern, dass per Online-Abstimmung auch verbindliche Parteipositionen festgezurrt werden können – bislang sind es nur vage Meinungsbilder.

All diese potenziellen Streitfragen lächelt die neue Spitzenkandidatin weg. Auch über den Zoff im Bundesvorstand will Cornelia Otto lieber nicht viel Worte verlieren. „Eine Partei, die die so jung ist wie wir, hat auch das Recht, sich selbst zu finden“, sagt sie nur. Kandidatin Miriam Seyffarth ist optimistisch, dass bald auch auf Bundesebene die Personalstreitigkeiten in den Hintergrund rücken. „Wenn es jetzt legitimierte Kandidaten gibt, die sich auch zu aktuellen Fragen äußern, wird das auch den Fokus der Berichterstattung verschieben.“

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10 Kommentare

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  • SH
    Sebastian Heiser

    queue schrieb: "Nach Approval-Verfahren währen zum Beispiel Laura Dornheim und Stephan Urbach (beide haben scharfe Kritiker) um jeweils 3 Plätze nach hinten gerutscht."

     

    Das kann ich nicht nachvollziehen. Bei einer Ja/Nein/Enthaltung-Abstimmung, bei der der Anteil der Ja-Stimmen über den Listenplatz entscheidet, sähe die Liste so aus:

     

    1 Cornelia Otto 79,9

    2 Lena Rohrbach 77,6

    3 Miriam Seyffarth 76,2

    4 Ulrike Pohl 68,0

    5 Jan Hemme 60,1

    6 Laura Dornheim 59,1

    7 Anisa Fliegner 57,8

    8 Andreas Pittrich 57,4

    9 Enno Lenze 56,8

    10 Mareike Peter 48,5

    11 Stephan Urbach 47,9

    12 Daniel Scheighöfer und Heide Hagen mit je 47,2

    14 Michael Melter 45,2

     

    Laura Dornheim bliebe also auf Platz 6, Stephan Urbach bliebe auf Platz 11.

  • C
    Carlos

    Wow. Und das ohne jede Frauenquote. 10% Frauen 100% Top-Listenplätze.

  • N
    nano.nebel

    @Sebastian Erb: Nein, das haben sie nicht.

     

    Weder haben sich alle BewerberInnen um Listenplätze noch die Piratenpartei Berlin für eine "Ständige Mitgliederversammlung" ausgesprochen, mit der online verbindliche Positionspapiere verabschiedet werden sollen.

     

    Bisher macht sich lediglich ein kleiner, doch zugegebener Maßen recht lautstarker Teil der Berliner Piraten für dieses unter datenschutzrechlichten Gesichtspunkten bedenkenswerte Unterfangen stark. Und dennoch entspricht es keinem Beschuss der ansonsten sehr auf Schutz der Privatsphäre bedachten Berliner Piraten. Deshalb ist die im Text getroffene Aussage "Sie (die Berliner Piraten) fordern, dass per Online-Abstimmung auch verbindliche Parteipositionen festgezurrt werden können – bislang sind es nur vage Meinungsbilder" unwahr.

     

    Sollten Sie in den Weiten des Internet auf gegenteilige Aussagen stoßen, bitte ich um einen Nachweis.

  • SE
    Sebastian Erb

    @nano.nebel: Die Bewerber um die Listenplätze haben sich für die "Ständige Mitgliederversammlung" ausgesprochen, mit der online verbindliche Positionspapiere verabschiedet werden sollen.

  • N
    nano.nebel

    Die Berliner fordern bis dato KEINE verbindliche Online-Abstimmung!

     

    Denn so etwas käme einem Wahlcomputer gleich und widerspricht datenschutzrechtlichen Bestimmungen.

     

    Deshalb bitte keine Angst:

     

    Auch bei den Berliner Piraten gibt es eine Mehrzahl an Mitgliedern, die arge Bedenken gegen solch ein Verfahren hegen und deshalb auf Alternativen zur politischen Meinungsabfrage setzen, die ein Recht auf gemeime Wahl gewährleisten.

     

    Die Wahl der Kandidatinnen ist super!

     

    Parteiinterne Flügel-Sehnsüchte ungefiltert in solch einen an sich sehr positiven Artikel einfließen zu lassen ist es nicht. Denn das haben auch die Kandidatinnen nicht verdient.

     

    Glückwunsch an die 4 Berliner Top-Kandidatinnen!

  • T
    Tharon

    Wenn ihr gendered, dann bitte auch durchgehend und nicht schon im nächsten Satz wieder ins generische Maskulinum verfallen. Danke ;)

  • V
    Veronique

    Nicht schlecht...

    Bisher sind die Piraten die einzigen, die wirklich inhaltliche Debatten führen und nicht, wie schwarz bis grün, jahrzehntelang wiederkäuen und uns so lange für blöd verkaufen, bis wir es wirklich geworden sind...

    z.B. sind sie die ersten (organisiert als politische Kraft), die wirklich über Lösungen abseits des Wachstumszwangs und der Vollbeschäftigung debattieren.

    Es gibt genug (kapitalistische und antikapiralistische, marktwirtschaftliche und zentralwirtschaftliche, liberale, soziale, internationale, lokale) Alternativen zum exponentiellen Verhalten unserer Schulden. Raus aus dem Hamsterrad, hin zum Fortschritt oder wollen wir mit mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wie der Abrwrackprämie ewig mit Produktivitätssteigerungen mithalten? Die Systematik, die als alternativlos dargestellt wird (nein, bei Weitem nicht nur von der Kanzlerin) ist pervers: Stellen wir uns vor, wir befinden uns in einer kleinen, überschaubaren Marktwirtschaft. Wir sind eigentlich sehr zufrieden, doch dazu brauchen wir unter anderem täglich frisches Wasser. Dazu bezahlen wir pro Stunde Wasserholen 10 Euro an 5 Arbeiter. Jedoch gibt es einen Fortschritt und durch die neu erfundene Wasserleitung brauchen wir plötzlich nur noch einen Lehrer, der das Wissen über Wasserleitungen vermittelt, einen praktischen Planer und einen Bauarbeiter. Das sind jetzt 3 Personen, die für 10 Euro die Stunde unser Bedürfnis nach Wasser befriedigen. Wir können also drei fünftel der Produktionskosten einsparen, und 2 Arbeiter müssen nicht mehr arbeiten. Einerseits gut, denn weniger Arbeit zu gleichem Wohlstand bedeutet mehr Freiheit oder mehr Luxus. Andererseits tut sich mit dem Kapitalismus das Problem auf, dass die 2 Arbeitslosen kein Einkommen mehr haben, um vom fortschrittlichen und gemeinschaftlichen Leben teizuhaben. Hmmmm. 2 Arbeitslose ohne Einkommen. Übriggebliebenes Geld für 2 Arbeiter. Hmmmmm... was schlagen die etablierten Parteien vor? Faulheitsbekämpfung durch Sanktionierung der Arbeitslosen (siehe Agenda2010). Oder sie bringen die Leute dazu, mehr zu kaufen, was sie nicht brauchen, um Dinge zu Produzieren, die keiner gebraucht hätte, um Arbeit zu schaffen, die keiner hätte zu tun brauchen. Die großen 5, inklusive sogar der Linkspartei, erzählen uns ernsthaft, man müsse Arbeitsplätze schaffen! Da müssen wir uns doch an den Kopf greifen! Aber wir tun es nicht! Warum? Weil wir es eingetrichtert bekommen, die Absolutherrschaft des Ists. Selbst nach Vervielfachung der Prodiktivität durch Technik innerhalb kürzester Zeit. Leute, findet Ihr es etwa Abstrus, auf den Gedanken zu kommen, lieber das freigewordene Geld zu nutzen, um flexibel (je nach Faulheit und Güterbedarf der Menschen) Arbeitslosigkeit zusätzlich zur Deckung der Grundbedürfnisse zu Subventionieren?

    Ich weiß, das ist eine extrem Vereinfachte Situation, aber auf den Punkt bring sie es meiner Meinung nach. Versucht doch einfach, die Systematik des eben beschriebenen auf eine Volkswirtschaft zu erweitern. Ihr werdet bestimmt auf so vielfältige Lösungen unserer Arbeitsmarktkrise kommen. Das gleiche Gilt für unsere "Wirtschaftskrise" die Schuldenkrise, die bei linearem Wachstum mathematisch vorprogrammiert ist. Denkt nach und lasst euch nicht verarschen! (Was wäre zum Beispiel mit flexiblem BGE, kombiniert mit Staatsbankrott und Vermögenssteuer? --> z.B. meine Meinung)

     

    Meiner Meinung nach bieten die Piraten mehr Ansätze zur Lösung unserer Probleme als die etablierten 5, was aber viel wichtiger ist: sie befürworten Instrumente zur radikaleren Beteiligung, die, kombiniert mit Transparenz der Volksvertreter, das Denken ermöglichen. Mehr Pragmatismus im Parlament, wenn ich bitten darf!

  • Q
    queue

    Kleine Anmerkung zum Wahlverfahren: Im Gegensatz zum sonst üblichen Approval-Voting (Wahl durch Zustimmung, also Ja, Nein, Enthaltung für jeden Kandidaten) bevorzugt das angewandte Schulze-Verfahren Personen, die polarisieren. Nach Approval-Verfahren währen zum Beispiel Laura Dornheim und Stephan Urbach (beide haben scharfe Kritiker) um jeweils 3 Plätze nach hinten gerutscht.

     

    Wer Favorit ist und es gleichzeitig schafft, nicht negativ zu polarisieren, hat natürlich auch bei Schulze bessere Chancen auf einen Spitzenplatz. Daran sehe ich auch nichts Schlimmes.

     

    Auf den vorderen Plätzen hatte das Wahlverfahren kaum Auswirkungen. Die Plätze 2 und 3 hätten evtl. ihre Reihenfolge getauscht, was durch das Modell "3-köpfiger Affe" aber bedeutungslos wäre, da beide dem Team angehören.

     

    Eine feste Quotierung hätte übrigens zu weniger Frauen auf der Liste geführt, gerade bei den aussichtsreichen Plätzen.

  • T
    tom

    da wird ja schnell der Finanzminister am Tisch der raffinierten Äfflein sitzen und einen guten Teil vom guten Kuchen verlangen!

    Schaun m'r mal, wie weit die vielbesungene Transparenz und Steuerehrlichkeit im Ernstfall reicht...

  • M
    Meier3

    Wenn das so weiter geht, brauchen die Piraten wohl demnächst eine Männerquote: Keine 10% weibliche Mitglieder aber 100% der oberen Listenplätze.