Kulturclash: Hornbrille trifft Sonnenbrille

Bei der Premiere der neuen Veranstaltungsreihe „Kunst und Kampf im Wedding“ in den Uferstudios finden Kunst- und Boxfans nur schwer zusammen.

Traditionelle Box-Ästhetik: schwellende Muskeln, schweißnasse Oberkörper. Auch die schwarzen Hosen wären auf einer Kunst-Vernissage eher auffällig. Bild: dpa

Dass Schriftsteller sich für Boxer interessieren, weiß man spätestens seit Hemingway und Ezra Pound. Ob sich Boxer beziehungsweise Boxfans für Lesungen und Malerei interessieren, sollte am Freitag in den Uferstudios im Wedding geklärt werden. Veranstalter Adil Ciftci sieht das Ganze ziemlich pragmatisch, schließlich geht es sowohl im Sport als auch im Kulturbetrieb immer auch darum, neue Zuschauer zu locken.

Die Uferstudios sind zwar generell ein Ort für Lesungen, Malerei, Tanz und Performance, die Jugendlichen, die sich an diesem Abend in Halle 14 aufhalten werden, wären jedoch wahrscheinlich nicht gekommen, wenn lediglich die Lesung der Autorin Éwa Maria Slaska und die Molekular-Malerei von Renata Herda angekündigt worden wären. Auf dem Hof der Studios treiben sich zu Beginn nur die üblichen Kunstverdächtigen herum, nur eine Gruppe Studentinnen lauscht gebannt den Ausführungen eines Fighters, welcher sie mit Anekdoten aus vergangenen Kämpfen unterhält. Die Mädchen tauschen vielsagende Blicke aus, es wirkt ein wenig, als ob sie das Ganze eher als Zirkusnummer begreifen und amüsiert sind ob so viel realen Lebens.

Zu Beginn spielt die Band „Kapelle Weyer“, es ist nicht ganz klar, aus welchem Grund sie eingeladen wurden. Ihre Musik ist weder boxaffin, noch sind sie auf die naheliegende Idee gekommen, ihre Songs namens „Lametta-Bungee“ oder „Sven & Cora“ in dem in der Mitte aufgestellten Boxring zu performen, was eventuell an dem ganzen Equipment liegen mag.

Lesung am Boxring

Anschließend erscheint Éwa Maria Slaska. Kann man bei der Kapelle Weyer noch einigermaßen nachvollziehen, warum es ihnen nicht möglich war, in den Ring zu steigen, wird es hier nun besonders absurd. Die Dame steht am Boxring und liest ihre Erzählung. Als die Zuschauer lautstark fordern, sie möge in den Ring steigen, setzt sie sich auf einen Stuhl im Publikumsbereich und liest dort ihre Kurzgeschichte zu Ende. Auch hier wurde leider verpasst, die offensichtlichen Chancen, die eine solche Veranstaltung bietet, zu nutzen.

Die Blicke der Boxinteressierten werden müde, ein in die Jahre gekommener, mit Goldschmuck behangener Dandy beobachtet seine roten Lackschuhe. Es reicht eben nicht, dass der Titel der Erzählung „Die alte Dame und der Boxer“ lautet, einen gewissen Entertainmentfaktor sollte man bei einer solchen Veranstaltungen schon an den Tag legen. Doch dann, endlich, beginnt die Show. Inzwischen ist auch das Publikum bunt gemischt, die sogenannten Stiernacken stehen neben den Wollpullover tragenden Kunststudenten, Hornbrille trifft auf Sonnenbrille. Als die ersten Fäuste fliegen, halten sich einige der Kunstinteressierten die Augen zu, anscheinend haben sie nicht damit gerechnet, dass beim Boxen tatsächlich zugeschlagen wird. Doch relativ schnell gewöhnen auch sie sich an das dumpfe Klatschen der Boxhandschuhe auf der Haut des Gegners.

Der erste Kampf wird, wie beinahe jeder weitere der Kämpfe an diesem Abend, durch (technischen) K. o. entschieden. Zur Erleichterung der meisten Anwesenden folgt sofort der zweite Kampf. Eurosportlegende Werner Kastor, bekannt geworden durch Sprüche wie „Jetzt wird er arrogant, nein, das ist nicht richtig, jetzt zeigt er, dass er arrogant ist“, der die Moderation des Abends übernommen hatte, führt charmant verwirrt durch den Abend.

Schlag auf Schlag

Als nach dem Kampf eine weitere Lesung angekündigt wird, befürchtet man das Schlimmste, doch glücklicherweise hat man sich mit Malte Müller-Michaelis, seines Zeichens Geschäftsführer der Arena Sports-Promotion, jemanden geholt, der es versteht, die verschiedenen Aspekte des Abends zu vereinen. Mitreißend liest er eine Kurzgeschichte über den ehemaligen Weltmeister im Kickboxen, Andreas Sidon, vor, gespickt mit den Boxfans bekannten Personen wie dem Promoter Ahmet Öner – und sorgt letztendlich doch noch für eine Verbindung von Sportart und Literatur. Dass auch er nicht in den Ring steigt, sei ihm daher großzügig verziehen. Nun geht es Schlag auf Schlag, Die Band spielt noch ein paar Songs, die Kämpfer kommen und gehen, das Bier fließt, auf dem Hof wird gegrillt.

Nach anfänglichen Startschwierigkeiten ist die Veranstaltung doch noch zu dem geworden, was sich Veranstalter Adil Ciftci gewünscht hat: eine Bereicherung für beide Seiten. Die Idee kam ihm, als er von einer ähnlichen Veranstaltung während der Documenta in Kassel erfuhr und diese in seinem Heimatbezirk präsentieren wollte. Glücklicherweise wird es wohl noch weitere Möglichkeiten der gegenseitigen Kontaktaufnahme geben, geplant ist eine ganze Serie der „Kunst und Kampf im Wedding“-Veranstaltung, Ciftci träumt von einem vierteljährlichen Event. Es wäre ihm zu wünschen, vor allem da das Potenzial dieser großartigen Idee noch lange nicht ausgeschöpft wurde.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.