Wählen im Norden: Alt, ländlich, männlich

In Schleswig-Holstein dürfte die CDU die Nase vorn haben – ihre Probleme löst das nicht. Aber Wolfgang Kubicki rettet vom Norden aus die FDP.

Will sich für seine Liberalen opfern: Wolfgang Kubicki Bild: dpa

KIEL taz | Es steht elf zu sechs zwischen CDU und SPD in Schleswig-Holstein: Fast ein Dutzend Mal seit 1949 wurden die Christdemokraten bei Bundestagswahlen stärkste Partei im Norden, wie das Statistikamt Nord gezählt hat. Und nach der Barschel-Affäre, die der CDU zwischen 1987 und 2000 fünf Niederlagen bei Landtagswahlen einbrachte, ist das Gewicht wieder gekippt: 2005 verlor die SPD trotz Heide Simonis knapp und musste als Junior in eine große Koalition. Diese brach die CDU 2009, um parallel zur Bundestagswahl den Landtag neu bestimmen zu dürfen. Dieses Ziel hat sie erreicht: Die SPD landete bei mickrigen 25,4 Prozent.

Politik für Senioren

Weniger als 30 Prozent holten die Sozialdemokraten seit 2003 auch bei Kreis- und Kommunalwahlen – im Mai dieses Jahres waren es 29,8. Einen Hauch besser sah es 2012 bei der Landtagswahl aus. Es reichte der SPD, um mit den Grünen und der Minderheitenpartei SSW die Regierung zu bilden – aber stärkste Partei wurde trotzdem die CDU mit 30,8 Prozent, eine Wimpernlänge vor der SPD mit 30,4 Prozent.

Eigentlich ist Schleswig-Holstein also eine sichere Bank für die Christdemokraten, und vor allem die DirektkandidatInnen können auf ihren Einzug in den Bundestag hoffen: Ländliche Flächenkreise fallen fast immer in die Hand der Schwarzen.

Trotzdem ist die CDU in Schleswig-Holstein nicht zufrieden. Die Partei schwächelt in den Städten und bei Jüngeren. Zu alt, zu männlich, zu ländlich ist sie. Sie betreibe „Politik für Senioren“ warf der ehemalige Abgeordnete Torsten Geerdts seinen Parteifreunden vor.

Jost de Jager, der Parteichef und Spitzenkandidat von 2012, der wie Geerdts nicht mehr in den Landtag eingezogen war, wollte den Neustart und erhielt zu wenig Rückhalt. Nur mit Mühe eroberte er einen Bundestags-Wahlkreis. Kurz nach Weihnachten trat er als Parteichef zurück, in den Bundestag will er nicht mehr.

Der neue Parteichef Reimer Böge forderte bei seiner Wahl im März: „Wir brauchen mehr Frauen und junge Leute, wir brauchen kreative Unruhe.“ Böge, Jahrgang 1951, stammt aus dem Dorf Hasenmoor. Seit 1989 beschäftigt er sich in Brüssel mit den Themen Haushalt und Landwirtschaft und führt einen Nebenerwerbsbauernhof – drei von drei Punkten der Liste „alt, männlich, ländlich“.

Deshalb sei er trotz 98 Prozent Zustimmung vermutlich nur ein Übergangskandidat, meinte ein Mitglied der Landtagsfraktion nach der Delegiertenwahl. Auch Böge selbst sagte damals, er werde „keinen wegbeißen, der sich engagieren will“. Doch ein starker Nachfolger ist nicht in Sicht – erst recht keine Nachfolgerin.

Unter den KandidatInnen, die die Nord-CDU in den Bundestag schicken will, sind Ole Schröder, dessen Frau Kristina in einem möglichen neuen Merkel-Kabinett wohl nicht mehr Familienministerin sein wird, Johann Wadephul, Ex-Fraktionsvorsitzender im Kieler Landtag, und Alexandra Dinges-Dierig, ehemalige Hamburger Schulsenatorin.

Die Piraten brachten im Vorjahr bei der Landtagswahl die Verhältnisse zum Tanzen: Sie holten 8,2 Prozent, so viel wie die FDP. Erreicht hat die Partei dort Gutes wie Schlechtes: Bei Datenschutz-Themen wie der Funkzellenabfrage trieben sie die anderen Parteien vor sich her, aber sie sorgten vor allem am Anfang durch die Forderung nach Transparenz selbst bei informellen Arbeitstreffen der Fraktionsgeschäftsführer für Ärger bei den Abgeordneten-KollegInnen. Der bundesweite Abschwung nach dem Hype gilt auch für Schleswig-Holstein. „Es wird nicht leicht“, sagt Heiko Schulze, Spitzen-Pirat auf der Landesliste. Er sei, bekannte er, „kein geborener Abgeordneter“.

Trinker oder Hurenbock

Immerhin einen echten Promi schickt Schleswig-Holstein in den Bundestag: FDP-Lautsprecher Wolfgang Kubicki, der 2010 in einem Interview befürchtete, er werde in Berlin zum „Trinker oder Hurenbock“, opfert seine Gesundheit dem Wohl der Partei: Mit dem Slogan „Die Freiheit in Person“ steht er auf Platz 1 der Landesliste. Sein Landtagsmandat gibt er auf jeden Fall zurück.

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