Festival "Überjazz" in Hamburg: Mit offenen Ohren

Beim Hamburger Festival "Überjazz" treffen sich lokale Szene und internationale Größen des zeitgenössischen Jazz.

Techno-Formeln und Klassik-Klangwelt: das Brandt Brauer Frick Ensemble. Bild: Nico Stinghe & Park Bennett

HAMBURG taz | Ein kurzer Atemzug, dann mäandert sich das grummelnd wehklagende Saxofon immer dichter ans Ohr. Es klappert, schabt und dröhnt, verliert sich im Raum, kehrt stampfend zurück und verebbt in einem kaum noch hörbaren Klimpern und Schnaufen. Beim Überjazz-Festival auf Kampnagel dürfte sich nicht nur die Dixieland-Fraktion über die Klänge wundern, die der US-amerikanische Saxofonist Colin Stetson seinem Instrument entlockt – zu hören am Freitagabend.

An Albert Ayler wird man sich vielleicht erinnert fühlen, an Freejazzer wie Ornette Coleman oder Avantgardisten wie John Zorn. Mit einer eigenwilligen Zirkularatemtechnik entlockt Stetson seinem Saxofon, in das er zugleich bläst und singt oder schreit, endlos wirkende Arpeggio-Bögen. Aus den so entstehenden Differenztönen, Atem- und Klappengeräuschen nebst Raumresonanzen bastelt er dann mit ausgefeilter Mikrofontechnik und ganz ohne Loops oder Overdubs komplexe polyphone Klangwände, die eher an elektronische Drone-Musik als an Jazz erinnern.

Es ist nicht nur die ungewöhnliche Mischung aus Jazzelementen und repetitiven Klangtexturen, die Stetson zum paradigmatischen Beispiel für „Überjazz“ macht – für Musik, die zwar im Feld des zeitgenössischen Jazz verwurzelt bleibt, zugleich aber einen entschiedenen Schritt über dessen Reviergrenzen hinaus wagt.

Denn Stetsons musikalische Umtriebigkeit kennt keine Scheuklappen. Die kanadischen Indierocker Arcade Fire unterstützt er als Tourmusiker, bei Justin Vernons Indiefolk-Projekt Bon Iver macht er mit, mit Sinéad O’Connor und Tom Waits hat er ebenso zusammengearbeitet wie mit den Bombast-Postrockern von Godspeed You! Black Emperor oder der New Yorker Alternative-Dance-Kombo LCD Soundsystem.

Vor vier Jahren hat das Hamburger Jazzbüro seine „Jazztage“ als „Überjazz“ neu aufgelegt, in Zusammenarbeit mit der Jazzredaktion des NDR – und mit finanzkräftiger Unterstützung durch neue Kooperationspartner: die Konzertagentur Karsten Jahnke und das Kulturzentrum Kampnagel. Das Jazzbüro holt die lokale Szene ins Boot, Jahnkes Agentur lässt ihre Kontakte zu internationalen Größen spielen und Kampnagel kümmert sich um die zeitgenössischen Jazz-Pioniere.

Das Ergebnis der Kooperation ist auch diesmal ein wirklich beeindruckendes Programm, das das Kulturzentrum am Osterbekkanal für drei Tage in einen Raum für überraschende Neuentdeckungen verwandelt. Denn es ist die Zusammenkunft von stilistischer Vielfalt und der Offenheit eines Festivals, die Überjazz von Beginn an zum Erfolg werden ließ: Man lässt sich durch vier Hallen und ein Foyer treiben, und wenn man eines Konzertes überdrüssig wird, schaut man einfach in der nächsten Halle vorbei.

Spannend wird es vor allem bei den zahlreichen Kollaborationen, die hier zum ersten Mal präsentiert werden. Der norwegische Trompeter Nils Petter Molvær trifft auf den Berliner Techno-Produzenten Moritz von Oswald, der Experimentalpianist Hauschka auf seinen kongenialen Schweizer Kollegen Nik Bärtsch und der US-amerikanische Gitarrist Bill Frisell auf die NDR Bigband unter der Leitung seines ehemaligen Lehrers, des britischen Arrangeurs und Komponisten Michael Gribbs.

Freunde des „klassischen“ Jazz werden am Sonntag fündig: dann kommen der Soul-Jungspund Ady Suleiman, die Jazz- und Nu-Soul-Sängerin Zara McFarlane und der umwerfenden Jazzsänger José James.

Fr, 25. 10. bis So, 27. 10., Hamburg, Kampnagel http://kampnagel.de/de/home/

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