Queeres Berlin: Umzug ins Unbekannte
Nach langen Jahren am Kreuzberger Mehringdamm eröffnet heute Abend das neue „SchwuZ“ im Neuköllner Rollbergviertel – nicht gerade eine Schwulenhochburg.
Thomas Sielaff steht in einem großen Raum, Staub liegt in der Luft. Etliche Menschen wuseln herum, sie hämmern, schrauben, räumen die Bars ein oder hängen Deko auf. Paletten liegen im Weg, Kabel gucken aus den Wänden, nur die große Discokugel hängt schon. Es ist Mittwochabend in der alten Kindl-Brauerei in Neukölln, und in den Räumen, wo einst die Biertanks gelagert wurden, soll in drei Tagen das „SchwuZ“ neu eröffnen. Aber noch sieht nichts danach aus, als könnten hier bald zu Hunderten Feierwütige einfallen. Thomas Sielaff ist trotzdem zuversichtlich: „Am Samstag wird alles so weit fertig sein, dass man hier Party machen kann.“
Das SchwuZ (kurz für SchwulenZentrum) wurde 1977 aus der Homosexuellen Aktion Westberlins heraus gegründet und fungierte als Treffpunkt für verschiedenste queere Gruppen, zuerst in der Schöneberger Kulmer Straße.
Party gab es anfänglich nur am Samstag unter dem Namen "Männerfang". 1987 folgte der Umzug in die Hasenheide am Südstern, und 1995 dann zum Mehringdamm.
Im Rollbergviertel wird das SchwuZ der erste Teil des geplanten Kulturstandorts in der ehemaligen Kindl-Brauerei, in der im Herbst des nächsten Jahres ein Zentrum für zeitgenössische Kunst eröffnen soll.
Heute am Samstag feiert das SchwuZ mit "Hallo Neukölln" seine Eröffnung in der Rollbergstraße 26 mit einer 25-Stunden-Party.
23 Uhr, 8 Euro. (kwb)
Thomas Sielaff ist 34 und eigentlich der Pressesprecher des SchwuZ, aber in den letzten Wochen war sein Job vor allem, zu beschwichtigen. Denn der Umzug ist nicht unumstritten, obwohl Sielaff immer wieder die Vorteile hervorhebt: Die neue Location ist etwa doppelt so groß wie die alte, was vor allem bessere Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter bedeute. Es gibt jetzt eine fest installierte Bühne für Konzerte, wegen der höheren Decken sei der Sound nun besser. Einen hohen sechsstelligen Betrag hat das SchwuZ für den Umzug ausgegeben. „Es gibt keinen Weg zurück zum Mehringdamm“, stellt Sielaff klar. Und doch bleiben die Fragen, die viele bewegen: Wird das SchwuZ in Neukölln so familiär bleiben, wie es ist? Werden die neuen Räume schön? Wie ist die Gegend?
Reichlich Diskussionen
Die Gegend, das Neuköllner Rollbergviertel, ist seit Jahren als sozialer Brennpunkt verschrien und wird diesen Ruf – aller Gentrifizierung zum Trotz – einfach nicht los. Es ist eine Gegend, in der queer sein noch lange nicht so selbstverständlich ist wie in Kreuzberg. Das sorgte vor dem Umzug für reichlich Diskussionen – denn das SchwuZ ist als Verein organisiert, jedes Vereinsmitglied kann über alle Angelegenheiten des SchwuZ mitbestimmen. Als die Idee des Umzugs im Verein diskutiert wurde, war die Meinung zunächst gespalten: „Viele von den Älteren haben gesagt: Neukölln, ist da überhaupt was? Die Jüngeren waren da aufgeschlossener“, erzählt Sielaff. Lange wurde diskutiert, sogar eine Liste mit Pro und Kontra gemacht. Die Entscheidung brachte schließlich eine gemeinsame Besichtigung der neuen Räume: „Da waren wir alle ziemlich beeindruckt“, sagt Thomas Sielaff.
Der Verein ist nun überzeugt – die Gäste noch lange nicht. Vor einer Woche feierte das SchwuZ seinen Abschied vom Mehringdamm. Die Schlange reichte schon um 23 Uhr über den gesamten Gehweg. Ist es für viele hier der letzte Besuch im SchwuZ? „Vorbeischauen werde ich in Neukölln auf jeden Fall, allein schon um zu gucken, wie es so geworden ist“, so Angela Reichelt, eine der Wartenden. „Aber dass das SchwuZ nach Neukölln zieht, find’ ich scheiße.“ Denn dort habe sie „schlechte Erfahrungen gemacht“, erzählt die 33-Jährige. Kerem dagegen sieht den Umzug positiver: „Ich find’s cool, allein schon, weil ich da wohne!“ Angst vor Homophobie hat der 19-Jährige, der am Rathaus Neukölln wohnt, nicht: „Bei mir um die Ecke ist ein Schwulen-Café, und mir selbst ist auch noch nie was passiert.“
Es ist nicht der erste Umzug, den das SchwuZ hinter sich hat. Angefangen hat alles 1974 in Kreuzberg mit der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW), die den ersten Christopher Street Day in Berlin organisierte. Aus der HAW ging drei Jahre später das SchwuZ hervor, das seine erste Heimat in der Schöneberger Kulmer Straße fand. Später ging es in die Hasenheide, bis das SchwuZ 1995 schließlich dorthin zog, wo es bis vor einer Woche war: Mehringdamm 61, Kreuzberg.
„Man könnte sagen, das SchwuZ ist an Umzüge gewöhnt“, so Thomas Sielaff. Und doch ist dieses mal etwas anders: „Früher war es immer so, dass wir raus mussten. Diesmal war es so, dass wir raus wollten.“ In den alten Räumen wurde der Platz langsam knapp, bei Regen tropfte Wasser hinein und auch mit den Vermietern gab es immer wieder Differenzen. Im Frühjahr dieses Jahres ergab sich dann eine Möglichkeit: In Neukölln waren Räume in der einstigen Kindl-Brauerei frei. Vorher residierte dort der „Cube-Club“, der, erst März 2012 eröffnet, Anfang des Jahres schon wieder Insolvenz anmelden musste.
Trotz des Scheiterns der Vorgänger – oder zum Trotz – will das SchwuZ in Neukölln so viel Party machen wie noch nie: Donnerstags wird es eine neue Electro-Party geben, damit wird dann von Mittwoch bis Samstag jeden Abend gefeiert. Wie viel ist da noch übrig geblieben von den politischen Wurzeln? „Es ist in den letzten Jahren ein bisschen weniger geworden, aber wir wollen unsere politische Seite wieder mehr beleben“, sagt Thomas Sielaff. Beim transgenialen CSD sei man seit zwei Jahren dabei, und zur Berlinale wolle man mit dem Teddy-Award gemeinsam eine Aktion für Homosexuelle in Russland starten.
Neue Orte für die Szene
Mit dem Umzug verliert der Mehringdamm schon die zweite große Institution der queeren Szene: Bereits im Mai eröffnete das Schwule Museum, bis Oktober 2012 am Mehringdamm zu Hause, in Tiergarten neu. Und während sich in Kreuzberg die queere Szene auszudünnen scheint, hat sich in Neukölln längst eine neue etabliert: Bars wie das „Silver Future“ in der Weserstraße oder „The Club“ in der Boddinstraße bieten seit Jahren einen genuin queeren Platz zum Trinken, Flirten und Feiern.
Jetzt kommt mit dem SchwuZ der erste queere Club. Mit einem 25-Stunden-Partymarathon beginnt man heute am Samstag die Zeit in Neukölln, 56 DJs werden insgesamt auflegen. Einer von ihnen wird Thomas Sielaff sein. „Nach dem Ansturm zur Abschiedsparty hoffe ich, dass es mindestens genauso voll wird und die Leute Spaß haben“, sagt er. „Dann bin ich glücklich.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Verzicht auf Pädagogen in Bremer Kitas
Der Gärtner und die Yogalehrerin sollen einspringen
Grüne Parteitagsbeschlüsse
Gerade noch mal abgeräumt