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Erleuchtung in der Kirchensauna

In den Aachener Carolus-Thermen bietet die Kirche Meditationen an, von Körperentspannung bis zu Experimenten mit Mantras und Texten

Von BIRGIT-SARA FABIANEK

Monika Knepper hängt ein Schild an die Tür des Wintergartens der Carolus-Thermen: „Meditation. Bitte nicht stören.“ Eine der gepolsterten Holzliegen klappt nach unten. Eine Frau rafft ihr Badetuch zusammen und verlässt auf klappernden Sandalen den Raum: „Huch, Meditation, das ist nichts für mich.“

Die zwölf anderen Gäste ruckeln sich auf ihren Liegen zurecht, legen ihr Buch zur Seite, kuscheln sich in ihren Bademantel und schließen die Augen. Mehr als die Hälfte der Liegen im Wintergarten mit Blick auf Erdsauna und Saunasee ist besetzt.

„Willkommen zur Tiefenentspannung nach Jacobson. Ich komme vom Team für Freizeitpastoral im Bistum Aachen.“ Die Stimme der Psychotherapeutin klingt ruhig und warm. „Ich bitte Sie jetzt, eine für Sie angenehme Körperhaltung zu finden. Nehmen Sie wahr, dass Ihr Körper atmet und dass er dabei Bewegungen macht. Registrieren Sie, dass sich der Brustkorb sanft hebt und senkt. Und dass sich die Bauchdecke hebt und senkt.“

Die Klimaanlage summt leise. Draußen plätschert Wasser. Vögel zwitschern. „Die Meditationen sind für mich genau richtig. Auf innere Besinnung und so weiter kann ich mich hier, wo’s sprudelt und dampft, viel besser einlassen als auf den knarzenden Kniebänkchen in der Kirche. In der Wärme ist es angenehmer“, sagt eine Teilnehmerin.

Die Idee, Thermal- und Saunabadenden kostenlose Meditationen anzubieten, hatte Barbara Baumann, Referentin für „Kirche in der Gesellschaft“ im Bistum Aachen, vor vier Jahren: „Es gibt Kur- und Klinikseelsorger – aber niemanden, der sich um die Leute kümmert, die in Wellnesstempel pilgern, um körperlich und seelisch wieder ins Gleichgewicht zu kommen.“ Ihr Vorschlag stieß auf Skepsis: „Klar steht auch geistige Entspannung in unserem Programm“, sagt Werner Schlösser, Geschäftsführer der Carolus-Thermen, „aber wir hatten da eher an Yoga oder Qi-Gong gedacht.“ Und überhaupt: Was passiert mit dem Thermen-Image, wenn Kirchenleute in der Wellnessoase Besucher bekehren? Die Angst vor Missionierung war groß. Nachdem er mit dem Entspannungsangebot eines Psychologen schlechte Erfahrungen gemacht hatte, beschloss der Thermen-Geschäftsführer, die Zusammenarbeit mit dem Bistum doch einmal auszuprobieren. Statt christlich-religiös geprägter Themen geht es bei den Thermen-Meditationen um Wasser und Wärme, Licht und Geborgenheit.

Inzwischen ist Monika Knepper bei ihrer Entspannungsübung beim Kopf angekommen: „Nehmen Sie die Scheitelregion achtsam wahr. Registrieren Sie, was dort zu spüren ist. Fühlt sich das angenehm oder unangenehm an? Ist es eher kalt oder warm?“ Einige Teilnehmer haben eine Hand auf den Solarplexus gelegt, um ihrem Atem nachzuspüren, andere sind einfach eingeschlafen.

„Ich möchte den Leuten Gutes tun“, sagt Monika Knepper. Die meisten Besucher haben noch nie zuvor eine Meditation mitgemacht. Manche kommen hinterher zu ihr und sagen: „Das ist ja toll, wo kann ich so etwas weitermachen?“ Denen drückt sie ein Faltblatt mit ein paar weiteren Angeboten des Bistums in die Hand. Mehr Missionierung gibt es nicht.

Manche der 20 ehrenamtlichen Meditations-Begleiter sind mehr buddhistisch ausgerichtet, andere Anhänger von Naturreligionen, ein evangelischer Pfarrer ist dabei, katholische Theologen, zwei sind konfessionslos. Jeder Mitarbeiter hat seine eigene Motivation und Methode: Manche bieten Fantasiereisen an, andere Körperentspannung, es gibt Klangschalen- und Musikmeditationen und Experimente mit Mantras und Texten. Meditation bedeute, sich wieder auf das zu besinnen, was einem wichtig sei, sagt der ehemalige Missio-Referent Klaus Jäkel, der sich ebenfalls bei den Thermen-Meditationen engagiert.

Schon bald war keine Liege mehr frei. Der Erfolg des einzigartigen Projekts hat alle überrascht: „Menschen, die ich nicht kenne und die mich nicht kennen, legen sich auf die Liege, schließen die Augen und sagen: Mach!“, erzählt Baumann. Dass dieses Angebot von der Kirche komme, sei eine Art Gütesiegel. Mittlerweile kommen pro Woche rund 300 Teilnehmer zu den 18 Meditations-Terminen. Geschäftsführer Werner Schlösser ist begeistert und würde am liebsten die Anzahl der Termine noch verdoppeln, wenn es weitere Meditations-Begleiter gäbe.

Kritische Anfragen kommen vor allem aus der Kirche. Ausgerechnet in Zeiten, in denen Kirchen sparen müssen, bietet ihr den Reichen, die sich Thermen-Besuche ohnehin leisten können, ein zusätzliches Angebot, schimpfen frisch geweihte Priester. „Uns entstehen dank der Ehrenamtlichen kaum Kosten“, kontert Baumann. Für die Kirche gehe es auch darum, Spiritualität in längst säkularisierten Feldern wie der Körperkultur wiederzuentdecken und die Körper- und Lustfeindlichkeit vergangener Zeiten zu überwinden.

Monika Knepper hat ihre Reise durch den Körper beendet. „Schließen Sie die Übung ab, indem Sie sich vorstellen, dass Sie durch den Scheitel einatmen und dass der Atem den Körper durch die Füße verlässt. Kommen Sie dann bitte mit der vollen Aufmerksamkeit zurück in den Raum.“ Die Teilnehmer räkeln und strecken sich. Eine Frau geht zu Monika Knepper und berührt sie leicht am Arm: „Einfach mal nichts machen und still werden, das fällt mir viel leichter, wenn ihre Stimme in der Nähe ist. Ich hör zwar nicht immer zu, aber für mich hat ihre Stimme die Botschaft: Es ist völlig in Ordnung, dass ich jetzt einfach nur daliege. Herrlich.“

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