: „Ein Flughafen ist kein Wunschkonzert“
taz-Serie „Vorschau 2006“ (Teil 3): Für den Großflughafen BBI in Schönefeld geht’s vor dem Bundesverwaltungsgericht ums Ganze. Der scheidende Flughafenchef Dieter Johannsen-Roth ist „optimistisch“. Den Boom der Billigflieger begrüßt er
Interview RICHARD ROTHERund ULRICH SCHULTE
taz: Herr Johannsen-Roth, können Sie ihre vierjährige Amtszeit bilanzieren – in vier Sätzen?
Dieter Johannsen-Roth: Die Lösungen, die wir in einem guten Team für die schwierige Aufgabe, Schönefeld attraktiver zu machen, erarbeiteten, haben sich bewährt. Es ist eine ganz einfache Story: Mit den Billigfliegern haben wir aufs richtige Pferd gesetzt, sie haben sich als stabiles Geschäft erwiesen. Sie passen zur Stadt, die Zahlen stimmen.
Die Zahlen sind wirklich beeindruckend. Aber kann es für den künftigen Großflughafen Schönefeld nicht zum Imageproblem werden, dass dort fast nur Billigflieger starten?
So ein Flughafen ist kein Wunschkonzert. So gerne ich auch Fünf-Sterne-Flieger in Schönefeld hätte – es ist derzeit schlicht unrealistisch. In einer Stadt wie Berlin nur auf hochpreisige Linien zu setzen, ist Traumtänzerei. Und eins ist klar: Die Leistung von Low-Cost-Linien ist nicht schlechter als die anderer Linien. Sie setzen in ihrem Segment Spitzenstandards, bei der Zuverlässigkeit, der Pünktlichkeit, der Qualität der Flugzeuge und so weiter. Sie verdienen mit harter, effizienter Arbeit echtes Geld. Der Low-Cost-Verkehr ist eine ideale Ergänzung zum herkömmlichen Verkehr. Und schauen Sie nach Tegel: Dort gab es in diesem Jahr gleich drei neue Interkontinentalverbindungen in die USA und in den Mittleren Osten.
Billigflieger schaffen aber auch die ihnen eigene Atmosphäre auf den Flughäfen. Das neue Terminal D in Schönefeld sieht wie ein Supermarkt aus, sagen Kritiker.
Denen entgegne ich: Gut, mag sein, aber ist das wirklich entscheidend? Auch im Supermarkt kann sich der Kunde wohl fühlen und ein Kauferlebnis haben. Eine realistische Planung ist allemal besser, als dem Steuerzahler Investitionen zuzumuten, die sich später nicht rentieren.
Ist dann der Airport Berlin Brandenburg International, der 2011 in Betrieb gehen soll, noch zeitgemäß? Eine Luxusplanung mit 78 Fluggastbrücken geht völlig an Billigfliegern vorbei.
Dieser Rahmen ist zwar genehmigt. Eine ganz andere Frage ist, ob wir diesen Rahmen auch ausschöpfen. Unser Konzept berücksichtigt das veränderte Verkehrsaufkommen sehr wohl, bei den Brücken, aber auch bei den Standflächen. Natürlich bleiben die Rollwege auch bei einem größeren Low-Cost-Anteil gleich, ebenso die Start- und Landebahnen. Diese Infrastruktur brauchen ja alle Linien. Alles wird unter einem Dach stattfinden, und das ist auch sinnvoll. Wir müssen zum Beispiel nur eine Gepäckförderanlage betreiben.
Am Bundesverwaltungsgericht beginnt im Februar die mündliche Verhandlung über das Planfeststellungsverfahren. Wie stehen die Chancen?
Ich bin sehr optimistisch. Für uns ist es das entscheidende Verfahren, die vier Musterprozesse behandeln ja alle wichtigen Fragen: Es geht um Nachtfluglärm, um ökonomische und ökologische Auswirkungen des Airports und letztlich um den Standort selbst. Ob wir in Schönefeld bauen dürfen oder nicht, das ist nach der Entscheidung endgültig klar. Das Gericht könnte aber auch Auflagen machen, zum Beispiel bei der Ökologie oder dem Schallschutz.
Warum sind sie so optimistisch? Vier Gemeinden haben erfolgreich gegen den Landesentwicklungsplan (LEP) geklagt.
Der LEP regelt nur ein sehr grobes Raster, beispielsweise wie Gemeinden Flächen in Flächennutzungsplänen ausweisen dürfen. Wie der Flughafen selbst aussehen wird, steht aber im Planfeststellungsbeschluss. Dort wurde auch das Für und Wider für den Standort Schönefeld abgewogen. Im Übrigen hat ja das Bundesverwaltungsgericht das LEP-Verfahren durch die Revision an sich gezogen …
… und verhandelt jetzt das ganze Paket.
Richtig. Urteile unterer Instanzen können nicht mehr für Verwirrung sorgen. Der Entscheid der höchsten Instanz wird im nächsten Jahr Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen.
Die vorläufige Niederlage des LEP ist nur der letzte Beleg für ein politisches Planungschaos. Oder wie sehen Sie das?
Das ist müßig. Ich bin seit vier Jahren im Geschäft und habe mich um die Vorgeschichte nicht gekümmert.
Anders gefragt: Wenn Länder und Bund von vornherein auf private Finanzierungsversuche verzichtet hätten, stünde dann der Flughafen schon?
Nein, das glaube ich nicht. Das Planfeststellungsverfahren zeichnet Fakten in die Landschaft: Es geht um die Frage, wie was aussehen muss. Das ist kein politischer, sondern ein organisatorischer, ingenieurstechnischer beziehungsweise juristischer Vorgang.
Aber die Bürger fragen sich schon, warum das Projekt BBI so lange dauert. In Leipzig wurde der Flughafen auch erst nach der Wende angeschoben, der ist längst fertig.
In Leipzig ist die Schar der Kläger kleiner und der Eingriff geringer. Bei der jüngsten Maßnahme, der Verschiebung einer Startbahn, waren nur wenige Leute betroffen. In Berlin ist die Gemengelage ganz anders. Nehmen Sie Amsterdam. Dort hat der Bau einer fünften Startbahn von der ersten Planung bis zum ersten Start 20 Jahre gedauert.
Könnte es nicht sein, dass der Billigfliegermarkt längst eingebrochen ist, wenn der Flughafen ans Netz geht? Vielleicht kommt die Kerosinsteuer doch noch.
Das glaube ich nicht. Die Low-Cost-Carrier haben ein Angebot kreiert, das andere Verkehrsträger schlicht nicht machen können. Es käme niemand auf die Idee, im Auto mal eben einen Wochenendtrip nach Venedig zu machen – das ist viel zu zeitaufwändig, zu beschwerlich und auch zu teuer. Airlines wie Germanwings konzentrieren sich mit unglaublicher Disziplin auf eine bestimmte Leistung. Und sie erwirtschaften damit Gewinne. Ich vergleiche das gerne mit Aldi: günstige Preise; Produkte, die den Qualitätsstandards nicht genügen, fliegen sofort raus. Was die Billigflieger machen, halte ich für ein vernünftiges, solides Geschäftsmodell.
Wer fliegt in Berlin billig? Sind das Touristen, die in die Hauptstadt kommen, oder Berliner, die rauswollen?
Sowohl als auch. Unbestritten ist, dass der von uns losgetretene Low-Cost-Boom den Touristenzustrom wesentlich stützt. Aber auch die Berliner nutzen die Angebote. Rund 55 Prozent sind Berlinbesucher, die hier dann oft zwei, drei Nächte bleiben. Die übrigen 45 Prozent sind verreisende Berliner und Brandenburger – und übrigens immer mehr Polen. Für Berlin bleibt unterm Strich ein Plus, weil die Touristen hier mehr Geld ausgeben, als die Berliner hinaustragen.
Wie müssen sich die Berliner Flughäfen in den nächsten Jahren ausrichten?
Asien ist der große Zukunftsmarkt. Wenn wir auf der Langstrecke eine Rolle spielen wollen, ist aus geopolitischen und betriebswirtschaftlichen Gründen vor allem der Osten interessant. Der Betrieb eines Flugzeugs kostet 40.000 Dollar pro Flugstunde. Berlin liegt eine Flugstunde weiter östlich als zum Beispiel Frankfurt am Main. Jetzt kann man sich unseren Vorteil ausrechnen: Die Airline, die zum Beispiel Berlin–Peking fliegt, spart hin und zurück 80.000 Dollar. Sobald wir in Richtung Fernost attraktive Langstreckenverbindungen offerieren, legen wir damit auch die Grundlage für ein Drehkreuz.
Sie verhandeln schon länger mit chinesischen Airlines über eine Pekingverbindung. Wann startet sie?
Wir hoffen, dass wir das schon im nächsten Jahr hinbekommen. Die Verhandlungen mit China sind nicht leicht. Die Kommunistische Partei will mitreden, die Genehmigungsbehörde auch, der Bezirksbürgermeister, der Flughafen und die Airlines sowieso. Um dieses Beziehungsgeflecht auszutarieren, müssen ganz verschiedene Menschen die Kontakte pflegen, vom Experten bis zum grauhaarigen Senior.
Und der sind Sie?
Nun ja, für Chinesen ist Altersweisheit ein wichtiger Wert. Wichtig ist, dass man ununterbrochen Präsenz zeigt, dann klappt das auch.
Um ein Drehkreuz hinzukriegen, brauchen Sie den Großflughafen. Sind solche Überlegungen nicht verfrüht?
Wir fangen klein an. Es gibt doch schon den Trend des „Selfhubbing“. Die Kunden bauen sich ihre Langstrecken im Internet selbst zusammen, von Billigroute zu Billigroute. Ein Beispiel: Jeder dritte Fluggast aus Israel, der bei uns ankommt, fliegt mit Icelandair weiter nach Reykjavík. Was wollen die alle in Island, habe ich mich gefragt. Dann sind wir drauf gekommen: Der Weg von Tel Aviv nach New York via Schönefeld und Reykjavík ist 60 Prozent günstiger als die Direktverbindung Tel Aviv–New York.
Aber der Zeitaufwand ist doch beträchtlich.
Den nehmen die Leute in Kauf. Sie sind bereit, ihr Gepäck hier vom Band zu nehmen, ein paar Stunden zu warten, eventuell sogar zu übernachten und erneut einzuchecken. Diesen Trend unterstützen wir: indem wir Hotels empfehlen oder Stadtrundfahrten anbieten. Und schon haben wir dank des Internets in Schönefeld eine kleine Drehscheibe.