: Streit um Kinderuntersuchung
Wann müssen öffentliche Stellen hellhörig werden, wenn es um Kindesmisshandlungen geht? CDU und Grüne sind für Pflichtuntersuchungen, FDP ist dagegen. Senat will im Juni Konzept vorstellen
VON MATTHIAS LOHRE
Er ist einer der schwersten Fälle von Kindesmisshandlung, die in der jüngsten Zeit in der Nähe Berlins bekannt geworden sind: der Tod des sechsjährigen Dennis aus Cottbus. Seine Eltern sollen ihn so vernachlässigt haben, dass er 2001 starb. Gutachter nannten als Todesursache chronische Unterernährung. Die Leiche wurde zweieinhalb Jahre später in der Kühltruhe der Wohnung der Eltern entdeckt. Sie müssen sich seit wenigen Tagen wegen Totschlags und Misshandlung verantworten. Der Fall brachte das Thema Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern wieder einmal in die Schlagzeilen – und gestern in die Aktuelle Stunde des Abgeordnetenhauses.
Einig waren sich die ParteienvertreterInnen in einem Punkt: Gefährdete Kinder brauchen aufmerksame MitarbeiterInnen in Jugendämtern, Kitas und Schulen sowie NachbarInnen, die nicht wegsehen. Doch damit enden schon die Gemeinsamkeiten der Parteien. Denn was bedeutet „Kinderschutz“ konkret? Müssen in Berlin neue Kontrollinstanzen und Programme her, oder müssen sich die Instanzen nur besser abstimmen?
Für die CDU-Fraktion ist klar: Die bisher freiwilligen ärztlichen Untersuchungen für Kinder müssen Pflicht werden. Berlin hat laut der familienpolitischen Sprecherin Cerstin Richter-Kotowski bundesweit eine „traurige Spitzenstellung“ bei Kindesmisshandlungen. Ein „Sofortprogramm für ein Netzwerk Kinderschutz und Prävention“ müsse her, damit „gefährdete Kinder nicht in Zuständigkeitslücken zwischen Jugendämtern, Schulen, Gerichten, freien Trägern und Eltern fallen“. Dazu gehören auch Kinderschutzbeauftragte für Kitas und Grundschulen, die bereits vor der Geburt eines Kindes mit den künftigen Eltern sprechen sollen.
Bildungs- und Jugendsenator Klaus Böger (SPD) hielt dagegen, schon heute gebe seine Senatsverwaltung 500.000 Euro aus für „hervorragende Modelle, die Praxis sind“. Zwar habe es in Berlin 2004 insgesamt 398 polizeilich gemeldete Kindesmisshandlungen gegeben. Das heiße aber noch lange nicht, dass die Hauptstadt besonders schlecht für gefährdete Kinder sorge. Doch hielt sich Böger bei der Frage „Pflichtuntersuchungen für Kinder – Ja oder Nein?“ zurück: „Darüber muss zu reden sein.“
Anders sah das die jugendpolitische Sprecherin der Grünen, Ramona Pop: „Mit verbindlichen Vorsorgeuntersuchungen durch Kinderärzte könnten manche Missstände früher erkannt werden.“ Denn fünf bis zehn Prozent der Kinder gingen weder zur Kita noch zu freiwilligen Untersuchungen.
Schon heute, konterte Margrit Barth (Linkspartei), gebe es weitreichende Kontrollen. Beispielsweise seien Kita-MitarbeiterInnen verpflichtet, „jedes Anzeichen von Misshandlung oder grober Vernachlässigung“ sofort dem Jugendamt mitzuteilen. Sonning Augstin (FDP) sprach sich gegen neue Einrichtungen aus. Hilfreicher sei die Weiterbildung der Kita-MitarbeiterInnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen