ANTRITTSBESUCHE: NIEMAND STIEHLT MERKEL DIE SCHAU : Günstige Arrangements in der Außenpolitik
Unbefangenheit wirkt sympathisch, vor allem wenn sie nicht mit Naivität gepaart ist. Bei ihren Antrittsbesuchen ist Angela Merkel überall unbefangen, aber nicht naiv aufgetreten. Ihre Bereitschaft wirkte erfrischend, auch Menschenrechtsfragen offen anzuschneiden, deren Erörterung die rot-grüne Bundesregierung über Jahre hinweg für unprofessionell zu halten schien. Die Bundeskanzlerin hat einen guten ersten Eindruck hinterlassen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Mit einer angeblichen Akzentverschiebung der deutschen Außenpolitik muss all das nichts zu tun haben.
Angela Merkel hat es leichter als Gerhard Schröder und Joschka Fischer, unbequeme Themen anzusprechen. Dieser Hinweis soll die Leisetreterei von Rot-Grün in den Bereichen Menschenrechte, Rüstungsgeschäfte und Terrorbekämpfung nicht rechtfertigen. Aber es ist ein Vorteil, wenn eine Regierungschefin nicht bei jeder Äußerung augenblicklich unter Generalverdacht steht.
Fischer und Schröder sahen sich sofort mit den Vorwürfen des linken Weltverbesserertums oder des Antiamerikanismus konfrontiert, sobald sie rot-grüne Prinzipientreue ausprobierten. Vor allem Fischer hat daraus die falsche Konsequenz gezogen und jede Form des Opportunismus als Realpolitik definiert und zu einem Teil seines persönlichen Reifungsprozesses erklärt. Angela Merkel hat das gar nicht nötig. Sie blickt auf eine andere Biografie zurück. Niemand wird der ostdeutschen Politikerin ernsthaft Amerikafeindlichkeit unterstellen, wenn sie die Verhältnisse im US-Gefangenenlager Guantánamo anprangert – oder es wagen, eine Begegnung mit Bürgerrechtlern in Moskau zu kritisieren.
Auch andere Umstände begünstigen ihre ersten Schritte auf dem außenpolitischen Parkett: Ihr Außenminister ist wegen der BND-Affäre angeschlagen und kann ihr nicht die Schau stehlen. Und alle ihre internationalen Gesprächspartner wissen, dass sie nicht darum herumkommen werden, sich mit Angela Merkel zu arrangieren. Auf einen Machtwechsel brauchen sie vorläufig nicht zu hoffen. BETTINA GAUS