: Gülle statt Chemie
Die absurde Logik in der Landwirtschaft ist: Wer den Nachbarn arbeitslos macht, verdient mehr. So werden Subventionen verschwendet und die Sozialkassen belastet
Wenn wir von Geringverdienern reden, haben wir meist Menschen vor Augen, die in den tristen Wohnsilos der Großstädte leben. Hier ist Hartz IV zu Hause. Mit wenig Geld müssen jedoch auch andere auskommen. Anlässlich der Grünen Woche lohnt ein Blick auf eine Berufsgruppe, die in diesem Kontext gern vergessen wird: die Bauern.
650.000 Menschen leben ausschließlich vom Säen, Pflügen, Melken, Misten – 3 Prozent der berufstätigen Deutschen. Diese 3 Prozent sind den Städtern zumindest in einem voraus: Sie beziehen längst Kombilohn. Der Staat zahlt durchschnittlich 8.045 Euro pro Bauer im Jahr – fast doppelt so viel, wie ein Harz-VI-Empfänger erhält. Den Städter dürfte das durchaus ärgern, denn das Gros der durchschnittlich 8.045 Euro zahlt er.
Doch: „Im Durchschnitt war der Dorfteich 20 Zentimeter tief, und trotzdem ist die Kuh ersoffen“ – dieses russische Sprichwort beschreibt, was wirklich ärgerlich ist. Während sich nämlich ein Großteil der Bauernschaft von Ernte zu Ernte hangelt, werden einige wenige durch dieses System unglaublich reich. Bauern werden nämlich nicht pro Arbeitskraft subventioniert, sondern pro Hektar. In agroindustriellen Großkomplexen fällt es leicht, alle fünf Jahre neue Techniken einzusetzen, um Leute zu ersetzen. Mathematisch betrachtet: Weniger Köpfe auf gleicher Fläche ergibt mehr Geld pro Kopf. Das bedeutet, wer den Nachbarn arbeitslos macht, verdient mehr. Das ist unlogisch, ungerecht, ein Skandal: Bauernprämien müssen pro Kopf berechnet werden.
Bis weit in die 50er-Jahre war des Bauern grundlegendes Produktivkapital sein Boden. Glück hatte, wer auf Lösböden der Magdeburger Börde wirtschaftete, Pech wer sich mit dem Sandacker der Mark Brandenburg rumschlagen musste. Weil das ungerecht ist, wurden in den 30er-Jahren Bodenwertzahlen eingeführt – und damit zum ersten Mal eine Subvention in der Landwirtschaft: Guter Boden wurde stärker besteuert, schlechter fast nicht.
Dann nahm aber ab den 60er-Jahren die Mechanisierung der Landwirtschaft zu: Modernes Wirtschaften auf dem Land war zunehmend von Chemikalien, Investitionsplänen, Effizienzkriterien, Technikzyklen geprägt. Zumal die Europäische Union ein Subventionssystem installierte, dass die Produkte statt die Produktion verbilligte.
Daraus ergab sich der Wirtschaftszweck „Masse“, der an die Stelle „Qualität“ trat. Nicht mehr der beste Schinken war gefragt, sondern der größte. Die Folge: „Agrarproduktion“ wurde immer weiter optimiert. Selbst krepierte Rinder wanderten – getrocknet und zermahlen – noch als Futterzusatz in den Produktionszyklus zurück. Diese Industrialisierung hatte letztlich BSE zur Folge. Und die Erkenntnis, dass moderne Landwirtschaft eben mehr sein muss als Technikzyklen und Chemie.
Es war der österreichische EU-Kommissar Franz Fischler, der in den 90ern eine Reform einleitete. Statt Masse soll bewirtschaftete Fläche subventioniert werden – plus mehr Qualität. Dieses System hat zwei Töpfe: Aus dem ersten zahlt die EU 300 Euro je Hektar, egal ob der intensiv oder durchrationalisiert bewirtschaftet wird – durchschnittlich eben jene 8.045 Euro pro Bauer.
Das verführt natürlich zur Prämienoptimierung: Während früher auf 1.000 Hektar mindestens 100 Menschen beschäftigt waren, lässt sich diese Fläche heute dank Mechanisierung und Rationalisierung problemlos mit drei Arbeitskräften bewirtschaften – einem Agromanager und zwei Maschinenführern. Pro Kopf macht das einen Zuschuss von 100.000 Euro. Die Erlöse aus der extensiven Landwirtschaft kommen noch hinzu. Weniger Köpfe auf derselben Fläche ergibt mehr Zuschuss pro Kopf. Nach EU-Angaben kommen in Deutschland inzwischen auf einen Betrieb mit 100.000 Euro pro Kopf 52 Höfe, die weniger als 2.500 Euro erhalten.
Den europäischen Reformern war diese Ungerechtigkeit durchaus bewusst. Deshalb kreierten sie einen zweiten Finanztopf: die so genannte Finanzierung des ländlichen Raumes. Bergbauernprogramme, Landschaftspflegeprojekte, Ökozulagen, Urlaub auf dem Bauernhof – wer als Bauer anders als intensiv landwirtschaftet, soll aus diesem Topf den Nachteil ausgeglichen bekommen. Allerdings hat sich erwiesen, dass der Ausgleich nur bedingt funktioniert: Während der erste Topf mit 4,1 Milliarden Euro gefüllt ist, gibt es für den ländlichen Raum nur 1,3 Milliarden.
Einigen Biobauern gelingt es, den staatlich organisierten Wettbewerbsnachteil durch höhere Preise für ihre Produkte noch annähernd auszugleichen. Kleine, konventionelle Bauern, die auf schlechten Böden wirtschaften, schaffen das nicht.
Während weder Kombilohn noch Hartz IV-Aufstockung in Sicht sind, sollen die agroindustriellen Großkomplexe nach dem Willen von Landwirtschaftsminister Horst Seehofer demnächst deutlich mehr bekommen. Erstens werden sie von den anstehenden EU-Reformen überproportional profitieren. Nach Berechnungen des Kasseler Agrarspezialisten Martin Hofstetter spült die EU-Reform des Milchmarktes 1 Milliarde Euro in den Flächen-Prämien-Topf, die EU-Zuckermarktreform bringt weitere 280 Millionen Euro.
Zweitens will Seehofer Geld aus dem zweiten Topf in den ersten umschichten. Rechtlich könnte Deutschland ein Drittel der Agrarsubventionen in den zweiten Topf stecken. Unter Renate Künast war der Topf immerhin zu 21 Prozent gefüllt. Seehofer will das auf 10 Prozent zusammenstreichen.
Das werden auch die Städter zu spüren bekommen. Legt man den Qualitätskatalog der EU zu Grunde, taugen gerade einmal 15 Prozent der Flächen in Brandenburg für extensive Landwirtschaft: die so genannten Gunststandorte. Der Rest ist peripherer Raum – nach EU-Maßstab ungeeignet für Landwirtschaft.
In den Gunststandorten hingegen wird das Geld gemacht. Und deshalb bricht hier alles zusammen: Bauern werden nicht mehr gebraucht. Fruchtwechsel gibt es nicht mehr. Statt Gülle wird Chemie in den Boden gepumpt.
Großunternehmer wie Nordzucker oder Südzucker haben diese Gunststandorte längst unter einander aufgeteilt. Die gigantischen Produktionsflächen für Mais, Rüben oder Weizen nehmen die Städter kaum wahr. Aber das sollten sie: Derlei Produktionslandschaften verderben erstens das Grundwasser, was das städtische Trinkwasser belastet. Zweitens löst eine solche Bauernpolitik die traditionellen Strukturen der Dörfer auf. Und auch das geht zu Lasten der Städter. Denn die brauchen Reiterhof, Schafsherde oder Heuwiesen zur Erholung.
Drittens schließlich verursachten agroindustrielle Großkomplexe bisher fast alle Lebensmittelskandale. Werden die nun durch Seehofers Politik weiter bevorzugt, können ihre bereits jetzt konkurrenzlos günstigen Preise noch günstiger werden. Das folgende Bauernsterben wiederum kommt uns alle teuer zu stehen. Arbeitslose Landwirte, arbeitslose Städter – sie alle landen bei Hartz IV. NICK REIMER