: „Ich konstruiere aus Liebe und nicht des Geldes wegen“
DER RÄTSELAUTOR Manfred Stock erfindet seit mehr als 50 Jahren Kreuzworträtsel. Ein Gespräch über die Ursprünge des Ratens, unterschiedliches Tüfteln in Ost und West und die Quizfrage, wie jemand genannt wird, der Südfrüchte zusammenlegt
■ Der Mensch Manfred Stock wurde in Leipzig geboren und fing mit vierzehn Jahren an, Kreuzworträtsel zu entwickeln. Nach einer Buchhändlerlehre absolvierte er ein Schauspiel- und Regiestudium in Dresden, das er zum Teil über seine Rätsel finanzierte. Stock trat an Bühnen in Leipzig, Dresden, Freiburg und der Staatsoperette in Dresden auf. Er wohnt in einem Hochhaus in Mitte, von dem aus er einen wunderbaren Blick auf eine große Kirche mit drei Buchstaben hat.
■ Der Rätselautor Stock entwickelte Kreuzworträtsel für DDR-Zeitschriften wie das Magazin, die NBI und den Troll. Zehn Jahre war er Rätselmoderator beim Telelotto im DDR-Fernsehen. Für ein Silbenrätsel bekam er einen Eintrag ins Guinnessbuch – ein Rekord, den er bis heute hält. In den vergangenen fünfzig Jahren hat sich Manfred Stock mindestens 9.000 Rätsel ausgedacht. Er schrieb mehrere Rätselbücher, dieses Jahr erschien „Kleine deutsche Rätselkunde – Die Geschichte des Rätsels von der Anekdote bis zum Sudoku“ (Wagner Verlag, 185 Seiten). (wahn)
INTERVIEW BARBARA BOLLWAHN
taz: Herr Stock, dieses Jahr wird das Kreuzworträtsel 100 Jahre alt. Sie selbst bauen Kreuzworträtsel, seit Sie 14 sind. Was hat Sie damals an Rätseln gereizt?
Manfred Stock: Meine Eltern hatten eine Rätselzeitung mitgebracht und die gefiel mir so sehr, dass ich anfing, eigene Figuren zu bauen. Es war ein Hobby, an dem ich Spaß hatte.
Sie haben sich seitdem etwa 9.000 Rätsel ausgedacht, nicht gerade wenig.
Nein. Und in den ersten Jahrzehnten habe ich jedes Rätsel neu gebaut, das waren also Unikate. Später, zur Wende, merkte ich, dass die Westler nicht verstehen konnten, ein Kreuzworträtsel nur ein einziges Mal zu bringen, so wie ich das kannte. Sie meinten, man müsste jedes Rätsel fünf-, sechsmal veröffentlichen, um ein Geschäft daraus zu machen.
Die Teilung Deutschlands hat vor Rätseln keinen Halt gemacht?
Im Westen sind die Rätsel einfacher. Im Osten geht man ein bisschen tiefer. Der Troll (Berliner Rätselzeitschrift, die zum Ende der DDR fast eine Million Auflage hatte und die es heute noch gibt) hält sich noch immer auf sehr hohem Niveau. Dort sind zum Beispiel Begriffe mit zwei Buchstaben verpönt. Im Westen hingegen findet man das Autokennzeichen von Aschaffenburg oder, was ebenso kindisch ist, den Hundelaut Wau. Mir gefällt es auch nicht, wenn in Zeitungen die Umlaute aufgelöst werden. Ich halte mich da an den Duden. Aber die Großproduzenten sind zu faul, denn a und e lassen sich leichter einbauen als ä.
Sie beschäftigen sich seit mehr als 50 Jahren mit dem Erfinden von Rätseln. Kann man davon leben?
Ich nicht. Meine Brötchen habe ich jahrelang als Schauspieler und Gesangssolist verdient.
Wieso bringen die Rätsel so wenig Geld?
Ich stecke viel mehr Liebe und Arbeit in die Rätsel als jemand, der das wie eine Fabrik betreibt. Diese Massenarbeit in Zeitschriften ist Industrieware, meine Rätsel aber sind Handarbeit. Ich greife wenig auf frühere Rätsel zurück, denn das geht nicht immer. Entweder überleben sich Begriffe oder die Rechtschreibung hat sich geändert. Ich konstruiere aus Liebe und nicht des Geldes wegen. Das Geschäft rangiert leider vor der Liebe zum Rätsel.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein neues Rätsel entwickeln?
Zuerst ist das Lösungswort da und dann baue ich das Rätsel drumherum. Das habe ich auch längere Zeit für die Auto Bild gemacht, mit Fahrzeugkonturen. Am kompliziertesten ist für mich im Moment das Magazin (in der DDR äußerst beliebte Kulturzeitschrift mit erotischen Geschichten und Aktfotografie, die 1990 von Gruner + Jahr übernommen wurde), für das ich auch Preisrätsel baue. Die Magazin-Leser finden es hübscher, wenn nicht jeder auf Anhieb die Lösung hat und sie in eine Falle geraten. Ich baue das Rätsel zum Beispiel so, dass als Lösung für „Laubbaum“ sowohl Eiche als auch Esche passt.
Ein Lösungswort sollte nicht zu schnell zu erraten zu sein. Welche Kriterien sollte es noch erfüllen?
Ich möchte etwas für unsere Sprache tun, nehme lieber Kind statt Kid und schreibe Zentrum mit Z und nicht mit C wie manches Warenhaus. Ich nehme keine Sprüche aus dem Internet, lieber welche, die an einer Hauswand stehen oder ein Zitat aus einem Roman. Das Lösungswort soll nicht einfach im Internet nachzuschauen sein.
Aber Sie benutzen das Internet schon?
Die ersten dreißig Jahre habe ich alles im Kopf gemacht. Wenn ich ein Wort mit zehn Buchstaben mit Z brauchte, musste ich mir eins ausdenken. Jetzt habe ich ein Lexikon im Computer, gebe das Z ein und 9 Punkte und der Computer liefert. Aber ich bin am Computer technisch unbegabt. Die Zeichnungen und Figuren zu den Kreuzworträtseln mache ich nach wie vor per Hand.
Wie lange brauchen Sie für ein Rätsel?
Zwei, drei Tage. Früher habe ich zwanzig, fünfundzwanzig Rätsel pro Monat gebaut, heute sind es vielleicht noch zehn.
Anfang des Jahres ist ein Buch von Ihnen über die Geschichte des Rätsels erschienen. Wie ist das Kreuzworträtsel denn entstanden?
Das erste Kreuzworträtsel soll 1913 von dem Engländer Arthur Wynne in der New York World veröffentlicht worden sein. Das ist allerdings umstritten. Es gibt weitere Quellen, die Anspruch darauf erheben, die Hebamme des Kreuzworträtsels zu sein. Es gibt Spuren, die nach Amerika führen, nach Kalifornien, nach England und sogar nach Südafrika. Kennen Sie diese Rätselart? (Stock zeigt auf Zeichnungen in einem seiner Rätselbücher)
Keine Ahnung. Helfen Sie mir auf die Sprünge.
Das sind Zwillingsrätsel. Wenn Sie einen dieser gezeichneten Köpfe umdrehen, sehen Sie einen ganz anderen Kopf. Lustig sind auch Scherzfragen: Was ist ein Polstermöbelstück, das hören kann?
Hm …
Ein Ohrensessel. Und was ist ein bummelndes Geschäft?
Ach Gottchen.
Ein Trödelladen. Was ist ein Behälter für Rechtsbrecher?
Keine Ahnung, ein Gefängnis?
Eine Haftschale. Und jemand, der Südfrüchte zusammenlegt?
Das ist wie beim heiteren Beruferaten.
Ein Zitronenfalter.
Hält Rätselraten fit?
Ja, es geht um Gedächtnistraining und Gehirnjogging. Man liest ja in jeder Apothekenzeitschrift, wie wichtig das für die grauen Zellen ist. Meine Bücher kann man aus medizinischen Gründen also wunderbar verwenden. Nicht jede Oma fährt lieber Skateboard.
Merken Sie an sich selbst, dass das so ist?
Ja, mich halten die Rätsel fit. Ich gestalte auch Lesungen, meist mit Kabarett, und habe letztes Jahr eine hier in meinem Haus in der Spandauer Straße gemacht. Wissen Sie, dass sich in der Spandauer Straße ein Tier versteckt?
Ich komme mir vor wie ein schlecht vorbereiteter Prüfling.
Sehen Sie, jetzt sind Sie schon beim Gedächtnistraining.
Ein Auer? Nee, sagen Sie es mir.
Ein Panda ist in der Spandauer Straße.
Kennen sich die Rätselautoren eigentlich untereinander, oder herrscht da großer Konkurrenzkampf?
Da bin ich jenseits von Gut und Böse. Ich muss nicht mehr mit Rätselproduzenten konkurrieren, denn die Tausenden von Rätseln, die ich mir in den vergangenen Jahrzehnten ausgedacht habe, muss mir erst mal jemand nachmachen.
Lösen Sie auch selbst Kreuzworträtsel?
Ja, schon aus Informationsgründen. Aber die ganz herkömmlichen, die Schwedenrätsel, reizen mich nicht. Da sind die Definitionen in die Felder der Figur eingedruckt und deshalb sehr knapp. Einiges ist mir auch zu dumm. Die Werbeabteilung einer Firma fragte mich neulich in einer Postwurfsendung, ob ich die Anfangsbuchstaben meines Namens erraten könne.
Haben Sie mit einem richtigen Lösungswort mal etwas gewonnen?
Ja, eine Gans, die man bepflanzen kann. Die steht draußen auf meinem Balkon.
Sie haben es mit einem Silbenrätsel ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft.
Als mir vor vielen Jahren ein Guinnessbuch in die Hände fiel, kam ich auf die Idee, mein Silbenrätsel einzuschicken, das aus 22 Wörtern und fünf Sprichwörtern als Lösungssenkrechte bestand. Ich halte noch immer den Rekord.
Was bedeutet Ihnen dieser Eintrag?
Werbung. Und ich glaube, im Laufe der Zeit gibt es gewisse Momente, die ein Leben immer wieder mitbestimmen.
Würden Sie sagen, Ihr Allgemeinwissen ist durch die jahrelange Beschäftigung mit Rätseln umfassender als das anderer Menschen?
Ja, vielleicht.
Haben Sie nie überlegt, dieses Wissen bei einer Quizshow zu Geld zu machen?
Nicht als Kandidat, sondern als Moderator habe ich jahrelang in Sachen Rätsel das DDR-Fernsehlotto moderiert und auch die Texte dafür geschrieben. Das war zu meiner Zeit eine Show. Das Telelotto enthielt Tanz-, Krimi-, Tier- und andere Darbietungen und war nicht so nüchtern wie heute. Aber ich halte mich nicht für so außergewöhnlich klug, dass ich mich in einer Quizshow bewerben würde.
Sie zitieren in Ihrem Buch ein lateinisches Sprichwort: „Das eigene Leben bleibt jedem Manne ein Rätsel.“ Sie verraten Ihr Alter nicht, auch nicht, wann Sie in Rente gegangen sind oder zu wem der zweite Name am Klingelschild gehört. Warum nicht?
Ein bisschen was Rätselhaftes muss bleiben.