: Hier kommen die Guten
Die Hamburger Band Tomte hat es mit einem kleinen Selfmade-Label im Rücken geschafft, ein großer Name im Geschäft zu werden – kommende Woche erscheint das neue Album. Tomte-Sänger und Gitarrist Thees Uhlmann über Steckdosen, Pathos und den Unterschied zwischen Rostock und München
Interview: Jan Freitag
taz: Sven Regener von Element Of Crime sagt über Tomte: Schön, dass mal die Guten gewinnen. Wer ist das?
Thees Uhlmann: Die Guten sind Leute, die unbeirrbar eine Sache mit unerschütterlichem Glauben durchziehen und nicht erst etwas durchrechnen. Was uns betrifft also: Dass wir unsere Sachen mit einer großen Form von Unschuld machen. Einfach aus purer, zum Prinzip erhobener Lust. Natürlich verdiene ich jetzt Geld, aber es ist noch derselbe Typ, dieselbe Herangehensweise. Ich will über einen Komplex singen wie: Warum schreien denn eigentlich alle? Wenn alle schreien, ist Schreien plötzlich normal, und der Leise ist der Besondere. So wie New York auf der neuen Platte: Warum brüllen alle über Amerika rum? Vielleicht wollen sich die Leute, die gegen Amerika sind, auch einfach nur daran profilieren.
Hat Politik im Pop nichts verloren?
Die Leute sollen es gerne immer wieder versuchen, aber die meisten scheitern. Gut, ein Satz wie „Aber hier leben – nein danke!“ von Tocotronic ist ein guter Slogan, aber das ist auch keine politische Band. Die haben nur einen politischen Gestus und sind auch politische Menschen – so wie Tomte. Ich finde es meistens nervig, wenn Bands zu politisch sind.
Bezog sich Sven Regeners Satz auch auf Ihr Label Grand Hotel van Cleef?
Zu 30 Prozent. Das hat aber zum Beispiel mit den bösen Major-Labels gar nicht so viel zu tun, sondern eher damit, dass keiner an die Sache geglaubt hat, dass sowohl Band als auch Label einfach die Beine in die Hand genommen haben und gelaufen sind. Ich hab Svens Stimme noch im Kopf. Als wir das Grand Hotel geöffnet haben, meinte er: „Alle Bands, die Labels gemacht haben, und das waren einige – alles schiefgegangen!“ Aber bei uns hat es mal geklappt. Das meint er mit den Guten, die gewinnen.
War es anders, Platten aufzunehmen, als Tomte noch unbekannt war?
Eigentlich nicht. Das Lustige bei „Hinter all den Fenstern“ war, dass ich immer so die Stufen hochgekommen bin und sagte: Hoffentlich wird die Platte so gut wie die letzte! Oder wird es doch nur Abi-Punk mit Gymnasiasten-Lyrik? Aber irgendwann war sie da und für uns alle eine große Nummer. Und so war es diesmal auch. Die pathetischen Es-läuft-grad-nicht-so-rund-Texte gehen jetzt nicht mehr, auch wenn sie damals richtig waren und ich sie immer noch singen kann und nach wie vor eine starke Beziehung dazu habe.
Die Tomte-Tour zum neuen Album „Buchstaben über der Stadt“ startet in Rostock. Warum die Provinz?
Rostock ist ja keine Provinz. Hemmoor ist Provinz oder Cuxhaven.
Wie wichtig ist es, abseits der Metropolen zu spielen?
Das ist etwas, was ich mir von früher herübergerettet habe: Du kannst mir eine Steckdose neben einer Europalette geben – da werde ich immer meinen Verstärker anschließen und Musik machen. Hamburg ist was Besonderes, weil ich hier lange gelebt und viele Freunde habe. Berlin, weil ich da jetzt wohne. Aber der Unterschied zwischen Rostock und München ist für mich marginal. Dafür habe ich schon viel zu viele geile Konzerte in Städten gespielt, wo man es nicht vermutet hätte.
Liegt das an der Arroganz der Großstädter im kulturellen Überangebot?
Das hat nichts mit Arroganz zu tun. Für Leute in der Stadt ist Musik ganz anders verfügbar. Als ich 17 war, sind wir mit dem Nahverkehrszug nach Hamburg gefahren, haben Punkkonzerte im Störtebeker gekuckt und Reeperbahn ging gar nicht, weil wir als Bauerntrampel aufgefallen und gar nicht in die Läden reingekommen wären. Also haben wir uns irgendwie die Zeit um die Ohren geschlagen, um mit der ersten Bahn wieder nach Hause zu fahren. Das war nie nur Konzert, das war immer Event. Das ist eine andere Nummer als nur kurz in die S-Bahn und danach wieder nach Hause. Das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere, aber die Leute in der Provinz sprechen deshalb eher meine Sprache, das ist ein wenig offener.
Jetzt leben Sie in Berlin. Sieht Hamburg von dort aus anders aus?
Nö, anderthalb Stunden mit dem Zug sind doch nix. Ich kann das Beste aus beiden Städten mitnehmen. 2003 war der alte Konflikt zwischen Berlin und Hamburg für mich noch viel präsenter. Da sind wir mit Tomte dort eingefallen und haben „Hauptstadthass, Hauptstadthass“ gebrüllt. Jetzt finde ich es lustig, dass ein Idiot, der so was früher aus dem Bus geschrien hat, in Berlin wohnt. Man sollte sich auch ab und zu mal lächerlich machen.
Sie stammen wie viele Hamburger Kollegen selbst aus der Provinz.
Ich bin vor zehn, elf Jahren aus Hemmoor weggezogen, als ich 20, 21 war. Der alte Stamm von Tomte, ich und der Schlagzeuger, hat da noch die erste Single aufgenommen.
Im Stil der laut schreienden Hardcore-Band Pantera?
Ich hab mal Metal gehört aber Pantera schon nicht mehr.
Eine ältere Liedzeile von Tomte lautet: „Ich möchte kein Pantera mehr hören müssen, denn ich werde schon häufig genug angeschrien.“
Da war noch Schreien mit der wütenden Faust angesagt. Ohne Netz und doppelten Boden.
Sie schreien mittlerweile weniger.
Auf jeden Fall, das war eine Pantera-Entscheidung. Ich wollte einfach singen, die Dringlichkeit in der Stimme musste nicht mehr so raus. Das kam mir einfach so unorganisch, unmelodiös, der Sache nicht angepasst vor. Songs wie „Eine sonnige Nacht“ kann man nicht schreien.
So wie Liebeslieder im Allgemeinen.
Früher war mit Liebe bei mir immer so ein Ziel gemeint, da war die Musik selbst meine Konstante im Leben, das, worauf man sich immer verlassen konnte, als man sich noch nicht mal auf sich selbst verlassen konnte. Deswegen war es für mich immer mehr als mir nur eine Platte zu kaufen.
Inzwischen haben Sie in den USA Vorträge über deutschen Pop gehalten. Frustbewältigung?
Ich bin nicht frustriert, ich benenne nur Dinge, die nah an der Wahrheit liegen. Als ich gefragt wurde, hätte ich auch sagen können: Hier ist die Email-Adresse von Diedrich Diederichsen, der kennt sich da besser aus. Aber ich bin eher so drauf, zu sagen: Klar mach ich das.
Was genau?
Ich habe erst mal einen Rundumschlag gemacht. Kultur im 2. Weltkrieg – ausgerottet. Komplizierte Beziehung von Gesellschaft zu Kultur. Und wenn ich singe, verstehen mich 88 Millionen Menschen, wenn ihr singt, versteht es die halbe Welt. Aber dafür hört mir auch wirklich jeder zu. Wenn Britney Spears singt, haben die Leute die Wahl zuzuhören, oder die Stimme einfach als Instrument zu verstehen. Dann hab ich einen kleinen Abriss gegeben zum Schlager, zu Kraftwerk, den Achtzigern, Neue Deutsche Welle, zur Hamburger Schule und warum Techno ein deutsches Popphänomen ist – all so was. Nicht Pulitzer, aber ganz okay.
Auf dem neuen Album besingen Sie sich als passionierter Mensch in einem mediokren Land.
Ich empfinde es als sehr unleidenschaftlich, beziehe das aber vor allem auf den gesellschaftlichen Umgang mit Pop- und Rock-Kultur, der ist Mist. Mir fehlt das Pathos. Ich finde, dafür gibt es hier wenig Appeal. Mir hören 100 Leute zu, und denen will ich ein Ticket nach draußen geben. Du bist auf dem Dorf und dir geht‘s schlecht? Hier ist die Tomte-Platte, und in zehn Jahren wohnst du in Berlin und bist der fool on the hill. Du wirst dir nicht den Dachboden deiner Eltern ausbauen, sondern durchziehen, was dir Spaß macht. Das Ticket war für mich immer ein Dreieinhalbminutenrocksong.
Eine Rezension des neuen Albums „Buchstaben über der Stadt“ erscheint im taz-Kulturteil am 3. Februar