Bei Gefahr: Infostopp

VON NICK REIMER

Heute beginnt das Ende eines langen Streits: Im Bundestag wird das „dritte Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes“ eingebracht. Damit soll endlich die EU-Freisetzungsrichtlinie umgesetzt werden, die aus 2001 stammt. Seit vier Jahren wird also um das Thema gestritten. Und weil sich die EU das nicht länger ansehen mag, droht Deutschland ab 19. Februar ein Zwangsgeld: bis zu 792.000 Euro. Zahlbar: täglich.

Die Bündnisgrüne Agrarministerin Renate Künast hatte die Richtlinie durch einen Trick umzusetzen gesucht: ein Gentechnikgesetz 1 ist in Kraft, das etwa Haftungs- und Anbauprinzipien regelt. Es wurde so gestaltet, dass der Unions-dominierte Bundesrat nicht zustimmen musste. Die strittigen Fragen wurden im „Gentechnikgesetz 2“ zusammengefasst – und dann im Bundesrat jahrelang debattiert. Ergebnislos.

Heute beginnt aber auch ein langer Streit mit ungewissem Ende: „Dieser Gesetzentwurf dient der Vertuschung von Skandalen“, urteilt Henning Strodthoff, Genexperte bei Greenpeace. Insbesondere entzündet sich die Kritik an Paragraf 28a: „Unterrichtung der Öffentlichkeit“. „Die zuständige Behörde kann die Öffentlichkeit informieren“, heißt es dort – und dann werden Regeln genannt, nach denen nicht informiert werden darf: 1. wenn „die Vertraulichkeit der Beratung von Behörden“ berührt wird, 2. wenn „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ zu befürchten ist, 3. wenn „der Schutz geistigen Eigentums“ betroffen ist, 4. wenn „Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse“ oder 5. gar „wettbewerbsrelevante Informationen“ betroffen sind. Noch gut ein Dutzend weitere Schweigepflichtsgründe werden genannt. „Aber allein diese fünf reichen aus, um jedwede Information zu unterbinden“, urteilt Strodthoff.

Was hieße das? Nehmen wir zum Vergleich den jüngsten Fleischskandal: Lebensmittelkontrolleure entdeckten verdorbenes Fleisch – und informierten die Öffentlichkeit. Übertragen auf Gentechnik: Auch hier gibt es Kontrolleure, die auch hier Skandale aufdecken – etwa illegal gesäte Zucchini im letzten Jahr. Strodthoff: „Nach diesem Gesetzentwurf passiert genau das Gegenteil wie beim Gammelfleisch: Zwar wird der Skandal gefunden – er muss aber verschwiegen werden.“

Tatsächlich wundern sich Rechtsexperten über die Vorlage. „Wettbewerbsrelevante Informationen sind ein unbestimmter Rechtsbegriff, also einer, den es in der Rechtspraxis gar nicht gibt“, sagt etwa Michael Zschieche, Jurist am Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU). Praktisch alles kann also für „wettbewerbsrelevant“ erklärt werden – und zum Stillschweigen führen. Die Hamburger Rechtsanwältin Michèle John urteilt: „Die Regelungen sind zum Vorteil der Unternehmer gefasst“. Die Firmen müssten nur alle Informationen rund um die Einführung, den Anbau, der Anbaukontrolle als Geschäftsgeheimnis deklarieren, schon dürfte nicht mehr informiert werden. Der Dresdner Jurist Stefan Ansgar Strewe kritisiert, dass ein „Informations-Muss zum Schutz der Bevölkerung nicht in jedem Falle hinreichend gegeben ist“.

„Wir werden im Gesetzgebungsverfahren versuchen, diesen Paragrafen zu kippen“, kündigte der bündnisgrüne Gentechnik-Experte Hans Josef Fell an. Das Ziel der umzusetzenden EU-Richtlinie sei, „Verbraucher weitreichend zu informieren“. Falls die Grünen damit keinen Erfolg haben, „werden sich bestimmt Institutionen finden, die stärkere Informationspflichten beim europäischen Gerichtshof einklagen werden“.

Bundesagrarminister Horst Seehofer versteht die ganze Aufregung nicht. „Der Entwurf, der eingebracht wird, ist fast wörtlich identisch mit dem, den SPD und Grüne seinerzeit eingebracht haben“, so eine Sprecherin. In diesem Punkt gibt ihm Experte Strewe Recht: „Die Formulierungen aus dem rot-grünen Entwurf vom Februar 2005 sind fast dieselben.“