: Der Mann, der dem Regenbogen Farbe gab
Wolf Leder ist eine Theaterlegende. Sein Erfolg beruhte unter anderem darauf, dass er sich aus dem politischen Alltag heraushielt – während der NS-Zeit und in der DDR. Zu seinem 100. Geburtstag ehrt das Ephraim-Palais den Bühnen- und Kostümbildner mit einer Werkschau
von Thomas Joerdens
Der Winter 1945/46 knackte mächtig. Es fehlten Holz und Kohle, an Strom war nicht zu denken. Doch es nütze alles nichts. Wolf Leder hatte Aufträge. Der Berliner hockte bei minus zehn Grad bibbernd in seinem Schlafzimmer in einem beschädigten Wohnhaus. Die Fenster waren notdürftig vernagelt. Den Raum beleuchtete der Bühnen- und Kostümbildner mit Karbidlampen. Er malte mit klammen Fingern Entwürfe.
Rudolf Platte hatte den Heimkehrer nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft sofort für sein nazikritisches Stück „Höllenparade“ im Theater am Schiffbauerdamm engagiert. Und auch andere Theaterleute baten Wolf Leder um Ausstattungen für ihre Dramen, Operetten, Revuen. Das kulturelle Leben gewann im zerstörten Berlin schnell an Fahrt, und Wolf Leder war wieder im Geschäft. Auch wenn er sich im Licht der Karbidlampen seine Netzhaut ruinierte.
60 Jahre später empfängt Wolf Leder seine Gäste im selben Zimmer, in dem einst seine Nachkriegskarriere begann. Es dient seit langem als gute Stube. Auf dem Sofa sitzt ein schmächtiger, glatzköpfiger Mann in einem beigefarbenen Nadelstreifenanzug mit passender Krawatte, weißem Hemd und schweren Manschettenknöpfen.
Die empfindlichen Augen schützt eine dunkle Brille, beim Hören hilft ein extra Gerät, und zum Gehen stützt sich der etwas wackelige alte Herr auf einen Stock. Sonst scheint Wolf Leder bei bester Gesundheit. Am 13. Januar feierte er seinen 100. Geburtstag. Einige Tage später plaudert er aus dem Leben einer putzmunteren Theaterlegende.
Über Wolf Leder sagt man: „Er gab dem Regenbogen die Farbe.“ Einen Eindruck davon vermittelt das Museum Ephraim-Palais mit seiner großen Wolf-Leder-Werkschau „Ein Leben für die Bühne“. Zum Eröffnungstag am 21. Januar überreichte Berlins Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) dem Künstler für sein Lebenswerk das Bundesverdienstkreuz – im Friedrichstadtpalast, einer wichtigen Wirkungsstätte von Leder.
Dort nämlich prägte er von 1954 bis 1992 als Ausstattungsleiter den opulenten Farbenrausch der „Palasticals“, einer speziellen Revueform, die im Friedrichstadtpalast entstanden ist. Parallel ließ er im Westteil Berlins die musikalischen Lustspiele im Theater des Westens und an anderen Bühnen glitzern, schillern und funkeln. „Ich träume bis heute in Farbe und meistens von Bühnenbildern. Früher habe ich die am nächsten Morgen gleich gemalt“, erzählt der stilbildende Meister der leichten Kost, der auch für Filmkulissen verpflichtet wurde.
Nach dem Bau der Mauer gehörte Wolf Leder zu den wenigen, die weiterhin im Osten arbeiten und im Westen leben durften. Ausgestattet mit einem Dauervisum fuhr er von der elterlichen Fünfeinhalb-Zimmer-Wohnung in Halensee täglich nach Mitte. Irgendwann wollten ihn Kulturfunktionäre mit einer Villa am Müggelsee für immer in den Osten locken. „Aber ich habe da nicht drauf reagiert“, erzählt Wolf Leder. Ihm war die Freiheit lieber als ein Haus am Wasser.
Dafür musste der Grenzgänger im Westen zusätzlich arbeiten, weil er mit dem Ostgehalt daheim keine Rechnungen bezahlen konnte. „Das war aber alles zu schaffen.“ Nur einmal wurde es eng. Ende 1969 fielen zwei Premieren auf einen Tag. Beim „Zarewitsch“ am Theater des Westens nahm er die Generalprobe ab und raste anschließend zum Flughafen. Am nächsten Tag gab der Friedrichstadtpalast ein Gastspiel in Moskau.
„Im Osten wurde sehr gutes Theater gemacht, und im Westen haben sie sich auch große Mühe gegeben“, sagt Wolf Leder und meint das nicht wertend. Er äußert sich überhaupt niemals negativ in seinen Erzählungen.
Auch nicht über Regisseure, Sänger, Schauspieler. Ob Marlene Dietrich, Gustaf Gründgens, Heinrich George, Zarah Leander, die Kollos: Leder kannte die deutschen Stars und Sternchen seit Mitte der Zwanzigerjahre. Er kam offenbar mit allen prima zurecht. Und viele mit ihm. Jedenfalls lief bei dem Theatermann jeder Job über Beziehungen.
An die Nazizeit hat Leder gute Erinnerungen. Für Unterhaltungskunst haben die Nationalsozialisten, wie auch später die DDR-Oberen, viel Geld spendiert. Paradiesische Zustände für politisch arglose Vollblutkünstler wie Wolf Leder. „Das war ganz großartiges Theater“, schwärmt der Rektorensohn noch immer. Sein Berufswunsch stand schon als Knirps fest. Die opernbegeisterten Eltern hatten ihren Jüngsten einige Male in die Singtempel mitgenommen. Zu Hause bastelte der junge Wolf dann Kulissen aus bunten Löschpapierbögen.
Nach Stationen im Berlin der 30er-Jahre am Metropol-Theater, an der Scala, im Wintergarten und im Admiralspalast wurde Wolf Leder ab 1939 Chefbühnenbildner an der Berliner Plaza. Das Varietétheater gehörte zur NS-Organisation „Kraft durch Freude“. Leder entwarf gewohnt farbenprächtige Bühnenbilder und Kostüme für heiteres Musiktheater in düsteren Zeiten. Er lenkte das Publikum ab – und kam so bis 1944 um den Kriegsdienst herum. Der Posten brachte ihm den Vorwurf ein, er habe die Nationalsozialisten unterstützt.
„Ich bin niemals in die Partei eingetreten“, entgegnet Wolf Leder. Er habe sich von den Nazis auch nicht vereinnahmen lassen, sondern sich für Freunde eingesetzt. Bei einer Zugfahrt nach Paris schmuggelte Wolf Leder im doppelten Boden seines Koffers Schmuck und Brillanten für ein befreundetes jüdisches Ehepaar aus Berlin. Bei anderen Auslandsreisen hatte er Devisen eine wertvolle Kamera dabei, die Emigranten bei ihrer Flucht aus Deutschland zurücklassen mussten. Die jüdische Identität von Eva Maria Richter, der Mutter von Ilja Richter, hatte Wolf Leder während der Nazizeit verschleiert, damit die Schauspielerin in Berlin auftreten konnte, unter anderem auf der Plaza-Bühne. „Für mich war das selbstverständlich.“
Ebenso menschlich engagierte sich Leder zu DDR-Zeiten. Den Stasi-Spitzeln erzählte er „hochgradige Belanglosigkeiten“. Ostdeutsche Freunde unterstützte er. Er verwaltete ihre Konten im Westen, schaffte Papiere für Republikflüchtige nachträglich über die Grenze und transportierte für einen Ostzahnarzt, der in München geblieben war, einen Kasten Zahngold als Altersversorgung von Berlin nach Bayern. „Ich hätte den Grenzern gesagt, dass das Kupfer ist, wenn die mich kontrolliert hätten“, sagt Wolf Leder.
Er ist nie in Schwierigkeiten geraten. Den Kulturfunktionären im Osten war Wolf Leder zwar suspekt. Deshalb blieb ihm vermutlich der Nationalpreis der DDR verwehrt, für den ihn die Verantwortlichen vom Friedrichstadtpalast dreimal vorgeschlagen hatte. Sein Job im Friedrichstadtpalast kippelte keine Sekunde. „Ich habe gut gearbeitet und hatte viel Glück“, erklärt sich Leder selbst seine steile Karriere. Sie begann 1927 am Landestheater Schneidemühl, dem heutigen Pila in Westpolen. Sein offizielles Arbeitsleben als Bühnenbildner endete 1992 mit der Ausstattung von „Ein Käfig voller Narren“ am Schleswig-Holsteinischen Landestheater.
Langweilig ist es dem Junggesellen in den vergangenen Jahren nicht geworden. Leder liest, entwirft manchmal ein Bühnenbild, besucht Theatervorstellungen. Die letzten Monate suchte er in seinem Privatarchiv Kostümfigurinen, Bühnenentwürfe, Fotos, Dokumente und Kostüme für „seine“ Ausstellung im Ephraim-Palais zusammen. „Es macht Spaß, alt zu werden“, freut sich Leder. Das glaubt man dem 100-jährigen Mann gern, der in Farbe träumt und die vier Stockwerke zu seiner Wohnung immer noch alleine schafft.
Infos: „Ein Leben für die Bühne: Der Kostüm- und Bühnenbildner Wolf Leder“. Bis 21. Mai 2006 im Museum Ephraim-Palais, Poststraße 16, Berlin-Mitte, Telefon (0 30) 24 00 21 21, geöffnet dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, mittwochs 12 bis 20 Uhr. Eintritt 3 (ermäßigt 1,50) €. Internet: www.stadtmuseum.de. Weitere Arbeiten von Wolf Leder sind im Foyer des Friedrichstadtpalastes ausgestellt: Friedrichstadtpalast Berlin, Friedrichstraße 107, Berlin-Mitte. Internet: www.friedrichstadtpalast.de