: „Humor ist eine Geisteshaltung“
HIHI Lachen setzt das Spielerische im Menschen frei, sagt die Humorforscherin und Psychiaterin Barbara Wild. Ein Gespräch über Witze als Balzverhalten und Humor als therapeutische Maßnahme
■ Leben: Barbara Wild ist 1961 in Bad Godesberg geboren und in Ehningen, Mühlheim an der Ruhr und bei Calw aufgewachsen. Sie ist verheiratet und hat einen 16-jährigen Sohn.
■ Arbeit: Medizinstudium in Tübingen, London und Boston (USA), danach Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Neurologischen und an der Psychiatrischen Universitätsklinik Tübingen. 1990 hat sie promoviert, seit 2004 besitzt sie die Lehrbefugnis für das Fach Psychiatrie und Psychotherapie – dank einer Habilitationsarbeit über „Das Phänomen der emotionalen Ansteckung durch Mimik“. Seit mehreren Jahren beschäftigt sie sich mit Humor und freut sich immer über gute Psychiaterwitze, die sie für eine wissenschaftliche Auswertung sammelt.
■ Literatur: Abgesehen von unzähligen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Buchbeiträgen gab sie 2012 im Schattauer Verlag das Buch „Humor in Psychiatrie und Psychotherapie. Neurobiologie - Methoden - Praxis“ heraus.
GESPRÄCH ALEM GRABOVAC
Von der Neckarbrücke mit ihrer malerischen Aussicht auf den Hölderlinturm und die Tübinger Altstadt sind es nur wenige Gehminuten bis zur psychotherapeutischen Praxis von Barbara Wild. Der Raum ist schlicht eingerichtet: drei Bücherregale, ein Schreibtisch, eine große, grüne Topfpflanze und zwei hellbraune Ledersessel, in denen die Patientengespräche stattfinden. Frau Wild, kariertes Hemd, graue Hose, kurze blonde Haare, ist noch am Telefonieren. Dann beendet sie das Gespräch und sagt: „Das war jetzt eine richtig gute Nachricht.“
sonntaz: Frau Wild, worüber freuen Sie sich?
Barbara Wild: Ich wurde gerade vollkommen überraschend zu einem wichtigen psychiatrischen Kongress in Berlin eingeladen. Man möchte, dass ich dort ein Symposium zum Thema Humor in der Therapie halte. Das finde ich klasse. Das ist schon ein Zeichen, dass die Humorforschung mehr akzeptiert und anerkannt wird. Früher war es ja eher so, dass einige Psychotherapeuten die Haltung vertraten, dass in einer Therapie überhaupt nicht gelacht werden darf. Denn das Lachen könnte ja auch ein Ausweichen, ein Abwehrmechanismus sein. Einige Psychoanalytiker waren da sehr, sehr streng.
Ist diese Strenge und Suche nach Tiefsinnigkeit nicht auch allgemein ein deutsches Phänomen? Die Deutschen sind ja nicht gerade berühmt für ihre Lockerheit und ihren Witz.
Das mag schon sein. Aber die amerikanischen Psychiater waren zum Beispiel noch viel strenger.
In London fragte mich einmal ein Kommilitone, ob ich wisse, wie der Titel des dünnsten Buches der Welt lautet. Ich kannte ihn nicht. Sie?
Tut mir leid. Da muss ich passen.
Seine Antwort war: „The History of German Humor“.
Das ist böse, das ist richtig böse.
Steckt in diesem Witz nicht auch ein bisschen Wahrheit?
Ja, die berühmte „German Angst“ … Es ist schon wahr, dass Humor als Geisteshaltung, wie sie zum Beispiel bei den Briten herrscht, bei uns nicht so populär ist. Und auch in den Geisteswissenschaften – siehe die Frankfurter Schule um Adorno und Horkheimer – war der Humor lange Zeit verpönt. Wenn man gemeinsam lacht, sagten sie, versinkt man in der Menge, wird gleichgeschaltet, verliert seinen kritischen Geist. Ich bin Jahrgang 1961, also eine Post-Achtundsechzigerin, die vielleicht nicht mehr ganz so ernst und kritisch auf alles reagieren muss. Da gab es einen Bruch.
Einen Bruch, der wie so vieles andere mit der Nazizeit begann.
Nach 1945 hat sehr viel platter Witz dominiert, zum Beispiel über vollbusige Blondinen. Vielleicht eine Funktion der Zudeckung. Man wollte nicht an Vergangenes erinnert werden. Und auch der Verlust des jüdischen Humors hat diesem Land bestimmt nicht gutgetan. Ein ganz wunderbarer, selbstironischer Humor, der ausgelöscht wurde. Das musste alles verarbeitet werden. Ich glaube jedoch, dass wir die Verkrampfung in den letzten zwanzig, dreißig Jahren hinter uns gelassen haben. Denken Sie zum Beispiel an Joschka Fischers weiße Turnschuhe, die er 1985 bei seiner Vereidigung getragen hat. Das war anarchisch, verspielt, humorvoll.
Was ist Humor eigentlich genau?
Humor ist eine Charaktereigenschaft, eine gewisse Haltung, auch bei schwierigen Situationen heiter und gelassen zu bleiben. Man reagiert nicht gleich ängstlich, lässt sich nicht so schnell aus dem Konzept bringen. Es ist auch die Fähigkeit, spielerisch mit Situationen umzugehen.
Und was ist Witz?
Das ist wie eine kleine Fallvignette, also eine kurze Geschichte mit einem verblüffenden Ende. Das Ende erhellt meistens einen Zusammenhang so, dass man darüber lachen kann.
Welche Funktionen haben Witze?
Witze können dazu dienen, dass man sich besser als jener fühlt, über den man den Witz macht. Darüber hinaus stärken sie das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe. Deswegen machen die Schwaben über die Badener oder die Berliner über die Brandenburger Witze.
Wie hat man eigentlich in Baden-Württemberg auf den Thierse-Schrippen-Streit, den Berliner Schwabenhass reagiert?
Teilweise sehr ernst, teilweise mit Humor. Die Schwaben sind einerseits sehr stolz auf ihre wirtschaftliche Leistung und ihre Kultur, andererseits macht man sich lustig über ihren Dialekt und ihre Kehrwoche. Ich glaube schon, dass die Schwaben auch Minderwertigkeitsgefühle haben, gemischt mit Arroganz. Als ich hierhergezogen bin, hat mich das erst einmal verblüfft. Als „Neigschmeckte“ geben sie einem zu verstehen, dass man nicht so ganz akzeptiert wird, andererseits haben sie Hemmungen, mit jemandem zu reden, der Hochdeutsch spricht.
Weshalb lachen wir aus evolutionsbiologischer Sicht?
Lachen ist ein Signal an mein Gegenüber, dass die Situation nicht aggressiv, sondern spielerisch ist. Auch Menschenaffen lachen, das ist ein Teil unserer sozialen Kommunikation. Wir haben kaum Verhaltensweisen, mit denen man eine positive Stimmung ausdrücken kann. Dagegen haben wir sehr viel mehr Zeichen für negative Gefühle, zum Beispiel Hüsteln, Stirnrunzeln, Fäuste ballen.
Sie verbinden die Humorforschung mit psychiatrischer Therapie. Wie setzt man Humor als therapeutisches Mittel ein?
Es ist keine Technik, die man einfach anwendet. Es ist eher eine Geisteshaltung, die spürbar werden sollte. Es wird erlaubt, peinliche oder schmerzhafte Situationen auch einmal aus einem heiteren Blickwinkel zu betrachten. Wenn es einem Patienten gelingt, über sein eigenes Problem einen Witz zu machen, dann hat man schon viel erreicht.
Wie gelingt Ihnen das?
Ich sehe meine Rolle in der Therapie darin, ein geeignetes Klima für Humor zu schaffen. Es ist eine Erlaubnis, auch mal zu übertreiben. Bei Ängsten zum Beispiel male ich mit den Patienten aus, was ihnen alles passieren könnte, bis es irgendwann absurd und lustig wird. Oder indem ich auch mal etwas Provokatives sage, die Probleme des Patienten liebevoll karikiere. Psychotherapie funktioniert oft auch mit Bildern: Ich versuche, mit dem Patienten durch Verzerrung, Übertreibung oder Provokation ein anderes Bild für sein Leiden zu finden, welches dann wiederum einen neuen Handlungsspielraum eröffnet. Außerdem bieten wir Humortrainingsgruppen an.
Was machen Sie dort?
Wir setzen uns einmal die Woche in Gruppen von acht bis zwölf Leuten zusammen. Jeder beginnt mit einer persönlichen Bestandsaufnahme: Worüber habe ich vor meiner Erkrankung gelacht? Wie war das in meiner Familie? Über was durfte man als Kind nicht lachen? Dann überlegt man: Worüber könnte ich jetzt lachen? Und wer bringt mich dazu? Nach dieser Bestandsaufnahme kommen Sitzungen zum Thema Lachen und Humor, in denen die Patienten eine spielerische Grundhaltung trainieren und erlernen.
Und das hilft?
Wichtig ist, die Aufmerksamkeit zunächst einmal auf den Humor zu lenken. Wenn man sich sieben Wochen damit beschäftigt, macht alleine das schon humorvoller. Jeder Mensch hat die Fähigkeit zum Humor. Man muss es sich nur erlauben. Dafür ist das Training auch gut: Da steht dann die Frau Professor vorne und macht Blödsinn – damit gebe ich den Teilnehmern der Gruppe die Erlaubnis, ebenfalls Blödsinn zu machen. Ich versuche, das Spielerische im Menschen freizusetzen.
Haben Frauen und Männer einen unterschiedlichen Humor?
Männer mögen sexuelle Witze. Damit versuchen sie, ihre sexuelle Potenz darzustellen. Freud geht zum Beispiel davon aus, dass man mit dem Witz verdrängte Wünsche und Konflikte ausdrücken kann, die ansonsten nicht salonfähig wären. Außerdem ist der männliche Humor aggressiver. In Dating-Situationen ist es eher so, dass der Mann den Witz erzählt und die Frau darüber lacht. Die Theorie besagt: Die Witzigkeit des Mannes ist wie das Rad, das der Pfau schlägt. Damit zeigt der Mann nicht nur seine sexuelle, sondern eben auch seine menschliche und intellektuelle Potenz. Der Witz ist ein Bestandteil seines Balzverhaltens, mit dem er die Frau erobern möchte.
Frauen haben also einen eher passiven Humor?
Sicherlich hat das auch etwas mit Macht zu tun. Wenn ich jemanden zum Lachen bringe, habe ich ja für den Moment die Macht über ihn. Und das mögen die Männer immer noch nicht so gerne. Andererseits hat sich da auch schon viel getan. Es gibt ja inzwischen auch viele weibliche Kabarettistinnen und Comedians. Und ich persönlich provoziere die Männer hin und wieder auch ganz gerne mit einem Witz.
Na dann her damit.
Also gut, mal schauen, ob Sie den mögen. Bei einer Frau wird ein zu Tode führender Gehirntumor diagnostiziert. Sie ist verzweifelt und sucht verschiedene Neurochirurgen in Deutschland auf. Alle sagen ihr, dass da nichts mehr zu machen ist. Der letzte jedoch empfiehlt ihr einen Kollegen in San Francisco. Der macht Gehirntransplantationen und könnte ihr vielleicht helfen. Sie fliegt nach San Francisco, sucht diesen Experten auf und er sagt: „Well, ja, natürlich, wir können eine Gehirntransplantation machen. Das hängt aber auch davon ab, wie viel Sie zahlen wollen.“ „Was kostet das denn?“, fragt sie. Er sagt: „Also, Sie können das Hirn von einer Frau haben, das kostet 10.000 Dollar, oder das Hirn von einem Mann, das kostet 20.000 Dollar.“ „Aha“, sagt sie, „und weshalb ist das Hirn von der Frau so viel günstiger?“ „Na ja“, sagt er, „das Hirn von der Frau ist gebraucht.“
Ja, der ist gut. Kommen wir wieder auf ein ernsteres Thema zu sprechen. Die Zahl der Arbeitsfehltage wegen psychischer Erkrankungen hat sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt. Worauf führen Sie diesen Anstieg zurück?
Einerseits glaube ich schon, dass die Anforderungen im Berufsleben etwas härter geworden sind, Stichwort Multitasking, höheres Tempo, mehr Flexibilität. Es wird auch weniger Rücksicht genommen. Früher, wenn man Probleme mit Alkohol hatte, wurde sich sehr darum bemüht, diese Leute im Betrieb zu halten, ihnen nochmals eine Chance zu geben. Da ist der Umgangston rauer geworden. Andererseits muss man psychische Erkrankungen nicht mehr so verheimlichen wie früher. Es ist nicht verpönt, von einer Depression zu reden, es ist kein großes Stigma mehr. Das ist positiv. Früher gab es mehr Leid, das versteckt werden musste und deswegen nicht richtig behandelt werden konnte.
Macht die moderne Arbeitswelt krank? Manche Zeitdiagnostiker sprechen bereits von der „Volkskrankheit Burnout“.
In meinen Augen ist Burnout keine Krankheit, sondern ein Prozess. Der Begriff kommt ursprünglich von den Motorradfahrern. Dort ist ein Burnout, wenn man gleichzeitig bremst und Gas gibt. Dann dreht das Hinterrad durch und das Gummi fängt an zu schmelzen und qualmt. Das beschreibt es ganz schön: nämlich dass da jemand ist, der arbeitet und arbeitet, und es geht trotzdem nicht voran. Aber das, weswegen die Menschen dann in Behandlung kommen, ist schon noch mehr. Das ist dann eine Depression, also sozusagen das Endstadium eines Burnouts. Es ist leichter zu sagen, dass ich ein Burnout habe, als von einer Depression zu reden. Burnout suggeriert: Ich habe mal gebrannt, ich war mal super aktiv, habe mich aufgeopfert. Aber ich kann nicht feststellen, dass das Burnout oder die Depression zu einer Art Volkskrankheit geworden sind. Wie bereits erwähnt: Es ist gut, dass man inzwischen seine psychischen Krankheiten nicht mehr verstecken muss.
Ist Humor ein Luxusgut? Fällt es einem ohne Geldsorgen nicht leichter, humorvoll zu sein?
Der statistische Zusammenhang zwischen Geld und Glück ist nicht besonders hoch. Ich glaube, dass man in nahezu jeder Lebenslage humorvoll sein kann. Denken Sie zum Beispiel an Victor Frankl. Das war ein österreichisch-jüdischer Psychiater, der im KZ gewesen ist. Er schreibt, dass der Humor im KZ unglaublich wichtig war. Er hatte einen Freund, mit dem er ausgemacht hatte, dass sie sich jeden Tag einen Witz erzählen. Für ihn war der Humor etwas, das ihm keiner nehmen konnte. Man konnte ihm sein Geld, seinen Titel, seine Gesundheit, sein Essen nehmen, aber eben nicht seinen Humor.
Können Sie über Ihre Feinde lachen?
Kommt darauf an. Wenn ich von jemandem angegangen werde, rege ich mich erst einmal auf. Aber hinterher, wenn ich über denjenigen spotten kann, dann mache ich das gerne und dann tut das auch gut.
Welchen Rat geben Sie den Menschen in Bezug auf ihre Feinde?
Man sollte die Feindschaften, gerade im Arbeitsumfeld, in nüchterne Arbeitsbeziehungen umwandeln und nicht die Feindschaft kultivieren. Da kann Humor natürlich hilfreich sein. Man kann zum Beispiel mit Feinden auch über einen Dritten lachen.
Warum müssen eigentlich alle lachen, wenn der Chef einen Witz erzählt?
Dieses Lachen ist eine Unterwerfungsgeste. Du bist der Chef, also lache ich – auch wenn der Witz schlecht war. Lachen ist dann eine Anerkennung von Hierarchien.
Kann Humor auch negativ sein? Instrumentalisiert man manchmal den Humor als Rechtfertigung dafür, nichts an seinem Leben oder den ungerechten sozialen Verhältnissen zu verändern?
Da muss man schon aufpassen. Manchmal werden Witze gemacht, um sich nicht mit etwas auseinanderzusetzen. Besonders hellhörig werde ich, wenn jemand selbstentwertende Witze macht. So etwas muss man dann hinterfragen. Ich finde nicht, dass man immer lachen muss – aber genauso wehre ich mich dagegen, immer ernsthaft mit Problemen umzugehen.
Weshalb haben linke Milieus oft ein Problem mit Humor?
Humor verträgt sich nicht gut mit Prinzipienreiterei, Fundamentalismus und strenger Dogmatik. Das hat etwas damit zu tun, wie sehr jemand an Grundsätze glaubt, die dann immer verteidigt werden müssen.
Sie bezeichnen sich als Humorforscherin – gibt es ein Diplom in Humorforschung?
Es gibt Bemühungen, den Humor zu institutionalisieren, zum Beispiel die internationale Gesellschaft zum Studium des Humors. Außerdem versucht die Organisation „Humorcare“ eine Ausbildung zum Humortherapeuten zu etablieren. Humor ist ein ernstes Forschungsthema und nicht nur, über Witze zu lachen.
Erzählen Sie mir zum Abschluss trotzdem noch einen Ihrer Lieblingswitze?
Na klar: Ein Mann betet zu Gott: „Lieber Gott, mach, dass ich im Lotto gewinne.“ Eine Woche später betet er wieder: „Lieber Gott, mach, dass ich im Lotto gewinne.“ Eine Woche später wiederholt er sein Gebet: „Lieber Gott, mach, dass ich im Lotto gewinne.“ Und plötzlich kommt von oben eine Stimme und sagt: „Ja, Mensch, dann kauf dir doch endlich einmal einen Lottoschein.“
■ Alem Grabovac, 39, sonntaz-Autor, möchte an dieser Stelle den Computer „Deep Thought“ aus dem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ zitieren: Und wie lautet die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens? „42“, sagte Deep Thought mit unendlicher Ruhe und Erhabenheit.