: Ordnung für die Charts
FIXE IDEE Eddie Argos, bekannt als Sänger von Art Brut, interpretiert Popklassiker recht eigenwillig
VON THOMAS WINKLER
Das war wohl nichts. Lange Jahre hat Eddie Argos damit verbracht, das verbreitete Vorurteil aus dem Weg zu räumen, er sei ein Intellektueller. Vor allem die Deutschen, klagte der Sänger von Art Brut unlängst, würden seine Texte überinterpretieren. Zu Hause in England habe er nicht einmal die Universitätszulassung geschafft; in Deutschland aber, auf der anderen Seite des Kanals, habe er sich den Beinamen „The Depressive Dandy“ verdient. Völlig zu Unrecht, meint der Brite, seine Reime seien doch wohl vor allem eins: lustig.
Nun allerdings hat sich der Witzbold Argos, der dank seiner etwas schwammigen Physiognomie wie ein unehelicher Sohn von Oscar Wilde und Bastian Pastewka wirkt, selbst ins Bein geschossen. Das Album, das er zusammen mit seiner Lebensgefährtin Dyan Valdes unter dem sperrigen Projektnamen Everybody Was In The French Resistance … Now eingespielt hat, ist zweifelsfrei das Werk eines Intellektuellen, und zwar eines Intellektuellen, der in der Pophistorie geschult wurde: Jeder der zwölf Songs bezieht sich auf einen alten, berühmten oder klassischen Beitrag zur Geschichte des populären Liedes.
Es ist der bisweilen etwas verzweifelt anmutende Versuch, so der Titel des Werks, die Charts in Ordnung zu bringen: „Fixin’ The Charts, Volume One“. Fortsetzung folgt also, die ersten Reparaturarbeiten verfolgen erst einmal vor allem moralische Anliegen: In „G.I.R.L.F.R.E.N. (You Know I’ve Got A)“ wird Avril Lavigne der Kopf gewaschen, weil die in ihrem Hit „Girlfriend“ versuchte, einer Rivalin den Freund auszuspannen. „Billie’s Genes“ ist der Hilferuf jenes Sohnes von Michael Jackson, dessen Vaterschaft der kürzlich verstorbene King of Pop in „Billie Jean“ so vehement abstritt. In „My Way (Is Not Always The Best Way)“ nimmt Argos die radikale Gegenposition zum Egomanen aus „My Way“ ein, wie ihn Frank Sinatra popularisierte.
Sogar Bob Dylan bekommt Nachhilfe in angemessenem Sozialverhalten: Dass der in „Don’t Think Twice It’s Alright“ im Morgengrauen seine Liebste sitzen lässt, findet Argos gar nicht cool. Und empfiehlt in „Think Twice (It’s Not Alright)“, lieber zweimal über solch einen unwürdigen Abgang nachzudenken.
Aber es geht auch anders. Manche Klassiker, so das Traditional „Scarborough Fair“, werden einfach konsequent zu Ende gedacht, andere wie „You’ll Never Walk Alone“, das vornehmlich durch englische Fußballstadien schallt, auf den Kopf gestellt. Immer aber verfährt Argos so spielerisch mit den im Pop kursierenden Klischees, wie man es bereits von seinen Texten für Art Brut kennt, die gespickt sind mit popkulturellen Querverweisen und Anspielungen. Niemand sonst macht so stimmige Musik über Protagonisten, die ihr Leben von Popsongs bestimmen lassen, Musik für Menschen, die sich auch in den Büchern von Nick Hornby wiederfinden.
Leider aber haben Argos und Valdes, die sonst bei der kalifornischen Indie-Band The Blood Arm die Keyboards spielt, nicht auf die Originalmelodien zurückgegriffen. Wahrscheinlich wäre es sowieso unmöglich gewesen, die Einwilligung der Rechteinhaber zu erhalten. Einige eingängige Momente, den zeitlosen Stücken, die als Inspiration dienten, durchaus würdig, sind aber auch ihnen gelungen. Die bilden nun eine schmucke Ergänzung zu einem schrammeligen Pop, der wie eine halb akustische, leicht sentimentalere Version des sperrigen Kunstpunkrock von Art Brut wirkt.
Die Gefahr allerdings, demnächst selbst in den oberen Regionen der Charts neben den verballhornten Vorbildern zu stehen, zernuschelt Argos gekonnt mit seinem knurrigen Sprechgesang, der immer leicht spöttisch wirkt. Nein, das Vorhaben, die Hitlisten in Ordnung zu bringen, das wird wohl scheitern. Mit dem Vorwurf allerdings, das intellektuelle Aushängeschild des sich sonst so proletarisch gebenden Britpop zu sein, wird Eddie Argos dafür nun auf ewig leben müssen.
■ Eddie Argos: Everybody Was In The French Resistance … Now: „Fixin’ The Charts, Volume One“ (Cooking Vinyl/Indigo)