Zur Obsternte in die Messehalle

Wenn die Handelsmesse „Fruit Logistica“ beendet ist, beginnt das große Aufräumen: Freiwillige sammeln tausende Kilo Obst und Gemüse für Bedürftige. Viele Stände werden vorher geplündert

VON MARTIN REISCHKE

Die Messehalle 7/2A ist ein ziemlich trostloser Ort. Die wenigen Deckenlampen spenden nur spärliches Licht, das die Ecken des Saales kaum noch erreicht. Durch die offenen Türen dringt frostig-kalte Winterluft in die Halle. Knapp 300 Menschen in hellblauen Plastikumhängen haben sich hier versammelt: Schwatzend stehen sie in Grüppchen beieinander, ein Mann wirft einen ungeduldigen Blick auf seine Uhr.

Es ist kalt, es ist dunkel, aber die Menschen, die hier warten, haben die frohe Zuversicht von Leuten, die meinen, das Richtige zu tun. Das liegt nicht zuletzt an Sabine Werth. Energischen Schrittes betritt die Gründerin der Berliner Tafel als eine der Letzten die Halle, baut sich auf und erklärt, was zu tun ist in den nächsten zwei Stunden: Tausende Kilo Obst und Gemüse sollen eingesammelt, verpackt und verladen werden. Rund 70 Tonnen kommen so zusammen, alles Überreste der Handelsmesse „Fruit Logistica“. Später werden sie an Bedürftige in der ganzen Stadt verteilt.

Pünktlich um 18 Uhr dürfen die Helfer in die hell erleuchteten Ausstellungshallen. Das Messepublikum ist schon verschwunden, die meisten Aussteller ebenso. Zurückgeblieben sind verwaiste Stände mit bunten Firmenlogos, Präsentationstafeln – und Unmengen an Früchten.

Die Kreativität der Dekorateure scheint eng begrenzt: Nicht nur Äpfel, sondern auch Zwiebeln, Paprika und sogar Erbsenschoten sind an stilisierten Baumkronen aus Styropor drapiert. Sie sitzen auf riesigen Glasvasen oder Stützen aus Holz. Dabei sind die künstlichen Gewächse so sorgfältig aufgebaut, dass die Ernte oft schwieriger und langwieriger ist als in der Natur. Zahlreiche Helfer sind damit beschäftigt, die Früchte einzeln von den Baumkronen zu klauben. Erbsenschoten müssen mühsam von den hölzernen Stützen getrennt werden. Andere haben es leichter: Auf sie warten riesige Holztröge mit Orangen, Tomaten oder Äpfeln, die nur in den mitgebrachten Bananenkisten verstaut werden müssen.

So schnell finden Früchte und Gemüse ihren Weg in die Pappkartons und von dort in die Transporter der Berliner Tafel, dass schon nach wenigen Minuten der Nachschub an Bananenkisten versiegt ist. Ein absurder Kampf um die letzten verbliebenen Kartons beginnt. Wer noch einen gefunden hat, gibt diesen so schnell nicht wieder her. Ein junger Mann, der nach einer scheinbar herrenlosen Kiste schielt, wird von einer herbeieilenden Frau angeherrscht: „Das kannst du vergessen, die haben wir uns organisiert!“

Doch schon kurze Zeit später hat sich die Situation wieder entspannt. Jetzt gibt es zwar wieder genügend Kisten, aber es fehlen die Früchte, um sie zu füllen. Eine knappe Stunde erst haben die Helfer gearbeitet. Nun stehen sie wieder beieinander, selbst ein wenig erstaunt darüber, dass alles so schnell ging. Sabine Werth ist skeptisch: „Einige Gruppen waren so schnell fertig, dass ich dachte, wir würden gar nichts bekommen“, sagt sie. Tatsächlich kommt am Ende etwas weniger zusammen als noch im vergangenen Jahr.

Ohnehin wandern nicht alle Überreste der Messe in die Kisten der Berliner Tafel. Denn schon vor dem offiziellen Messeschluss um 18 Uhr werden viele Stände von Messebesuchern geplündert – und die Freiwilligen der Berliner Tafel haben oft das Nachsehen. Für viele von ihnen ist der Einsatz noch nicht zu Ende. Sie fahren weiter zum Westhafen. Dort fangen sie noch in derselben Nacht an, das Obst und Gemüse zu sortieren und anschließend zu verteilen. Auch hier müssen sie sich beeilen; die mietfreie Halle steht ihnen nur noch eine Woche zur Verfügung. Doch hier bestimmt die Natur die Fristen. Denn was in einer Woche noch im Westhafen lagert, ist ohnehin vergammelt.