: Urziel Meinungsvielfalt
Die Springer-Fusion ist zwar gescheitert. Doch die alte mediale Ordnung löst sich auf. Regulierungim Medienbereich muss künftig Konzentrationskontrolle und Kartellbestimmungen verknüpfen
VON UWE KAMMANN
Abgehakt: Das gilt nur für den Springer-Konzern, der seine Übernahmepläne in Richtung ProSiebenSat.1 begraben musste. Und – noch ziemlich vage – Aktivitäten unter den Etiketten Digitalisierung und Ausland ankündigt, um die gescheiterten Ambitionen in Sachen integrierter Medienkonzern auszugleichen.
Ganz und gar nicht abgehakt ist dagegen der Problemkatalog, der im erregten Diskussionspaket zum Pro oder Contra der Großfusion immer deutlicher das Schwergewicht markierte. Und das nicht nur als Fragestellung, sondern als Buch der Forderungen: nach neuen medien- und wirtschaftsrechtlichen Regelungen, wenn es um einen angemessenen und zukunftsoffenen Ordnungsrahmen für die Medien geht. Denn in dem Punkt herrscht – ist das verblüffend? – ziemliche Einigkeit: Der derzeitige Regelungsfächer ist überholt, taugt nicht mehr für die derzeitige Entwicklung. Die, wie immer an den (nie starr zu sehenden) Umbruchschwellen, weitgehend von der Technik bestimmt und befördert wird. An dieser Position, die nachdrücklich Neues fordert, die auch zugleich mit der jetzigen Unübersichtlichkeit der Einrichtungen und Kompetenzverschränkungen aufräumen will, gibt es nichts zu rütteln: Dieses Entrümpeln der Kontroll- und Zulassräume und dieses Neuzimmern eines sinnvollen Regulierungsrahmens, das alles ist unumgänglich.
Die Hauptstichworte für diesen Anschub heißen: Digitalisierung und Konvergenz. Was, in grober Übersetzung, für allgegenwärtige Verfügbarkeit in jeglichem medialen Verwertungsstadium und für das gleichzeitige Zusammenwachsen der Medienformen steht. Damit wird ein Zauberwort, das in den letzten zehn Jahren durch die Fachkonferenzen mäanderte, nun konkret. Speziell bei den Verbreitungswegen wachsen Techniken zusammen, besser: Vernetzungen sowie Parallel- und Mehrfachnutzungen gehen immer neue Verbindungen ein. Bisher ziemlich säuberlich und systematisch Geschiedenes wird miteinander vereinbar, vom Fernsehen über Breitbandkabel bis zu allen mobilen Übertragungs- und Empfangsformen, welche das herkömmliche Telefon gerade rasant ablösen und die Internet-Anwendungen auffächern. Was eben auch heißt – und dabei muss man stets im globalen Maßstab denken: Vertraute Exklusivitäten lösen sich auf. Und damit, logisch, auch die alten Ordnungen.
ZDF-Intendant Markus Schächter bemüht bei der Bewertung und Einordnung dieses Wandels gleich die ganz großen Urteile. In den nächsten drei, vier Jahren werde es einen größeren Wandel in der Fernsehlandschaft geben als in vierzig Jahren zuvor. Von den alten, gewohnten Formen und Zuschnitten werde nicht mehr viel übrig bleiben.
Was wird das für das Kopf- und Handwerk der Regulierer – tatsächlich also: der Medienpolitiker und ihrer Landesexekutoren – bedeuten? Wie werden sie die Balance von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen hinbekommen, wie die internationalen Ströme – an Kapital, an Medieninhalten – steuern? Wie wollen sie das Urziel aller hiesigen Regulierung, nämlich größtmöglichste Meinungsvielfalt zu sichern oder erst herzustellen, erreichen? In einer Konstellation, bei der Produktion, Inhalteorganisation und -besitz, Verbreitung, Wegeverwaltung, Zugangsinstrumente und Abrechnung immer stärker ineinander übergehen, sodass die herkömmlichen Machtteilungen, aber auch die alten Monopole sich zusehends unter neuem Formationsdruck sehen.
Ein Schlüsselwort, wenn es um die gesellschaftlichen und individuellen Interessen geht, wird dabei sein: Zugangsfreiheit. Jede neue Medienregulierung muss verhindern, dass es Einbahnstraßen und Mangelräume des Zugangs gibt (was technisch-organisatorisch, was aber auch finanziell – über Eintrittsgelder für Inhaltsräume – geschehen kann). Ebenso muss sie verhindern, dass allein Renditeinteressen die Medienlandschaft bestimmen. Oder dass eine Kapitalkonzentration und -verflechtung eintritt, nicht zuletzt über internationale, über globale Investitionsströme, welche publizistische Vielfaltsforderungen nicht mal vom Hörensagen kennt.
Die neuen Rechtsmittel müssen also die bisherige Medienkonzentrationskontrolle mit den wirtschaftsorientierten Kartellbestimmungen verknüpfen. Dafür, das ist einsichtig, braucht es dann auch eine Bewertungs- und Anwendungsmacht als Gesamtkonstruktion, gleichsam aus einem Guss, statt der jetzigen Additionen und Verschränkungen, die sich einem überholten Idealbild des föderalen Ausgleich- und Kompromisssystems verdanken.
Landesmedienanstalten, Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, die Regulierungsistanzen der Telekommunikation und des Jugendschutzes: Das alles wäre für die neue Medienordnung zusammenzuführen und, natürlich, an der Basis zusätzlich aufzurüsten durch bislang beim Kartellamt liegende Befugnisse, welche die wirtschaftlichen Folgen von Zusammenballungen untersuchen und Gegenmaßnahmen installieren dürfen. Dieses Zusammenführen schließt eine innere Aufgabenteilung nicht aus – solange es ein Beschlussorgan an der Spitze gibt, das ohne untergeordnete System-Eifersüchtelei das letzte Wort hat.
Innerhalb dieses Pyramidengerüsts sind wichtige Regelungsmaßstäbe neu zu definieren und zu deponieren: vom Aufriss vielfaltsichernder Maßnahmen bis zur quantitativen Marktbeobachtung und zur qualitativen Grundabsicherung. Überkreuzbeteiligungen, Investorenfreiräume, Zugangsweichen, Mindeststandards, Sanktionsinstrumente und Kontrollmechanismen sowie Eingriffbefugnisse: Das alles sollte so klar und verbindlich wie möglich festgelegt werden, im Konsens von Ländern und Bund – das vielfaltsichernde Föderalprinzip kann hier nur die verpflichtende innere Querstrebe sein, inklusive gesellschaftlicher Kontrolle durch Gremien.
Eine utopische Pyramide? Nein, die einzig realistische. Wenn es deutsche Medienvielfalt im Jahr 2015 noch geben soll.
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