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Archiv-Artikel

Nackt unter Geparden

Diffus und ohne Diagnose: Mary Harrons Versuch einer Annäherung an „The Notorious Bettie Page“ (Panorama)

In Harrons Film bleibt Pin-up Girl Bettie Page eine schön anzuschauende und gut proportionierte Oberfläche

Bettie Page war das berühmteste Pin-up Girl der Fünfzigerjahre. Sie posierte für Magazine wie Wink, Black Nylons, Beauty Parade oder Playboy. Ihr schwarzes Haar und der kurz geschnittene Pony waren wie eine Signatur, ebenso ihr Faible für Fetischkleider, für schwarzen Lack und schwarzes Leder. 1955 wurde ihr der Titel der „Miss Pin-up Girl of the World“ zuerkannt; Bunny Yeager fotografierte sie in den Wäldern Floridas – mal im Leopardenlook, mal nackt an der Seite zweier Geparden; für das Fotografenpaar Iriving und Paula Klaw ließ sie sich verschnüren; der Beiname „Bondage Queen“ haftete ihr an. Die Klaws betrieben einen Versandhandel mit den entsprechenden Aufnahmen – das faszinierte Fetischisten und brachte Ärger mit dem Gesetz. Nachdem Page erfolglos versucht hatte, sich am Broadway als Schauspielerin zu etablieren, zog sie sich 1958 aus der Öffentlichkeit zurück.

Die Regisseurin Mary Harron hat Bret Easton Ellis’ Roman „American Psycho“ (2000) verfilmt und sich in „I Shot Andy Warhol“ (1996) der Vita Valerie Solanas’ angenommen. In ihrem jüngsten Spielfilm „The Notorious Bettie Page“ widmet sie sich nun dem Pin-up Girl. Verkörpert wird Page von Gretchen Mol, zu den übrigen Darstellern gehören einige, die man aus Harrons Filmen und anderen Independent-Produktionen kennt und mag: Cara Seymour als Model Maxie etwa oder Lily Taylor als Fotografin Paula Klaw. Über weite Strecken ist „The Notorious Bettie Page“ in sattem Schwarzweiß gehalten; wenn das Bild doch einmal Farbe annimmt, dann sind es leuchtende Töne. Möglicherweise hatte Harron dabei eine Analogie zu den Pin-ups im Sinn, insofern gerade bei den Bondage-Bildern dem Schwarzweiß eine große Rolle zukommt, während bei vielen Strandbildern die starken Farbtöne des Technicolors vorherrschen. Im Film jedoch erscheinen die Wechsel von Schwarzweiß zu Farbe wenig motiviert.

Harron legt Wert darauf, die Freude und Unbefangenheit, die offenkundig bei den Fotosessions im Spiel waren, zu betonen. Wenn Bettie und Maxie einander mit Fesseln und Peitschen traktieren, dann hat das nichts von exploitation und viel von einem Spiel. Wenn sich Bettie in schwindelerregend hohe Pumps und aberwitzige Corsagen stecken lässt, dann fehlt der heilige Ernst, den man einem Fetisch entgegenbringt. Eher geht es zu wie beim Kinderkarneval. Einmal ist Bettie mit einem Freund, der von ihrer Modeltätigkeit nichts weiß, unterwegs; durch Zufall geraten ihm die Bondage-Bilder in die Hände. „Das ist krank“, sagt er, „das ist doch für Perverse!“ Unbekümmert antwortet Bettie: „Aber wieso, ich zeig doch nicht mal meine Brüste.“

Zugleich deutet der Film zweimal Missbrauchsszenen an: Zu Beginn tritt der Vater der jungen Bettie nahe, später wird sie von drei Männern behelligt, nachdem sie vertrauensselig zu einem Fremden ins Auto gestiegen ist. Harron bringt so eine tragische Dimension ins Spiel, versäumt es aber, diese zu verfolgen. Indem sie sich mit der Andeutung begnügt, spielt die Regisseurin dem Topos zu, misshandelte Frauen seien besonders anfällig für die Sexindustrie.

Ähnlich diffus bleibt „The Notorious Bettie Page“ in einer Gerichtssequenz. Ein junger Mann ist in einer Bondageposition gestorben, die er offenbar von den Fotografien übernommen hat. Sein Vater hält eine anklagende Rede. In seinen Augen sind Bettie Page und die Fotografen für das Geschehene zur Verantwortung zu ziehen, und die Richter scheinen es ganz ähnlich wahrzunehmen.

Seltsam unempfindlich erweist sich Harrons Film gegenüber solchen Fragen und Konflikten, seltsam spröde verhält er sich gegenüber jeder zeitdiagnostischen Versuchung. Zwar sehen wir Bettie Page, wie sie hadert, wie sie ihre Arbeit abzugleichen sucht mit ihrer Religiosität und den engen, ländlichen Verhältnissen, aus denen sie stammt. Doch darüber geht die Regisseurin nicht hinaus. In Harrons Film bleibt Bettie Page fremd, eine schön anzuschauende, wohl proportionierte Oberfläche. CRISTINA NORD

„The Notorious Bettie Page“. Regie: Mary Harron, USA 2005, 91 Min. 16. 2., 19 Uhr, Zoo Palast 1; 17. 2., 11 Uhr, Cinemaxx 7; 18. 2., 17 Uhr, International