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Archiv-Artikel

„Ich will gerne eine Schippe drauflegen“

SERIE ZUR BUNDESTAGSWAHL Wenn man jetzt Renate Künast als eine heimliche Romantikerin bezeichnen würde, hätte sie gar nichts dagegen. Von einer Beißhemmung aber gegenüber der SPD will die Berliner Spitzenkandidatin der Grünen zur Bundestagswahl nichts wissen

Renate Künast

■ 57, ist seit 2005 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Von 2001 bis 2005 war sie Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.

VON PLUTONIA PLARRE UND UWE RADA

taz: Frau Künast, wann haben Sie Ihre letzte Mieterhöhung bekommen?

Renate Künast: Da müsste ich jetzt meinen Mann anrufen. Das ist schon einige Jahre her.

Sie leben also in einer Mietwohnung?

Ja, ich bin Mieterin.

Ist das Mietenthema, auch bei Ihnen im Wahlkreis und der Nachbarschaft, eines der bestimmenden im Wahlkampf?

Das ist in ganz Berlin so und auch in anderen Großstädten wie Hamburg und München. Den besten Vortrag über das Münchner Modell …

wo ein Drittel der Wohnungen, die private Investoren bauen, Sozialwohnungen sein müssen …

… habe ich in Tel Aviv gehört. Da hat jemand aus der Münchner Stadtverwaltung referiert. Also das Thema holt einen auch im Ausland ein. Als Grüne haben wir uns sowohl in Berlin als auch im Bund schon sehr früh mit dem Thema beschäftigt.

Wie empfinden Sie die Situation in Berlin?

Da ist der Druck inzwischen riesig. Ich vergleiche das immer mit New York. Jedes Mal, wenn du wieder nach Manhattan kommst, hat der Stadtteil ein anderes Gesicht.

Ist das nun ein Votum gegen Veränderung?

Man kann Städte nicht so konservieren, wie sie vor hundert Jahren waren. Das will auch niemand. Man darf aber auch nicht das Gefühl bekommen: Eine Dampfwalze fährt durch den Kiez, und alles wird aufgekauft und in Eigentum umgewandelt.

Was ist dabei die Rolle des Staates?

In Artikel 28 der Berliner Landesverfassung steht es: Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum.

Ist das jetzt ein Plädoyer für eine Politik der Rekommunalisierung auch im Bereich der Wohnungsversorgung?

Das ist vor allem ein Plädoyer für eine Reform des Mietrechts. Berlin ist gleich dreimal für Investoren interessant geworden. Erstens durch den Fall der Mauer und zweitens durch den Hauptstadtbeschluss. Beide Male kam danach eine regelrechte Welle von Zuwanderung von Leuten mit ganz anderen Gehaltsgruppen, als sie der Berliner Durchschnitt hat. Und drittens hat die Finanzkrise die Immobilienspekulation angeheizt. Da muss man steuern. Neuvermietungen müssen gedeckelt werden.

Hat es Sie überrascht, als die Kanzlerin nun plötzlich auch die Mietenbremse bei Wiedervermietung gefordert hat?

Mich hat eher überrascht, mit welcher Geduld die Öffentlichkeit ihr Kauderwelsch hingenommen hat. Wie ging es denn los? Als Erstes forderte sie Mietpreisbremse bei Neuvermietungen …

und rief damit die Wohnungswirtschaft auf den Plan, die vor einer Investitionsbremse im Neubau warnte.

Dann sollte es plötzlich Veränderungen bei der Wiedervermietung geben. Und am Ende kam heraus, dass das gar nicht generell gelten sollte, sondern die Länder entscheiden sollen. Das ist nicht nichts. Aber das als Mietenbremse zu verkaufen geht nicht.

Wenn Sie auf die Berliner Ebene schauen, müssten Sie mit der Politik von Rot-Schwarz eigentlich ganz zufrieden sein. Der SPD-Stadtentwicklungssenator macht all das, was seine Vorgänger in den vergangenen Jahren nicht gemacht haben.

Ich nehme zur Kenntnis, dass manche da im Vergleich zu Junge-Reyer eine gewisse Erleichterung verspüren. Aber warum haben wir jetzt keine IBA mehr? Gerade in Berlin, einer attraktiven, einer vielfältigen Stadt muss darüber diskutiert werden, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte. Berlin hat über Jahrzehnte hinweg gezeigt, wie man Grünflächen verteidigt. Nun könnte es zeigen, wie Wohnen in einer Millionenmetropole geht. Nicht nur in der Innenstadt, sondern auch in den Außenbezirken.

Sie sind offensichtlich sehr vertraut mit diesem Thema auf der Landesebene. Heißt das, dass die Kommunikation mit der grünen Abgeordnetenhausfraktion besser klappt als 2011?

Jetzt ist 2013. Sie klappt sehr gut.

Es gab nach der Wahl eine große Aussprache, bei der auch Sie Fehler eingeräumt haben.

Der ganze Landesverband einschließlich meiner Person hat sich mit dem Wahlkampf auseinandergesetzt, Schwächen und Stärken analysiert. Nun sind wir gut aufgestellt.

Die Kritik war auch: zu sehr auf Sie zugeschnitten, aber zu wenig frech. Man hat die Renate Künast von früher gar nicht wiedererkannt. Was ist jetzt anders?

Ich bin ich, und so stelle ich mich auch dar. Wenn ich heute auf der Straße Wahlkampf mache, interessieren sich die Leute nicht für 2011, sondern für 2013. Und Sie entscheiden im September, wie es in diesem Land und in ihrem Leben weitergeht.

Kommen wir zu Klaus Wowereit. Was ist seine Bilanz?

Er wollte große Infrastrukturprojekte auf den Weg bringen, damit ist Klaus Wowereit angetreten. Und nun? BER ist doch nur noch peinlich.

Wird Klaus Wowereit noch Regierender Bürgermeister sein, wenn der BER eröffnet?

Das wäre ein guter Zeitpunkt, dass seine Amtszeit endet. Kurz vorher oder kurz nachher. Das wird allerspätestens 2015 sein. Aber es kann auch noch 2013 passieren!

Da ist dann fast keine Zeit mehr für eine geordnete Übergabe des Staffelstabs.

Ich habe den Eindruck, dass es bereits Leute gibt, die diesen Staffelstab schon in der Hand haben.

Wenn Wowereit der Staffelstab aus der Hand genommen wird, ist das ein Grund für Neuwahlen?

Wir müssen gucken, was wann und wo passiert. Wowereit hat mit seiner Person Wahlkampf gemacht, und zwar nur mit seiner Person. Nicht mit Inhalten. Die Frage ist auch, ob es die CDU zulassen würde, dass sich da jemand anderes noch ein, zwei Jahre im Amt des Regierenden profiliert.

Wir haben jetzt Ferien …

Die Schülerinnen und Schüler haben Ferien.

Wenn es dann richtig losgeht mit dem Wahlkampf nach den Ferien, wie wird dann Renate Künast im Wahlkampf präsent sein?

Ich werde viel unterwegs sein. An allen Ecken und Kanten dieser Stadt. Wir sind auf der Straße präsent, und ich mache zum Beispiel abends kleine Runden mit zwölf Leuten am Esstisch zu Hause.

Das ist ja viel menschelnder, als man es erwartet.

Ich bin ja auch viel menschlicher, als manche immer denken. Ich guck wohl dem Thema entsprechend immer angemessen ernst. Ist doch nicht schlimm, oder?

„Ich werde viel unterwegs sein. An allen Ecken und Kanten dieser Stadt“

Auf Ihrer Homepage steht: Renate hat viele Gesichter. Renate skatet, Renate steht im Blumenfeld. Am Rednerpult im Bundestag. Was ist denn Ihr liebstes Gesicht von sich selbst?

Da halte ich es mit Hermann Hesse. Im „Steppenwolf“ geht es ja auch darum, dass ein Mensch mehrere Teile in sich hat. Das kommt nicht von ungefähr. Wenn ich mich in einer Sache festfräse und sage, das will ich ändern, dann werde ich alles dafür tun, es auch regeln, dann such ich mir das Wissen zusammen …

Die Arbeiterin.

Das ist auch das Juristische. Deshalb habe ich ja auch mit Begeisterung Rechtswissenschaften studiert: Weil es darum geht, Sachen ordentlich zu organisieren.

Sind das wirklich Sie.

Ja, das bin ich. Das macht mir auch Spaß, weil ich was verändern will. Wo sind die Werkzeuge, und welche sind meine?

Ihre sind die Paragrafen.

Wenn Sie es verkürzen wollen, sind es die Paragrafen. Aber auch eine gewisse Systematik, an die Dinge ranzugehen. Die einzelnen Schritte zu definieren: kurz-, mittel- und langfristig. So wie bei einem Biosiegel. Man schubst es an, lässt es los, und dann vervielfältigt es sich.

Und die andere Seite?

Das ist eher so eine künstlerisch-spielerische Ebene. Selbst ein Stück Holz zu bearbeiten, zu kochen, im Garten rumzuwerkeln, etwas wachsen zu sehen.

Der grüne Daumen.

Ja, der grüne Daumen. Hätte man gedacht, dass ein Literat wie E.T.A. Hoffmann gleichzeitig Jurist ist? Es gibt scheinbar viele Leute, die das sehr Sortierte und gleichzeitig auch Spielerische haben.

Das sind alles Romantiker, die Sie für sich beanspruchen. Sind Sie eine heimliche Romantikerin?

Würde ich jetzt nicht gegenhalten wollen.

Kommen wir noch einmal zum BER. Wie sehr dürfen Sie da denn draufhauen? Oder gibt es da auch eine Beißhemmung, weil die SPD ja ihr Wunschkoalitionspartner im Bund ist?

Das darf einen weiter nicht beeinträchtigen. Zumal wir ja nicht mit Klaus Wowereit koalieren wollen. Wir folgen der grünen Farbe.

Christian Ströbele hat es, Andreas Otto und Özcan Mutlu wollen es – ein grünes Direktmandat. Und Renate Künast?

Ich will gerne eine Schippe drauflegen in Tempelhof-Schöneberg. Es geht auch um die Frage, wer denn die beste Chance hat, der CDU in diesem Wahlkreis das Mandat abzunehmen.

Wie viele Direktmandate könnten am Ende für die Grünen rausspringen?

Christian Ströbele wird es holen. In Mitte und in Pankow gibt es auch gute Chancen. Und Tempelhof-Schöneberg ist eben auch nicht ohne Chancen.

Gesetzt, es reichte am 22. September für Rot-Grün. Wollen Sie noch mal Ministerin werden?

Viel wichtiger, als jetzt schon Posten zu vergeben, ist es doch, dass wir jetzt ganz professionell darum kämpfen, wie man den Bären erlegt. Und erst dann geht es ans Fell.

Den Bären oder den BER?

(lacht) Den Bären. Der BER ist ja schon von anderen erlegt worden.

Sie machen seit 1985 Politik. Da verändern sich ja auch Prioritäten. Wie haben Sie sich da verändert.

Ich guck uns da beide an und sehe: Wir sind doch noch jung und haben beide noch viel vor …

Wo sind denn nun Ihre Schwerpunkte?

Es gibt ja auch immer neue Erfahrungen. Als wir 2005 aus der Regierung in die Opposition gingen, konnten wir nicht mehr in einen platten Oppositionsmodus verfallen. Wir haben lange Jahre an Programmen gearbeitet, die durchdacht sind, die durchgerechnet sind. Da gehen wir dann auch ganz selbstbewusst los.

Und die Lebensfreude?

Kandidaten-Serie

■ Am 22. September wird der neue Bundestag gewählt. Die taz stellt die Spitzenkandidaten der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien vor: jene Politiker, die auf Listenplatz 1 ihrer Partei stehen. Den Auftakt machte am 2. Juli Monika Grütters (CDU), danach kamen Cornelia Otto (Piraten) und Gregor Gysi (Linke). An den kommenden Dienstagen folgen jeweils Martin Lindner (FDP) und Eva Högl (SPD). (taz)

Die ist da mittendrin.

Wenn es nicht reicht für Rot-Grün, gäbe es da nicht noch eine Alternative, zum Beispiel Schwarz-Grün?

Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Sie wollen Schwarz-Grün nicht ausschließen?

Im Wahlprogramm stehen unsere grünen Kerninhalte. Wenn man da drauf guckt, stellt man fest, dass wir unsere Politik auf zwei Ebenen am ehesten durchsetzen können. Erstens, indem wir so stark wie irgend möglich werden, und zweitens mit der SPD.

Die Sozialdemokraten haben gerade davon Abstand genommen, die große Koalition auszuschließen. Sie nehmen also auch Abstand davon, Schwarz-Grün auszuschließen?

Jetzt drehen wir uns hier miteinander um den Tisch. Ich beziehe mich auf das Wahlprogramm, und wenn Sie da reinschauen, werden Sie auch feststellen, dass Schwarz und Grün nicht zusammenpasst, da könnte ich viele Beispiele nennen.

Schließen Sie nun aus oder nicht?

Der Satz steht nicht im grünen Wahlprogramm. Aber ich würde lieber über Inhalte reden.

Kommen wir noch zu Peer Steinbrück, dem SPD-Kanzlerkandidaten. Sie scheinen ja einer der wenigen sein, die ihn noch mögen. Neulich haben Sie ihm sogar eine Currywurst geholt.

Na sach mal. Beim Sommerfest der SPD-Bundestagsfraktion standen nicht weit von mir Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. Und während die miteinander redeten, habe ich genüsslich Currywurst gegessen. Da wurden ihre Augen immer größer. Und da war ich so nett und habe dann Currywurst und Bier organisiert.

Aber Klaus Wowereit würden Sie keine Currywurst mehr bringen, oder?

Och.

Wir zählen die Sekunden.

Ich sag mal so: Currywurst für alle. Trotz alledem.