: Schwäne brechen Dämme
Anfangs dachte man noch an eine Panik-Aktion einer überforderten Landrätin. Jetzt aber sanktioniert Mecklenburg-Vorpommerns Landesregierung den Vogelgrippe-Einsatz von Ein-Euro-Jobbern
von Benno Schirrmeister
Es besteht kein Anlass zur Beunruhigung. Schon gar nicht in Mecklenburg-Vorpommern: Erstens sei „der Einsatz der Ein-Euro-Jobber mit der Bundesagentur abgestimmt“, heißt es aus dem Vogelgrippe-Krisenstab der Landesregierung. Und dort habe es „keine Bedenken gegeben“. Zweitens würden die so genannten Ein-Euro-Jobber mit den verendeten „Tieren nicht in Kontakt kommen“, sondern bloß die Fundstellen mit seuchenverdächtigen Vogelleichen aufspüren. Also sei ihre Arbeit auch „gar nicht gefährlich“.
Eine kühne Einschätzung, wo doch das Gesundheitsministerium „die Übertragung“ des berüchtigten H5N1-Erregers auch „aerogen“ – das heißt: durchs Einatmen – für denkbar hält. „Eine indirekte Übertragung über die Luft ist bei starker Staubentwicklung möglich“, heißt es in dem einschlägigen Merkblatt.
Aber die mögliche Gefährdung der Seuchenschützer ist gar nicht das Problem. Sondern ihr Status. Das sieht auch Jan Jurczyk so: „Ein Euro-Jobber haben dort nichts zu suchen“, so der Sprecher der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Und in der Tat habe der Vorstoß aus Schwerin „eine neue Qualität“ in der von Anfang an schwelenden Auseinandersetzung um diese „Eingliederungsmaßnahmen“ nach dem Sozialgesetzbuch (SGB).
Denn Landwirtschaftsminister Till Backhaus persönlich hat jetzt das abgesegnet, was vor zehn Tagen noch wie eine Panik-Aktion der vom Vogelgrippe-Alarm sichtlich überforderten Rüganer Landrätin Kerstin Kassner (PDS) wirkte. Der SPD-Politiker aber, der als Nachfolger des Ministerpräsidenten Harald Ringstorff (SPD) gehandelt wird, nimmt den Einsatz von „Beschäftigten in Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ im Kampf gegen die Vogelgrippe nicht nur billigend in Kauf. Er propagiert ihn sogar.
Er selbst hat darüber eigens mit der Bundesagentur für Arbeit verhandelt, die grünes Licht gab. „Ich bitte nun die Landkreise, auf diese Option verstärkt zurückzugreifen“, so der Landesvater in spe. Die Linkspartei, die in der Schweriner Regierung unter anderem die Spitzen der Ressorts Arbeit und Soziales stellt, hat sich dazu nicht geäußert.
Man wird nie erfahren, was genau Nürnberg dem Herrn Backhaus gesagt hat. ‚Klagt doch eh keiner‘ wäre die ehrlichste Antwort auf die Anfrage gewesen. Auch wird Backhaus nicht viel Kritik für seine Initiative einstecken müssen – da sind die Bilder krepierter Schwäne vor. Einsamer Rufer im Flächenstaat ist der Sozialrechtsexperte der Diakonie, Gregor Kochhan. Der hält das Vorgehen für rechtswidrig. „Das ist Tierseuchenbekämpfung – eine hoheitliche Aufgabe schlechthin“, erklärt er der taz. Laut SGB II dürfen die unter Androhung von Sanktionen engagierten Langzeitarbeitslosen für derlei nicht eingesetzt werden. Denn Paragraf 16 definiert die entsprechenden Tätigkeiten als zwar „im öffentlichen Interesse liegende“ aber „zusätzliche Arbeiten“.
Kochhan: „Es macht keinen Unterschied, ob die nur Fundorte markieren und melden müssen – oder zum Einsammeln eingesetzt werden“. Denn beide Arbeitsschritte sind unabdingbar. Dazu Verdi-Mann Jurczyk: „Alle Arbeiten, die die Hygiene und die öffentliche Ordnung und Sicherheit betreffen“, seien „grundsätzlich Aufgaben, die nicht von Ein-Euro-Jobbern übernommen werden dürfen.“
Dass die Einsatzbereiche rechtlich so eng gefasst werden, ist sinnvoll: Damit soll verhindert werden, dass man echte Arbeitsplätze durch Ein-Euro-Jobs ersetzt. Schon das hat, Studien zufolge, nicht funktioniert: Die Arbeitsgelegenheiten wirken als Jobkiller. „Wenn diese Tendenz jetzt auch noch von Regierungsseite so massiv verstärkt wird“, so Kochhan, „ist das eine sozial- und vor allem arbeitsmarktpolitische Katastrophe“.
Vor der hat in Mecklenburg-Vorpommern keiner mehr Angst. Schließlich lebt man mitten in ihr: Seit Bestehen hat das Bundesland die höchste Arbeitslosenquote weit und breit. Und schließlich muss man auch mit knappen Kassen umgehen. Deshalb hat man offensichtlich auch keinen Gedanken daran verschwendet, dass möglicherweise private Anbieter die Vogel-Sichtung und Beseitigung übernehmen könnten. Ein „staatliches Dumping-Angebot“ nennt deshalb Jurczyk die jetzige Lösung. Auch das wäre gesetzwidrig, denn „die Maßnahmen haben wettbewerbsneutral zu sein.“
Bei Verdi will man „nicht von vornherein von der Gefahr eines Dammbruchs ausgehen“, Kochhan sieht ihn mit der Empfehlung Backhaus’ schon gegeben: „Es stellt sich doch die Frage, welche notwendigen staatlichen Aufgaben noch durch Erwerbslose ohne Bezahlung erledigt werden“, sagt er, und ergänzt: „in Zukunft“.
Zu optimistisch: Im Norden hat die Zukunft schon begonnen. So hat die Hamburger Arge während des Müllarbeiter-Ausstands Langzeitarbeitlose als Streikbrecher verpflichtet. Sie mussten in der City Abfall beseitigen – obwohl das nicht nur dem Sozialrecht, sondern sogar der Verfassung zuwiderläuft. Die verpflichtet den Staat im Arbeitskampf zur Neutralität. Aber vielleicht gilt das ja nur noch sonntags.